Imi Paulus, Foto: Manfred Wegener

Alaaf, Aloha, Ahoi

In der vergangenen Session gab es erstmals einen schwulen Prinzen in Köln. Ist der rosa Karneval im Mainstream angekommen? Johannes J. Arens hat mit den Protagonisten des schwul-lesbischen Karnevals gesprochen

Homosexuelle hat es im Karneval immer gegeben. Der schwul-lesbische Karneval allerdings ist eine Erfindung der 90er Jahre, jener Zeit, in der die Subkultur gesellschaftsfähig wurde. Dort, wo auch nach dem Krieg — in Fortführung der Diskriminierung durch die Nazis — nur kostümiert gleichgeschlechtliche Kontaktaufnahme möglich war, standen nun auch schwule und lesbische Themen im Fokus.

 

Zum Kulturgut der »Eventstadt Köln« wurde der schwul-lesbische Fastelovend, als man erkannte, dass damit Geld zu machen war. Weil nicht nur die heimische Szene, sondern Homosexuelle aus ganz Deutschland und dem angrenzenden Ausland zwischen Weiberfastnacht und Aschermittwoch besonders spendabel sind und die Umsätze in Gastronomie und Hotelgewerbe ankurbeln. Vor rund einem Jahrzehnt kam es dann auch auf strukturellem Niveau zu zaghaften Annäherungen zwischen dem konservativen Festkomitee Kölner Karneval und den Akteuren der Community. Hier wurde nicht nur der Weg für die noch ausstehende Aufnahme eines schwulen Vereins geebnet, sondern 2011 mit Marcus Gottschalk als  Marcus II. die Proklamation eines geouteten Prinzen ermöglicht. Doch der erste bekennende schwule Karnevalsprinz Deutschlands kam aus Aachen.  1992 wurde Jonathan Briefs gekürt — in der öffentlichen Toilette unterhalb des ehrwürdigen Aachener Rathauses, wie er erzählt. Als Kind sei es sein Traum gewesen, Tanzoffizier zu werden. »Aber mir fehlte dafür körperliche Flexibilität und Taktgefühl.« Die Regentschaft seiner Schwulität Jonathan I. wurde ein Skandal. Auch, weil er Kondome statt Kamelle ins Volk warf.  1996 zog Briefs dann nach Köln. Hella von Sinnen, Präsidentin der ein Jahr zuvor gegründeten Rosa Sitzung, sah ein Video mit Briefs und bot ihm daraufhin einen Platz in ihrem Ensemble an.

 

Die republikweit erste schwul-lesbische Karnevalssitzung war ein Jahr zuvor, 1995, gegründet worden. Es waren gesellschaftspolitisch aufwühlende Zeiten für die Schwulenbewegung: Erst seit ein paar Jahren gab es den Kölner CSD, eine Reaktion auf den Rückzug vieler Schwuler aus dem öffentlichen Leben in Folge der Aids-Katastrophe. Und erst im Jahr zuvor war der Paragraf 175 abgeschafft worden, der Homosexualität unter Strafe stellte. Die Rosa Sitzung bot ein Umfeld, wo Schwule und Lesben nicht fürchten mussten, diskriminiert zu werden. Zudem war sie war nach der links-alternativen »Stunksitzung« ein weiterer Gegenentwurf zum etablierten Kölner Karneval. Die schrille Sitzung wurde ein Erfolg, der WDR stieg ein und sendete jede Session einen Zusammenschnitt. Als aber Hella von Sinnen als Präsidentin ausstieg, verlor das Fernsehen das Interesse. Plötzlich standen die Produktionskosten in keinem Verhältnis mehr zu den Einnahmen. Also mussten mehr Besucher her. Die Sitzung zog 2001 vom Gloria an der Apostelnstraße ins Limelight nach Junkersdorf. »So entwickelte sich die Sitzung bald zu einer austauschbaren Mega-Party«, erinnert sich Jonathan Briefs. »Man hat die Seele des Ganzen verkauft.« 2006 war dann auch endgültig Schluss.

 

Die »Gloria Sitzung«, die einige Mitglieder des alten Ensembles am angestammten Ort ins Leben riefen, konnte die von Briefs beschworene Seele ebensowenig retten. Für ein feierfreudiges Publikum konzipiert, ging die Sitzung eben daran zugrunde: Spätestens nach der Pause feierte das Publikum auf Tischen und Bänken und machte keine Anstalten sich wieder hinzusetzen. Die Beiträge auf der Bühne wurden zur Nebensache. Dass die Seele der Rosa Sitzung dennoch überlebte, ist auch Briefs zu verdanken — als einem der Mitbegründer der »Röschen Sitzung«. Seit 2005 bietet der Mülheimer Kulturbunker einen geschützten Raum für Schwule und Lesben, in dem die karnevalistischen Stellungnahmen zu schwulen- und lesbenpolitischen Themen wieder in den Vordergrund getreten sind.

 

Jahrelang begann Briefs seine Auftritte als »Depressivchen« mit folgenden Worten: »Mein Name ist Heinz, und ich bin nicht freiwillig hier. Mein Therapeut hat mich gezwungen, hier aufzutreten.« Mit seiner Kollegin Agma Formanns hatte er diese Anti-Figur entwickelt, eine betongraue Antwort auf Büttenredner des offiziellen kölschen Karnevals wie das »Botterblömche«. Mit Themen wie Sekundenschlaf, Ödipuskomplex oder Schilddrüsenunterfunktion wird Briefs als »Depressivchen« zum Publikumsliebling. Aber am Aschermittwoch 2011 ist mit Briefs Rückzug eben auch für das Depressivchen alles vorbei. Auch, weil Briefs sich »die Frage nach der gesellschaftspolitischen Relevanz des schwul-lesbischen Karnevals nicht mehr wirklich beantworten konnte«, sagt er. »Brauchen wir das tatsächlich noch?

 

«Eine andere Größe des schwul-lesbischen Karnevals ist dagegen entgegen anders lautender Gerüchte immer noch aktiv — die Rosa Funken. »Uns gibt es noch«, sagt Roland Paschmann, Pressesprecher und Tanzmariechen. »Jedoch haben wir nach unserem 15. Ball im letzten Jahr beschlossen, ein Babyjahr einzulegen.« 1995 gründeten elf Männer aus Köln diesen ersten schwulen Karnevalsverein Deutschlands. Bekannt wurden sie — es ist eine kleine Welt — mit Auftritten auf der Rosa Sitzung. Ihr »Aloha« an Stelle des traditionellen »Alaaf« ist zum Erkennungszeichen des schwul-lesbischen Karnevals geworden. »Wir haben uns immer auch als politisch verstanden«, erklärt Paschmann. »Es war vorher nicht üblich, dass ein Thema wie Aids-Prävention im Karneval angesprochen oder besungen wurde.« Der jeden Karnevalssamstag in der Mülheimer Stadthalle ausgerichtete »Rosa Funken Ball« gehört seit 1998 zu den festen Terminen im schwulen Kalender der Stadt. »Allerdings sind wir heute zu wenige, als dass wir auf Dauer einen professionellen Kostümball organisieren könnten«, sagt Paschmann. »Und für ein ordentliches Gesangs- und Tanz-Programm braucht es schon einige Protagonisten.« Der Ball wird daher in der laufenden Session von der kölschen Drag-Queen Lola Lametta weitergeführt werden.

 

Gespräche gab es aber auch mit anderen, etwa der »StattGarde Colonia Ahoj«, dem gegenwärtig erfolgreichsten Verein mit schwulem Hintergrund. »Das Konzept mit Lola Lametta war da aber schon entwickelt«, erklärt André Schulze-Isfort, Kapitän der StattGarde. »Bei Lola Lametta ist der Rosa Funken Ball sicher sehr gut aufgehoben. Wir hätten die Veranstaltung aber sonst sicher übernommen. Es kann ja nicht sein kann, dass es in Köln am Karnevalssamstag keine schwule Veranstaltung mehr gibt!«

 

Anders als die Rosa Funken müssen sich Schulze-Isfort und die StattGarde nicht um Mitgliederzahlen sorgen. Mit Tanzkorps, Chor und Musikkapelle hat die StattGarde alle Sparten abgedeckt, die viele heterosexuelle Traditionsvereine kaum noch personell besetzen können. »Wir haben mit dem Tanzkorps angefangen. Dann gab es Mitglieder, die zwar nicht tanzen, aber dafür singen konnten. So ist der Shanty-Chor entstanden. Und irgendwann hatten wir dann auch genug Leute, die in der Bordkapelle musizieren wollten.« 

 

Das Erfolgsrezept? »Alles ist gewachsen, nichts war geplant«, sagt Kapitän Schulze-Isfort. Heute bekomme die StattGarde weitaus mehr Anfragen, als sie in einer Session annehmen könne. Vergleichsweise junge Kerle in dunkelblauen Matrosenuniformen sind offensichtlich gefragt. Frauen gibt es nur wenige bei der StattGarde. Die Mehrheit besteht aus schwulen Männern. Trotzdem ist die StattGarde kein dezidiert schwuler Verein. »Es geht uns in erster Linie immer um den Karneval. Dass die meisten schwul sind, ist sozusagen eine Nebensache«, sagt Schulze-Isfort. »Aber wenn die Rosa Funken nicht den Weg bereitet hätten, wäre es für uns viel schwieriger gewesen.«

 

Die StattGarde ist längst — nicht nur auf Damensitzungen — zum Publikumsliebling avanciert. In der schwulen Community sind daher auch immer wieder kritische Töne zu hören. »Die StattGarde funktioniert mit einer Art Undercover-Strategie«, meint auch Jonathan Briefs. »Deren Bild ist so ungefährlich homosexuell, dass sie ohne Probleme vom offiziellen Karneval anerkannt werden kann.« Schulze-Isfort kennt diese Vorwürfe. Als StattGardist werde man immer damit konfrontiert, warum man das eigene Schwulsein nicht thematisiere, berichtet er. Dabei habe niemand im Verein ein Problem mit seiner Sexualität. Aber der Karneval habe eben Priorität. »Wenn die Rosa Funken auftreten, dann sind sie rosa und schwul. Wenn wir als StattGarde außerhalb von Köln auftreten, dauert es vielleicht eine Weile, bis die Leute merken, was für ein Verein da auf der Bühne steht. Aber wer hinguckt, der sieht das ja.«

 

Das vergangene Jahr war für die rund 140 aktiven Mitglieder der StattGarde ein besonderer Höhepunkt. Auf Einladung des Zugführers Christoph Kuckelkorn durfte der Verein im offiziellen Rosenmontagszug des Festkomitees mitmarschieren. »Ich finde es vollkommen in Ordnung, dass wir noch nicht jedes Jahr mitlaufen dürfen«, sagt Schulze-Isfort. »Das ist ja auch mit Kosten verbunden. Zudem haben wir Mitglieder, die nicht viel verdienen, die wir aber trotzdem dabei haben wollen.« Auch bei den Rosa Funken, die bereits zwölf Jahre zuvor auf Vermittlung des damaligen Karnevalsprinzen mit einer Abordnung teilnehmen durften, gab es Zeiten, in denen man sich bemühte, ins Kölner Festkomitee aufgenommen zu werden — vergeblich. »Abgesehen von sehr strengen Verhaltensregeln und den Kosten für uns, ist das vor allem am Verbot des Festkomitees gescheitert, außerhalb der Session in Uniform aufzutreten«, sagt Rosa-Funken-Pressesprecher Roland Paschmann. »Für uns war es aber selbstverständlich, uniformiert am CSD teilzunehmen, denn wir verstehen uns als Bestandteil der Community.« Eine Frage, die auch innerhalb der StattGarde diskutiert wurde, mit anderem Ergebnis. »Für uns gilt die traditionelle Regel, dass die Uniform am Aschermittwoch in den Kleiderschrank wandert und erst wieder am Elften im Elften rausgenommen wird. Beim CSD sind wir trotzdem dabei — seit es uns gibt.«

 

Die Verbundenheit drückt sich auch darin aus, dass die StattGarde an szenenahe Projekte spendet. Ein Euro pro verkaufte Karte für die »Jeck op Deck«-Party, mit der die StattGarde jeden Januar einen satten Überschuss erwirtschaftet, geht an Looks e.V., einen Verein, der sich um männliche Prostituierte kümmert. »Wir wollen etwas zurückgeben, weil wir auch eine soziale Verpflichtung haben«, sagt Schulze-Isfort. »Andere unterstützenswerte Projekte bekommen auch von anderen Vereinen mal eine Zuwendung, aber für Looks ist es schwierig, Spender zu finden.« Da waren sich die Mitglieder schnell einig. Anders sieht es mit der Damenparty aus, die am ehesten ein deutlich schwules Flair hat und jeden ersten Samstag im Januar stattfindet. »Die Veranstaltung polarisiert bis heute im Verein. Aber wenn man Karneval feiert, muss man auch das nötige Augenzwinkern haben — auch wenn man ein seriöser Verein sein möchte.« Dass die StattGarde jeweils der amtierenden Jungfrau des offiziellen Dreigestirns — in Köln traditionell mit einem Mann besetzt — die Mitgliedschaft schenkt, kann man als weitere subversive Strategie deuten. Ein Beleg dafür, dass die StattGarde eben doch kein Karnevalsverein wie jeder andere ist. Und lesbische Frauen? Kommen die auch im alternativen Karneval zu kurz? »Es hat bei der Röschensitzung immer auch Lesben gegeben, weil es ein offenes Ensemble ist, wo alle sich mit dem entsprechenden Engagement einbringen können«, erklärt Jonathan Briefs. »Mein Eindruck ist aber, dass die meisten Lesben sich lieber in eigenen Strukturen organisieren.«

 

Seit 2006 ist die lesbische Schnittchensitzung erfolgreich. Auch in dieser Session wird wieder an vier Abenden vor jeweils 270 Menschen im Altenberger Hof in Nippes gespielt. »Wir sind eine lesbische Karnevalssitzung, und die Akteurinnen auf der Bühne sind lesbische Frauen«, sagt Imi Paulus. Sie ist als Käthe Krüstchen die Präsidentin der ausrichtenden Karnevalsgesellschaft »Ützchen und Knützchen« und steht einem Ensemble von acht Schauspielerinnen vor. »Das ist uns wichtig, weil wir unter diesem Fokus unsere Themen präsentieren«, sagt sie. Insiderwissen sei zwar von Vorteil, aber auch ohne das könne sich jeder amüsieren. Und die berüchtigten Grabenkämpfe zwischen Lesben und Schwulen, die ewigen Reibereien dieser Zwangsehe? »Unsinn!« sagt Imi Paulus und lacht. »Wir finden das toll, wenn Schwule kommen. Natürlich fragen wir uns manchmal, ob die alles kapieren, aber unsere schwulen Gäste sind in der Regel begeistert.« Das Merkmal der Schnittchensitzung ist neben den lesben- und frauenpolitischen Themen das Niveau der Darbietungen. »Sex und Erotik sind unbedingt ein Thema, aber bei uns wird es nicht zotig«, sagt Imi Paulus.

 

Hier unterscheidet sich die lesbische Schnittchensitzung von der schwul-lesbischen Röschensitzung, auf der die piefige Zotigkeit traditioneller Herrensitzungen auf die Spitze getrieben wird. »Ich habe den Eindruck, dass die Röschensitzung inhaltlich eher männerlastig ist«, sagt Paulus, »und das darf sie natürlich auch sein.«

 

Es gibt sogar gemeinsame Wurzeln in der legendären Rosa Sitzung. Allerdings wurden die »Jecken Lesben«, die Vorläufer der Schnittchen, nicht in das Ensemble der Rosa Sitzung aufgenommen; bis 2004 organisierten sie daher einen eigenen lesbischen Sitzungskarneval im Stollwerck in der Südstadt.

 

Wie alle betont auch Schnittchen-Präsidentin Paulus, wie aufwendig die Veranstaltungen seien. Die Schnittchensitzung benötigt rund 70 Mitarbeiterinnen pro Abend. »Die Zukunft des schwul-lesbischen Karnevals und seiner Vereine hängt sehr vom Engagement des Einzelnen ab«, findet auch Roland Paschmann von den Rosa Funken. Schwule Dating-Portale hätten nicht nur das Interesse am schwulen Kneipenkarneval gemindert, sondern auch an einer Mitgliedschaft in einem schwul-lesbischen Karnevalsverein. »Wo kommt man auf die verrückte Idee, etwas Spannendes zu machen, beispielsweise einen Karnevalsverein zu gründen? Sicher nicht im Chat!«, sagt Paschmann. 

 

Und was meint das Depressivchen? Das lässt beim Gedanken an den rosa Karneval ausnahmsweise mal nicht den Kopf hängen. »Wenn der Rahmen stimmt, kann ich mir eine Wiederbelebung vorstellen«, sagt Jonathan Briefs.