Der Essensverteiler: Valentin Thurn, Foto: Manfred Wegener

»Essen besitzt auch einen ideelen Wert«

Der Bestseller-Autor und Umwelt-Aktivist Valentin Thurn über sein Projekt »Foodsharing«

Herr Thurn, Hand aufs Herz, wie viele Lebensmittel haben Sie letzte Woche verschwendet?

 

Man kommt natürlich nicht auf Null. Aber ich versuche zu vermeiden, dass ich zu viel einkaufe. Ich habe zudem  einen Gemüsekorb vom Bioladen abonniert, der hilft mir gut über die Woche.

 

Mit Foodsharing haben Sie eine Online-Tauschbörse für Lebensmittel entwickelt, um den Wegwerf-Wahn einzudämmen.

 

Food­sharing funktioniert wie Ebay ohne Geld. Man stellt übrig gebliebene Lebensmittel ein, und andere, die sie brauchen, können sie umsonst haben. Ein nicht zu unterschätzender Effekt ist das Soziale, Nachbarschaftliche. Es geht aber nicht nur um Bedürftigkeit. Die Botschaft ist: Essen besitzt auch einen ideellen Wert.

 

Aber wie praktikabel ist Foodsharing wirklich? Viele Lebensmittel verderben schnell. Wie funktioniert das?

 

Fährt man in Urlaub und hat noch zwei Liter Milch im Kühlschrank, füllt man bei Foodsharing einen virtuellen Essenskorb. Wer die Milch haben möchte, reserviert sich den Korb. Als Treffpunkt wählt man dann einen der Hotspots. Das sind Orte, die möglichst viele Anwohner kennen. In Köln sind unter anderem der Weinladen »La Vincaillerie« in Ehrenfeld und das Asta-Café in Sülz dabei. Die Kölner Gemeinschaftsgarten-Initiative Neuland hat in der Südstadt einen besonderen Hotspot eingerichtet: Dort steht jetzt im Winter ein Schrank mit zwei Fächern: eines für reservierte Essenskörbe und ein Fach, aus dem sich jeder nehmen kann. Da stellt zum Beispiel der Bio-Supermarkt von nebenan seine Joghurtbecher rein. Im Sommer wird dort ein Kühlschrank stehen.

 

Ihre Plattform ist seit Dezember online. Wie wird das Angebot angenommen?

 

Köln ist derzeit die Stadt, in der die meisten virtuellen Essenskörbe angeboten werden, und sie sind auch am schnellsten weg, oft nach wenigen Stunden. Bundesweit sind wir schon bei 3000 Teilnehmern angelangt. Aber wir müssen noch viel größer werden, damit auch wirklich in der Nachbarschaft getauscht wird. Die kritische Masse liegt bei 0,5 Prozent der Bevölkerung. In Köln bräuchten wir also rund 5000 Teilnehmer, damit die Wege zu den Lebensmitteln nicht zu weit  sind. Wenn jemand mit dem Auto durch die halbe Stadt gondeln müsste, wäre das nicht ökologisch.

 

Foodsharing richtet sich auch an Händler, die dann eine Lebensmittelretterplakette erhalten. Wie groß ist hier der Zulauf?

 

So etwas wie Foodsharing hat es noch nie gegeben! Kommerzielle Anbieter sind also unsicher, wie das rechtlich zu bewerten ist. Sie unterliegen den strengen Anforderungen des Lebensmittelrechts, und wir betreten mit der Aktion ja Neuland. Auf unserer Seite ist daher das Juristische genau aufgedröselt.

 

In Ihrem Film »Taste the Waste« haben Sie 2011 den Umgang mit Lebensmitteln angeprangert. Ungefähr die Hälfte des produzierten Essens landet in der Mülltonne. Warum schmeißen wir so viel weg?

 

Das tun ja nicht nur wir Verbraucher, sondern alle, die an der Produktionskette beteiligt sind. Das ist tatsächlich ein kompliziertes System. Man kann daher nicht mit dem Finger auf einen einzigen Bösewicht zeigen. Das wir so viel wegwerfen, liegt am Überfluss, es liegt aber auch an den Preisen. Die meisten konnten noch nie so günstig Lebensmittel kaufen. Außerdem kennen sich viele Leute einfach nicht mehr aus und vertrauen ihren Sinnen nicht. Viele schmeißen Lebensmittel weg, obwohl es noch genießbar wäre. Bloß weil das Mindesthaltbarkeitsdatum erreicht ist. Aber das ist vom Handel auch durchaus so gewollt.

 

Sie weisen auch auf den Zusammenhang zwischen unserem Wegwerf-Verhalten und der Klimabelastung hin.

 

Durch die Landwirtschaft, also durch den Lebensmittelanbau, werden viele Klimagase freigesetzt. Wenn Kunstdünger auf die Felder ausgebracht wird, entweicht zum Beispiel Lachgas in die Atmosphäre. Das ist ein Klimagas, das 300-mal so potent ist wie Kohlendioxid. Außerdem ist die Landwirtschaft für die weltweiten Entwaldungen verantwortlich. Dadurch, dass so viel Holz verbrannt wird, entstehen weitere Emissionen. Insgesamt gehen 31 Prozent aller Emissionen mit Treibhausgasen auf die Landwirtschaft zurück. Wenn man bedenkt, dass ein Drittel aller Lebensmittel weltweit weggeworfen werden, bedeutet das, dass gut 10 Prozent der Klimagase für die Mülltonne produziert werden. Das ist soviel wie im gesamten Transportsektor, also alle Schiffe, Flugzeuge und Autos zusammengenommen.