Alle Jahre wieder
Jürgen Auth sitzt in seinem Büro in einem der Häuser der ehemaligen Eisenbahnersiedlung in Porz-Gremberghoven und kritzelt Zahlen auf einen Zettel. Auth ist Sozialraumkoordinator für Gremberghoven, Porz-Ost, Eil und Finkenberg, das jeder hier Demo-Gebiet nennt, weil die Hochhaussiedlung einst als »Demonstrativ-Bauvorhaben« errichtet wurde. Auth sagt, wenn das Mietermodell »Demo wehrt sich«, das er mitentwickelt hat, im März vor Gericht abgesegnet werde, spare die Stadt viel Geld.
Seit der Finanzinvestor Erez Adani vor drei Jahren knapp 530 Wohnungen in Finkenberg gekauft hat, lässt er die Hochhäuser verkommen. Zugleich sind Mieterhöhungen um 20 Prozent angekündigt. Im Zuge von »Demo wehrt sich« kämpft nun eine Anwaltskanzlei für die Rechte der Bewohner. »Die meisten Mieter würden diesen Weg aufgrund bürokratischer Hürden von sich aus nicht gehen«, sagt Auth.
Allein 600.000 Euro jährlich würde die Stadt durch den Widerspruch gegen die Mieterhöhung sparen — denn die meisten Bewohner leben von Transferleistungen, daher zahlt die Stadt deren Mieten. Berücksichtigt man noch die durchgesetzten Mietminderungen sei man im Millionbereich, sagt Auth: »Das ist ein Beispiel, wie unsere Arbeit nicht nur den Menschen hilft, sondern auch langfristig Kosten spart«.
Modellprojekt vor dem Aus
Das Modellprojekt »Lebenswerte Veedel — Bürger und Sozialraumorientierung in Köln«, das 2006 ins Leben gerufen wurde und derzeit in elf sozial benachteiligten Quartieren durchgeführt wird, behandelt Themen wie Kinder, Bildung, Drogen, Wohnen, Alter, Arbeitsmarkt; jedes Viertel entwickelt eine spezifische Bedarfslage. Die Liste der von den Sozialraumkoordinatoren angestoßenen Projekte ist beachtlich: So wurde etwa am Kölnberg eine Drogenanlaufstelle eingerichtet, in Ossendorf ein Familienhaus aufgebaut, und in mehreren Quartieren kommen Stadtteilmütter zum Einsatz.
Trotzdem steht das Projekt auf der Streichliste der Verwaltung, die Stadt will 690.000 Euro jährlich sparen und die Sozialraumkoordination auf die Bezirksjugendpfleger übertragen. Dabei hat das Institut für Stadtteilentwicklung, Sozialraumorientierte Arbeit und Beratung der Universität Duisburg/Essen 2011 in einer Evaluation den Erfolg des Modells bestätigt. Denn es leiste einen »wichtigen Beitrag zur Verbesserung der Lebensbedingungen der dortigen Bevölkerung«.
Petition fordert, Großprojekte ruhen zu lassen
Dass die Stadt sparen muss, akzeptieren die meisten Kölner anscheinend. Aber wo und wie, darüber wird derzeit mehr gestritten als sonst. Die Notwendigkeit für drastische Kürzungen, die OB Jürgen Roters (SPD) und Rot-Grün im Rat stets betonen, greifen die Bürger auf, um sie gegen die Kölner Prestigeprojekte ins Feld zu führen.
Eine Kölner Petition »Mut zu Verzicht« fordert, »alle Großprojekte ruhen zu lassen und einer ernsthafen Prüfung zu unterwerfen«. Einer der Initiatoren ist Frank Deja von »Köln kann auch anders« (KKAA), einer Initiative, die sich nach dem Einsturz des Stadtarchivs gegründet hat. Ins Visier der Bürger sind die berüchtigten Bauprojekte geraten: ein neues Stadtarchiv am Eifelwall, die Erweiterung des Godorfer Hafens oder ein Rheinboulevard in Deutz. Vor allem aber ein Jüdisches Museum und die Archäologische Zone am Rathausplatz, die mit Unterstützung des Landschaftsverbandes Rheinland (LVR) umgesetzt werden sollen, wollen sie stoppen.
Soziales und Kultur werden gegeneinander ausgespielt
Thor Zimmermann, für Deine Freunde im Rat, ist zwar wegen der Kosten mittlerweile auch gegen das LVR-Museum, findet aber die Petition »sehr pauschal und nicht zu Ende gedacht«. Auch Frank Möller, wie Deja sonst bei »Köln kann auch anders« engagiert, ärgert »das Niveau, auf dem diskutiert wird«. Zwar lehnt auch Möller das Doppel-Museum ab, weil Besucherzahlen, die SPD, Grüne und FDP voraussagen, nicht belegt seien. Aber er kritisiert, dass »Mut zu Verzicht« Soziales und Kultur gegeneinander ausspiele.
Möller fordert Konzepte, die den Haushalt in seiner Gesamtheit analysieren. Dazu gehöre auch, Ineffizienz in der Verwaltung aufzudecken. Und, fügt Möller an, auch viele soziale Projekte könnten in ihrer Wirksamkeit verbessert werden.
Die Linke will die Gewerbesteuer erhöhen
Jörg Detjen, Fraktionschef der Linken im Rat, vermisst in der Petition hingegen sozialpolitische Stellungnahmen. Die Linke sei zudem nicht gegen jedes Großprojekt: »Neue Schulen halte ich für richtig«, so Detjen. Außerdem fehlten Ideen für Einnahmen. Die Linke will die Gewerbesteuer erhöhen, bislang ein Tabu für die Mehrheit im Rat.
Der Protest ist zerfasert. »Mut zu Verzicht« fordert etwa auch zur Teilnahme am Bürgerhaushalt auf: um dort Sparvorschläge zu machen. Detjen hingegen sieht den Bürgerhaushalt »in dieser Form bloß noch als eine Strategie von Rot-Grün, schwerwiegende sozialpolitische Kürzungen durchzusetzen.«
Auch Kölner Bürgerhäuser sind gefährdet
Als am 18. Dezember der Haushaltsplan-Entwurf in den Rat eingebracht wurde, protestierten auch die Mitarbeiter der Bürgerhäuser vor dem Rathaus. In den 13 Kölner Bürgerhäusern und –zentren sollen 1,1 Mio. Euro gespart werden. Beirat und Förderverein des Bürgerhauses Stollwerck in der Südstadt haben Anfang Dezember auch eine Petition gestartet, weil dies das Aus für den gesamten Betrieb bedeuten könnte, wie es heißt.
»Der Reflex, Bürgerzentren zuzumachen, ist immer da«, klagt Klaus Wyschka. Er ist seit gut zwei Jahren Leiter des Bürgerhauses Stollwerck, stand vorher 18 Jahre dem Bürgerzentrum Deutz vor. Wyschka mahnt aber zu einer nüchternen Betrachtung: »1,1 Mio. Euro einzusparen, ist das Worst-Case-Szenario. Aber auch, wenn das noch nicht beschlossen ist, ist die Situation sehr ernst.«
Sorgen auch im Vingster Treff
Bleibt es bei dieser Summe, müssten tatsächlich Bürgerhäuser schließen. »Wenn man die Einsparungen verteilte, müsste man rund 20 Prozent pro Einrichtung kürzen, sagt Wyschka: »Für den Großteil der 13 Bürgerzentren wäre das das Aus. Es sind jetzt schon alle am Limit, personell und finanziell.« Im Fall dieses worst case stünde man vor einem Dilemma, so Wyschka. »Man könnte die zwei Größten schließen, wie die Alte Feuerwache und das Stollwerck, oder eben fünf bis sechs Kleine.« In seinem Interesse stehe selbstverständlich, alle 13 Einrichtungen zu erhalten, betont er.
Neben den städtischen Einrichtungen in Deutz, Kalk, Chorweiler und der Südstadt sorgt man sich auch bei den kleineren Häusern der freien Träger. Etwa im »Vingster Treff« unter dem Dach des Bürgerzentrums Vingst, das sowohl aus städtischen als auch aus Landesmitteln finanziert wird. Doch schon geringe Kürzungen könnten wichtige Teilbereiche wegfallen lassen.
Der Bau an der tristen Würzburger Straße in Vingst ist in auffallenden Gelb- und Blautönen gestrichen. Hier gibt es vor allem die Erwerbslosenberatung im Vingster Treff, die 1983 von der Arbeitsloseninitiative »Die Faultiere« gegründet wurde. Rund tausend Menschen werden hier pro Jahr beraten, auch auf Englisch, Französisch, Türkisch und Kurdisch. »Wir könnten auch mehr anbieten«, sagt Sozialberater Fabian Goreth. »Der Bedarf ist ja da.«
Der Protest soll weitergehen
Derzeit unterstützt die Stadt dieses Angebot noch. »Wenn jetzt aber Förderungen wegfallen, wäre die Beratungsstelle bedroht«, so Leiterin Beate Mages. Die Bedeutung dieser Hilfe, aber auch der Bürgerhäuser grundsätzlich für die Viertel, könne man gar nicht zu hoch einschätzen. »Ohne diese Angebote wäre der soziale Frieden gestört. Wo sollen die Menschen dann hin?«, sagt Mages.
»Bürgerhäuser machen Angebote für Krabbelkinder bis zu Hochbetagten. Diese Reichhaltigkeit dürfen wir nicht aufgeben«, fordert Stollwerck-Leiter Wyschka. Dass die Proteste im März fortgeführt werden, hat Christian Bechmann, Geschäftsführer der »Kölner Elf«, der Interessenvertretung der Bürgerhauser, bereits angekündigt.