Sphärenharmonien gegen Diktatoren

Eine Konzertreihe widmet sich dem Erneuerer zeitgenössischer Musiksprache Horatiu Radulescu

Man stellt sich gerne vor, wie Horatiu Radulescu in seinem BMW 530XD durch Paris donnert, im CD-Player rotiert Howlin‘ Wolf, und die Abendsonne spiegelt sich in seinen Sonnenbrillengläsern. Der rumänisch-französische Komponist ist Interessierten vielleicht in Zusammenhang mit der sogenannten »Spektralmusik« geläufig, mit Blues und dicken Autos sicherlich nicht. Radulescu war ein widersprüchlicher Protagonist der Neuen Musik, nicht zuletzt weil er nach wie vor in der Szene zu den unbekannten Bekannten zählt: den Namen kennt man, ja, aber gleich mehrere seiner Werke, nein

 

Die Anekdote mit der rasanten Autofahrt durch Paris erzählt der Journalist Guy Livingston in einem Interview, das er 2007 mit Radulescu geführt hat, nur ein Jahr vor dessen Tod. In dem Gespräch berichtet Radulescu begeistert von der zyklischen Urknall-Theorie, nach der sich das Expandieren und Kollabieren des Universums immerzu wiederholt, und liefert damit ein Schlüssel zum eigenen Werk: Die Welt ein Kontinuum ohne Anfang und Ende, eine immerwährende Bewegung von Licht und Schatten. Der Daoismus, mit dem sich dieses Bild verbindet, war vor allem im Spätwerk eine der Inspirationsquellen Radulescus. Und außermusikalisches Prinzip, das als Leitidee und Konstruktionsmittel gleichermaßen funktioniert: »Being and nonbeing create each other« heißt beispielsweise seine zweite Klaviersonate von 1991, benannt nach einem Laotse zugeschriebenen Sprichwort. Geradezu beispielhaft verdichtet sich hier Radulescus Denken, das kosmische Yin- und Yang-Prinzip schlägt sich in dieser Komposition in Form und Inhalt nieder: Das Stück beginnt unvermittelt mit einem fragenden, archaisch-prägnanten Motiv, im vierten Takt antwortet eine volksliedhafte, fast schon lyrische Melodie. Die motivischen Gegensätze wiederholen sich beständig variierend, bevor sie sich im Finale in einer »Öffnung zur Ewigkeit«, so der Komponist, auflösen. Die echohaften Obertonsäulen schrauben sich wie Lichtstrahlen in das dunkle Firmament der Komposition und lassen den Titel des letzten Satzes anklingen: »Joy«. 

 

Der 1942 in Bukarest geborene Komponist war als Endzwanziger aus dem Ceausescu-Regime geflohen, und in genanntem Interview erzählt er, wie er sich aus den Fängen des Polizeiapparates herauswand, mit vorgetäuschtem Klobesuch und angeblicher Heirat im Ausland. In Paris fand er seine zweite Heimat, nach Rumänien kehrte er nie wieder dauerhaft zurück. Zu Beginn der 70er Jahre besuchte er bei den Darmstädter Neue-Musik-Tagen Kurse bei John Cage, Karlheinz Stockhausen, György Ligeti und Iannis Xenakis. Alle vier waren sicherlich prägend für Radulescu, aber er blieb doch ein Solitär. Kein Schüler, kein Guru. Als »Spektralist« zudem, wie er seit Ende der 70er in den Annalen geführt wurde, unterschied er sich von den beiden anderen großen Namen — Gérard Grisey und Tristan Murail. Dies vor allem durch seinen Hang zur Mystik. Die Messiaen-Schüler Grisey und Murail hatten sich von den religiös-spirituellen Bezügen ihres Lehrers losgesagt und betrieben Klangforschung. Radulescu hingegen zielte als Klangphilosoph immer aufs Große: Musik für die Ewigkeit wollte er schaffen. 

 

Dabei kommen seine Kompositionen nie großspurig daher, man muss in die aufgefächerten Klangfarben hineinhorchen. Wunderbar zart beispielsweise ist die archaische Klangwelt seines »Intimate Ritual« von 1985, ein Stück für vier »Sound Icons« und beliebige Solisten. Das Sound Icon, eine Erfindung Radulescus, ist ein vertikal auf die Seite gestelltes Piano, die Saiten werden mit einem Bogen bespielt: gleichsam eine Rückführung des Klaviers zum ältesten aller Saiten-Instrumente, der äolischen Harfe. Das was man zu hören bekommt, ist eine sirenenartige, schleierhafte Musik, die meist völlig referenzlos ein singendes Meer an kratzenden und warmen Klängen ist — das ist die berühmte »Sphärenharmonie«, die Musik der Bewegung der Himmelskörper, um den anderen Stichwortgeber Radulescus ins Spiel zu bringen, Pythagoras. Radulescu kam es immer darauf an, den Zusammenklang hörbar zu machen.

 

Dass Sphärenmusik und Yin und Yang die maßgeblichen Koordinaten in seinem musikalischen Kosmos waren, mag auch mit den Erfahrungen zu tun haben, die er als rumänischer Exilant gemacht hatte. Nach seiner Flucht aus Rumänien erlebte er aus dem französischen Exil, wie sich Staatschef Nicolae Ceausescu zum »Titan der Titanen«, und ein menschenverachtendes und religionfeindliches Regime schuf. Radulescus musikalisches »Exil intérieur« (so der Titel einer wunderschönen Sonate für Cello und Klavier von 1997) war eine Antwort auf den Größenwahn des »Genies der Karpaten«: Die Verbindung zum Göttlichen findet bei Radulescu in der Musik statt. Seine »ewige« Musik ist diesseitig, sie ist jedem und jederzeit zugänglich. Mit nur 66 Jahren erlag er 2008 einem besonders aggressiven Krebs. Der Wahl-Kölner Vincent Royer, Bratschist des Gürzenich-Orchesters und Radulescu-Experte und die Witwe Radulescus, die Cellistin Catherine Marie Tunnell, haben sich anlässlich des letztjährigen 70. Geburtstags Raduelscus vorgenommen, einige seiner Werke zu neuem Leben zu erwecken.