Wir müssen reden
Die Grundidee ist einfach: »Es geht darum, dass die Leute ihre Geschichten erzählen«, sagt Massimo Perinelli. Es gebe bis heute keine öffentliche Auseinandersetzung um die Geschehnisse im Jahr 2004, als in der Keupstraße eine Nagelbombe detonierte und 22 Menschen verletzt wurden. Und schon gar nicht würden die Opfer und ihre Geschichten gehört.
Diesen Umstand will die Initiative »Dostluk Sinemas?« (zu Deutsch: »Kino der Freundschaft«) mit der Film- und Begegnungsreihe »Von Mauerfall bis Nagelbombe« ändern. An fünf Abenden will man den überfälligen Austausch fördern, in Restaurants und Cafés an der Keupstraße. »Wir wollen das ganz bewusst in einem sozialen Raum machen, nicht vom Podium runter«, sagt Ayla Güler Saied.
Jede Veranstaltung wird mit einer Geschichte von Betroffenen aus der Keupstraße eröffnet. Im Anschluss wird ein Film gezeigt, der sich mit einem rassistischen Anschlag oder Pogrom der frühen 90er Jahre beschäftigt. Denn die Macher wollen auch auf Zusammenhänge zwischen den Anschlägen Anfang der 90er und dem NSU-Terror hinweisen. »Die Pogrome in Rostock oder Hoyerswerda werden oft als kurzer Taumel nach der Wiedervereinigung dargestellt. Gerade der NSU, der sich aus dem zu dieser Zeit agierenden »Thüringischer Heimatschutz« entwickelt hat, zeigt aber, dass es eine Kontinuität gibt«, so Perinelli.
Berichte von Experten und Betroffenen sollen den thematischen Zusammenhang nachzeichnen. So ist neben Heike Kleffner, Referentin im NSU-Untersuchungsausschuss des Bundes, auch ?brahim Arslan zu Gast, der beim Brandanschlag in Mölln 1992 drei Familienangehörige verlor. Auch den Austausch der Opfer möchte man fördern: »Es geht nicht nur um Türken in der Keupstraße, es geht auch um Vietnamesen in Rostock und Mosambikaner in Hoyerswerda. Es geht um etwas, mit dem alle konfrontiert sind: Rassismus«, so Saied. Der zeigte sich bei den NSU-Anschlägen auch von staatlicher Seite. Statt den Opfern zuzuhören, wurden sie kriminalisiert: »Die rechtsextremen Spuren wurden nicht verfolgt, stattdessen wurde jahrelang gegen das Umfeld der betroffenen Familien ermittelt«, sagt Perinelli.
Ausklingen sollen die Abende mit ungezwungen Gesprächen bei Getränken und Essen. Das sei ihnen wichtig, betont Saied. »Die Veranstaltungen sollen ja nicht nur Anklagen sein, sondern auch Einladungen in die Keupstraße. Chancen, einen Ort kennenzulernen, wo man sonst nicht hingeht.«