Demnächst mit »Alleecharakter«: Blick vom Verteilerkreis auf die Bonner Straße, Foto: Manfred Wegener

Aufstand der Autofahrer

Im Kölner Süden soll 2016 die dritte Baustufe der Nord-Süd-Bahn umgesetzt werden. Die Stadt hat jetzt die Bürger informiert und stößt auf Widerstand

Bürgerbeteiligung als Frontalunterricht, das funktioniert nicht mehr in Köln. Aber die Stadt macht's trotzdem. Dann müssen zweihundert betroffene Bürger einem halben Dutzend städtischer Vertreter zuhören, und die Stimmung ist schnell im Keller. Zumal, wenn auf dem Podium kein Elan für das Projekt zu spüren ist. So wie am 29. Januar bei der Auftaktveranstaltung zur dritten Baustufe der Nord-Süd-Stadtbahn. Es ist der Teil der Strecke,  der oberirdisch über die Bonner Straße geführt wird: von der Kreuzung Schönhauser Straße bis zum Verteilerkreis an der A555.

 

Verstörender als Powerpoint-Präsentationen zu Randaspekten wie "Abrechnung von Erschließungsbeiträgen" ist, dass Gespür fehlt, auf die aufgewühlten Anwohner einzugehen: Der Rodenkirchener Bezirksbürgermeister Mike Homann (SPD) stellt gleich zu Beginn klar, dass es nicht zu lange dauern soll, Klaus Harzendorf vom Amt für Straßen und Verkehrstechnik verliert bei Zwischenrufen fast die Nerven, und die Vertreter von Bauverwaltung, Entwässerungsbetrieben und Kölner Verkehrs-Betrieben (KVB) verschanzen sich verbal hinter verwaltungstechnischen Floskeln.

 

Fehlende Vermittlung zwischen Podium und Publikum

 

Unverständlich, warum niemand die Veranstaltung moderierte, um zwischen Podium und Publikum zu vermitteln. Bei einem Großprojekt, das vor allem für eine Verdoppelung der geplanten Kosten und den Einsturz des Stadtarchivs steht, zeugt dies von Gedankenlosigkeit und laienhafter Kommunikationsstrategie.

 

Aufgrund der oberirdischen Streckenführung der Nord-Süd-Stadtbahn ab der Kreuzung Schönhauser Straße, so erfuhr das misstrauische Publikum, werde der Autoverkehr bis Höhe Bayenthalgürtel zweispurig geführt. Erst ab dort werde die Bonner Straße dann vierspurig bis zum Verteilerkreis umgestaltet. Dafür muss die Bonner Straße verbreitert werden, insgesamt werden vier neue KVB-Haltestellen, mehrere Wendemöglichkeiten für die Autos sowie Ampelanlagen installiert. Aber die Bonner Straße soll auch "Alleecharakter" erhalten, hieß es.

 

Versagen der städtischen Vertreter

 

Pläne und Darstellungen, die auch Laien in der zwanzigsten Reihe verstehen, konnten die städtischen Vertreter allerdings nicht präsentieren. Franz-Josef Höing will diese jetzt nachliefern. Der neue Dezernent für Stadtentwicklung, Planen, Bauen und Verkehr verstand es als einziger, die Befürchtungen der Bürger ernst zu nehmen und ihnen dies auch zu vermitteln. Bei seinen bisherigen Stationen in Hamburg, Bremen und Duisburg hat er große städtebauliche Projekte geleitet und gelernt, dass dies heute immer auch heißt, Einwände und Sorgen der Anwohner als wichtige Hinweise zu begreifen.

 

Aber an diesem Abend konnten die städtischen Vertreter nicht einmal die Vorteile des Projekts vermitteln. Dabei hätte man Argumente gehabt: Köln wächst, noch mehr privater Pkw-Verkehr führt zu Staus, Lärm und Umweltbelastungen. Die Lebensqualität in der Innenstadt sinkt. 28.000 Menschen sollen deshalb im Süden auf die Bahn umsteigen, jedenfalls nicht mit dem Auto in die Innenstadt fahren.

 

Stadt will zehn Wohnhäuser entlang der Strecke abreißen

 

Dafür müssen aber nicht nur 200 Bäume an der Bonner Straße gefällt und später durch 250 neue ersetzt werden. Dafür will die Stadt auch zehn Wohnhäuser entlang der Strecke abreißen; ursprünglich sollten es sogar siebzig sein. Deren Besitzer und Bewohner, darunter viele alte Menschen, sind verzweifelt. Gundula Jaskowsky vertritt deren und ihre eigenen Interessen. Ihr gehört eines der betroffenen Häuser, in dem sie seit 25 Jahren lebt und im Parterre ihre Hebammen-Praxis betreibt. Statt der Wendemöglichkeit für die Autos, dem ihr Haus weichen soll, schlägt sie eine Verlagerung oder aber einen Kreisverkehr am Bayen­thalgürtel vor.

 

Jaskowsky hat ihre Idee als Sparvorschlag im Bürgerhaushalt eingestellt. 110 Teilnehmer unterstützten das Anliegen, nur sieben stimmten dagegen. Diese Unterstützer wollen ebensowenig wie Jaskowsky hinnehmen, dass die Stadt Wohnraum abreißt. Für die Hausbesitzer bedeuteten die Mieteinnahmen zudem die Existenzsicherung, sagt Jaskowsky. Sie selbst sei schon von der Stadt gedrängt worden, ihr Haus zu verkaufen. Unter Wert, wie sie findet, außerdem wolle sie gar nicht verkaufen. Das Haus, die Praxis, das sei ihre Existenz. Sie plädiert dafür, dass wenigstens eine Ombudsperson zwischen Hausbesitzern und Stadt vermitteln solle. Doch die Stadtspitze lehnt das ab, verweist auf formale Widerspruchsmöglichkeiten im Planfeststellungsverfahren.

 

"Not in my back­yard"-Haltung in Marienburg

 

Mehr Gehör verschafft sich derweil der Protest der Autofahrer. Dass der Pkw-Verkehr durch den Stadtbahnbau abnehme, weil Menschen auf die Bahn umsteigen, glauben sie nicht. Deshalb gab es sogar Forderungen, die Stadtbahn auf einem einzigen Gleis zu führen, um mehr Fahrbahnen einrichten zu können.

 

Der Protest mancher Anwohner trägt Züge einer "Not in my back­yard"-Haltung. Auf der einen Seite können und wollen sich viele Menschen etwa in Marienburg und Bayenthal eine Stadt mit weniger Autos gar nicht vorstellen. Auf der anderen Seite sollen die Autos aber nicht durch ihr eigenes Viertel fahren, falls die Bonner Straße überlastet sei. Denn trotz Verkehrsgutachten der Stadt, befürchtet die IG Marienburg, dass der Durchgangsverkehr zunehmen werde und die bislang ruhigen Straßen mit den schönen Villen an Flair verlieren. Einen Affront sehen viele Autofahrer auch darin, dass durch die Verbreiterung der Bonner Straße mit Fuß- und Fahrradwegen,  Parkplätze verloren gehen. Die Stadt hat 455 öffentliche und private gezählt, nach dem Bau sollen es noch 275 sein. Schon werden Rufe nach einer unterirdischen Quartiersgarage laut. Die Bahn zu benutzen, wird als unpraktisch und als soziales Stigma aufgefasst - das haben viele Redebeiträge auf der Info-Veranstaltung gezeigt.

 

Ende 2018 soll alles fertig sein

 

Auch eine an der Endstation Arnoldshöhe geplante Park-and-ride-Anlage am Verteilerkreis, dort wo derzeit noch eine Tennisanlage steht, führt zu Widerstand. 600 Stellplätze auf drei Etagen - das ist nach Auffassung vieler Anwohner wahlweise "Angstraum", Lärm- oder Gestanksbelästigung. Dass jemand hier sein Auto abstelle, um dann mit der Bahn weiterzufahren, halten die meisten für ausgeschlossen.

 

2016 sollen die Bauarbeiten zur dritten Baustufe beginnen. Bis dahin wird es noch manche Ortsbegehung und Informationsveranstaltung geben. Ende 2018 soll alles fertig sein; vorausgesetzt, es kommt zu keinen Zwischenfällen und Verzögerungen. Von den Teilnehmern der ersten Bürgerinformation glauben daran wohl höchstens die sechs Herren, die auf dem Podium saßen und sich beschimpfen lassen mussten.