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Joshua sitzt in einem bequemen Korbstuhl. Fast schüchtern blickt er in die Runde, immer wieder schaut der Jugendliche auf sein Handy. Um 16 Uhr hat er einen Wohnungsbesichtigungstermin. »Den hat er selbst organisiert«, erklärt Christoph Niegemann. »Vor ein paar Monaten wäre das noch nicht möglich gewesen.«
Christoph Niegemann ist Joshuas Sozialarbeiter, genauer gesagt: sein »Case Manager«. Joshua nimmt am Projekt »Kölner Netzwerk — Resozialisierung und soziale Integration«, kurz »Resi«, teil. Das Projekt kümmert sich um jugendliche Intensivstraftäter zwischen 16 und 21 Jahren.
Als Intensivstraftäter wird eingestuft, wer mehr als fünf Straftaten begangen hat. In diese Kategorie fällt auch Joshua. Körperverletzung und schwerer Raub gehörten zu seinen Vergehen. 2008 kam der heute 20-Jährige erstmals ins Gefängnis, es folgten mehrere Haftstrafen. Im Sommer 2012 wurde er letztmals entlassen. »Ich wollte nie wieder in die JVA«, sagt er. Deshalb hat er sich für »Resi« entschieden.
Das Besondere ist die Intensivbetreuung. »Manndeckung«, nennt das der Kriminologe Bernd -Maelicke, der das Konzept maßgeblich mitentwickelt hat. »Die Jugendlichen brauchen eine intensive Begleitung und Unterstützung, deshalb betreut ein Case-Manager höchstens drei Jugendliche gleichzeitig.« Etwa zwei bis vier Mal pro Wochen treffen sich Joshua und sein Case Manager.
Die Termine werden individuell vereinbart, es gibt keine festen Zeiten. »Im Notfall bin ich auch nachts da«, so Niegemann. Bruder, Vater, Mutter und Freund — das alles ist Christoph Niegemann für Joshua. »Ich bin ihm eine Stütze, wo er sie braucht«, erklärt Niegemann die Beziehung. Bei der anfänglichen Wohnungssuche, bei amtlichen Gängen oder dem Kontakt mit dem Bewährungshelfer hilft der Case Manager. »Alleine hätte ich das alles nicht hinbekommen,« sagt Joshua.
Angestoßen wurde »Resi« 2008 durch eine Spendenaktion des Vereins »wir helfen«, der das Projekt mit 600.000 Euro förderte. Es ist ein Kooperationsprojekt der JVA Siegburg als Vertreterin der Jugendvollzugsanstalten, der Kölner Bewährungshilfe und der Jugendgerichtshilfe. Auch die vier freien Träger Jugendhilfe e.V., Drogenhilfe gGmbH, der SKM e.V. und der SKF e.V. haben an dem Konzept mitgewirkt.
Neben Joshua wurden 25 jugendliche Intensivstraftäter, darunter zwei Mädchen, im Zeitraum von 2009 bis 2012 durch zwölf Case Manager betreut. »Die haben nicht einfach nur eine Packung Kaugummi am Kiosk geklaut«, beschreibt Monica Wunsch, Koordinatorin des Case Managements, die Klientel. »Die Teilnehmer waren alle schon häufig vor Gericht und haben einiges verbockt. Harmlos sind die nicht.«
1650 Jugendliche sitzen in NRW im Jugendstrafvollzug. Rund 70 Prozent der Jugendlichen werden nach ihrer Entlassung erneut straffällig. Die Bilanz des Kölner Resozialisationsprojektes ist positiv: 22 der durch »Resi« betreuten 26 Straftäter sind straffrei geblieben. Eine Betreuung durch »Resi« ist wesentlich günstiger als ein erneuter Hafteinsitz im Jugendvollzug. Ein Tag im Jugendvollzug in NRW kostet 111,55 Euro, das macht im Jahr etwa 40.000 Euro. Um ein Vielfaches geringer ist der finanzielle Aufwand für einen Betreuer, der bei etwa 8300 Euro im Jahr liegt.
Die Zukunft des Projektes ist jedoch ungewiss. Die Finanzierung durch »wir helfen« endet in diesem Jahr, und es ist noch nicht klar, wie es dann weiter gehen wird. Ein Antrag auf Finanzierung liegt beim nordrhein-westfälischen Justizministerium vor. Hier ist man jedoch weniger euphorisch als die Macher des Projektes. »Es gibt viele ähnliche Modelle in NRW mit ähnlichen Erfolgsquoten«, sagt Pressesprecher Detlef Feige. »Auch die müssen finanziert werden.« Bis Ende März konnte das Projekt erst einmal verlängert werden, das Angebot wurde jedoch drastisch zurückgeschraubt. Derzeit werden nur noch sechs Jugendliche betreut.
Für den Kriminologen Bernd Maelicke wäre das Aus von »Resi« ein Schlag: »Das Projekt nicht fortzusetzen, ist verantwortungslos.« Auch Joshua wünscht sich, dass das Projekt fortgesetzt wird und ihm »Herr Niegemann«, wie er ihn nennt, erhalten bleibt. Für die Zukunft wünscht Joshua sich eine Arbeit, einen geregelten Tagesablauf. »Ich möchte in Ruhe leben. Ich habe keine Lust mehr auf den ganzen Heckmeck.« Sein Traumberuf wäre Busfahrer, »wie mein Bruder«. Sobald seine Führerscheinsperre abgelaufen ist, will er Fahrstunden nehmen.