Meister aller Klassen
Wer sich in diesen Tagen mit neuen senegalesischen Tonträgern eindecken will, braucht gute Nerven und starke Entschlusskraft oder eine dicke Brieftasche. Es gibt traditionellen Salsa mit Nicolas Menheim, Salsa-Mbalax mit Super Cayor de Dakar, die feinen Aufnahmen von senegalesischen Salsamusikern aus den kubanischen Egrem-Studios – und es gibt eine neue CD von Orchestra Baobab. Abgesehen von einigen obskuren Veröffentlichungen in den 80er Jahren ist »Specialist in all Styles« das erste Album der Band seit 1982.
Am Sex ist die Band einst zu Grunde gegangen. »Anfang der 80er sind die jungen Frauen zu Youssou N’Dour gegangen. Und weil die jungen Männer, die mit den jungen Frauen ausgehen wollten, mit denen zu Youssou gegangen sind, sind sie nicht mehr zu uns gekommen.« Der Sänger Balla Sidibe beschreibt sehr knapp, woran und wie die erste Karriere von Orchestra Baobab gescheitert ist. Damals waren die Musiker von Baobab mit ihren etwa 40 Jahren ganz einfach draußen. Und Youssou N’Dours Karriere, er war damals Anfang 20, begann mit ziemlichem Tempo.
Das Comeback von Orchestra Baobab nach 20 Jahren ist eine der wenigen echten Sensationen in der populären Musik dieser Tage. Die Combo hatte in ihren Jahren zwischen 1970 und 1982 wirklich etwas zu erzählen. Sie stand beispielhaft für den Schmelztiegel Dakar, die Hauptstadt Senegals, sie spielte die coolste Tanzmusik des Kontinents, und ihre Platten waren nach dem Ende der Band die meistgesuchten überhaupt. Nicht zuletzt verweist dieses Comeback auf einen Paradigmenwechsel in der europäischen Wahrnehmung afrikanischer Popmusik. Der Hi-Tech-Sound, der unter der Überschrift Afro-Pop die Alben von Sängern wie Youssou N’Dour oder Salif Keita prägte, verkauft sich ganz einfach nicht mehr. Die Zeit ist reif für organischere Sounds.
Von ähnlicher Bedeutung wie Orchestra Baobab waren auf dem afrikanischen Kontinent vielleicht nur noch die Orchester und Combos des kongolesischen Gitarristen und Sängers Franco. Dakar und die einst zairische Hauptstadt Kinshasa waren zwei der bedeutenden Metropolen, deren Anziehungskraft auf Musiker aus allen umliegenden Ländern zuerst simpler finanzieller Natur war. Hier waren Regierung und Geld, dazu noch ausländische Diplomaten und Händler. Hier waren folglich die Clubs, die Abend für Abend ihr Publikum mit gepflegter Musik zu unterhalten hatten.
So entstand auch Baobab. Der neu eröffnete gleichnamige Club im Zentrum Dakars verpflichtete eine Hand voll der begabtesten jungen Musiker, die wie Fußballer von anderen Bands einfach weggekauft wurden. Darunter waren einige, die durchaus schon Meriten gesammelt hatten bei den zahlreichen Combos der Hauptstadt, die sich liebevoll um die immer neue Reproduktion von Salsa kümmerten. Der Club sollte nicht allzu lange Bestand haben, Baobab musste sich einige Male eine neue Heimat suchen.
Die Leistung von Orchestra Baobab ist kaum überzubewerten. Sie haben es geschafft, aus dem standardisierten Repertoire der Salsa-Schule auszubrechen und eine eigenständige Popmusik zu entwickeln, die für den Senegal fortan konstitutiv sein sollte, jedenfalls bis sich Mitte der 90er Jahre HipHop in den Vorstädten zu etablieren begann. Seit den 40ern hatte Salsa in Senegal die Szenen beherrscht. Wer sich auf dem riesigen Sandaga-Markt in Dakar auf die Suche nach Kassetten mit Aufnahmen von Bands macht, die einst die Clubs füllten, stößt immer wieder auf Gassenhauer wie »El Manicero«, »El Carretero« oder »Guantanamera«, das in den 60er Jahren in Dakar womöglich häufiger angestimmt wurde als in Havanna. Kubanische Musik, ganz allgemein zusammengefasst unter dem Label Salsa, wurde und wird im Senegal als kulturelles Eigentum reklamiert. Der Trompeter Ali Penda Ndioye, der lange bei No. 1 de Dakar gespielt hat, jener Band, die Baobab noch am ehesten Konkurrenz machen konnte, war im letzten Jahr Teil einer senegalesischen Musikerdelegation in Kuba und fasste dort ganz nüchtern zusammen: »Die Leute hier spielen unsere Musik. Kubanische Musik ist das, was unsere Vorfahren hierhin gebracht haben.«
Baobab war die Band, die die Dinge veränderte. Dass kaum ein Musiker aus Dakar und etliche aus anderen Ländern kamen, half sicherlich dabei, mit diesen Traditionen zu brechen. Den weitesten Weg nach Dakar hatte dabei der Gitarrist Barthelemy Attisso hinter sich gebracht. Er war Ende der 60er aus Togo gekommen, um in Dakar Jura zu studieren – und blieb bis 1985, als Musiker. Alle Mitglieder brachten ihre eigenen Traditionen bei Baobab ein, so entstand ein Stil, der die Smoothness und den Latin-Flow zwar beibehielt, aber mit anderen Elementen konterkarierte. Der Sänger Rudy Gomis aus Guinea-Bissau brachte eine portugiesisch geprägte Melancholie ein, Ndiouga Dieng einen würdigen und manchmal beinah strengen Ton in Wolof. Gesungen wurde nicht mehr in Spanisch (oder was die Sänger in Dakar dafür hielten), sondern eben in Wolof oder Mandinka.
In den 90er Jahren sind einige CDs veröffentlicht worden, die ein paar der Tonträger vorstellten, die Baobab um die Dekadenwende der 70er und 80er gemacht hatten. Zwei beim Buena-Vista-World-Circuit Label, einer bei Stern’s in London, eine Kompilation beim Frankfurter Label popular african music, immerhin ein Track auf einem Sampler des Groninger Kleinlabels Dakar Sound. Und wer immer mit Nick Gold (World Circuit), Günter Gretz (popular african music) oder Ted Jaspers (Dakar Sound) redet, hört bei ihnen schnell den Wunsch heraus, mehr von Baobab zu veröffentlichen. Der Katalog ist riesig, etwa zwei Dutzend LPs hat die Band immerhin gemacht. Das Rennen gemacht hat der agile Nick Gold, der im letzten Herbst schon die Doppel-CD »Pirates Choice« auf den Markt gebracht hat und sich jetzt der Hilfe jenes Musikers sicher sein konnte, der Baobab einst den Todesstoß versetzte: Youssou N’Dour bemühte sich persönlich um die Band und fungiert auf »Specialist in all Styles« als Co-Produzent.
Im Jahr 2002 ist Orchestra Baobab eine seltsame Erscheinung. Eine Legende erhält ihren Status durch Unerreichbarkeit, und wer eine legendäre Combo zu ihrer Zeit nicht gesehen hat, wird die Chance nie wieder erhalten. Der Gitarrist Franco ist lange tot, und die Beatles werden auch nie wieder auf der Bühne stehen. Allerdings Baobab. Einem kleinen Tour-Test im letzten Jahr folgte eine ausgedehnte Festival-Reise, die außerhalb Deutschlands, vor allem in England und den USA, so enthusiastisch kommentiert wurde, als sei die ganze aktuelle Popmusik Schnee von gestern.
Die Band wieder zusammen zu bringen, war allerdings erheblich schwieriger als in John Landis’ »Blues Brothers«. Vor allem die beiden wichtigsten Akteure sträubten sich. Barthelemy Attisso betreibt eine Anwaltskanzlei in der togolesischen Hauptstadt Lomé und hatte das Instrument seit Jahren nicht angefasst. Nick Gold versuchte es mit einem Trick: Er schickte Attisso einfach eine Gitarre. Der Saxofonist Issa Cissokho schließlich war der letzte, der aufhörte, sich gegen den Plan zu sperren. Er fährt in einem Daimler durch Dakar, den ihm der erste senegalesische Präsident Senghor schenkte, und spielte bis zuletzt ein Saxofon, das er vom ersten Präsidenten Guineas, Ahmed Sekou Touré, überreicht bekam. Irgendwann Anfang der 90er warf ihn Youssou N’Dour aus seiner Band – und so waren die Wege zur Versöhnung sehr lang geworden. Aber nach einer ersten Studio-Woche war klar, dass es den klassischen Baobab-Sound nicht ohne Cissokho gibt. Youssou musste ihn persönlich überreden.
Nun stehen für Baobab zwei sehr ausführliche Club-Tourneen durch Europa und Nordamerika an. Nach einem menschlich und finanziell desaströsen Paris-Abenteuer Ende der 70er schienen die Pläne, außerhalb Senegals Fuß zu fassen, eigentlich für immer zu Ende zu sein. Aber jetzt hat sich das Blatt gewendet. Orchestra Baobab verkauft so viele Platten wie nie zuvor und wird weltweit abgefeiert. Das ist eine späte Ernte, die da fett eingefahren wird. Aber sie ist verdient, und es ist faszinierend zu sehen, dass ein Comeback alter Helden musikalisch tatsächlich so produktiv sein kann.
Orchestra Baobab spielt am 19.11., 20.30 Uhr im Stadtgarten.