Wohnen in Köln: Trautes Heim
Seit vergangenem Herbst ist in der deutschen Wohnungspolitik nichts mehr so, wie zuvor. Zeitweise verging keine Woche, in der nicht eine der großen Tages- oder Wochenzeitungen Wohnungsnot und Mangel an bezahlbarem Wohnraum thematisiert hätten. Bundesweit demonstrierten Mieterinitiativen, in Hamburg und Berlin ist Stadtteilpolitik das wichtigste Thema linker Initiativen. Kampf gegen Gentrifizierung lautet das Stichwort. Politische Beobachter sind sich einig: Wohnungspolitik wird Wahlkampfthema.
Das ist das Ergebnis einer Entwicklung, die vor drei, vier Jahren — bezeichnenderweise mit Ausbruch der Finanz- und Euro-Krise — begonnen hat: Die Immobilienpreise sind massiv angezogen. Wer heute sein Geld sicher anlegen will, flüchtet in Sachwerte. Die Kredite für den Immobilienbau sind mit derzeit durchschnittlich drei Prozent irrsinnig günstig. Vom »Betongold« ist die Rede und davon, dass angeblich reiche Griechen oder Spanier ganze Straßenzüge in Berlin aufkaufen.
Immer noch sind zahlreiche Städte in Deutschland Boom-Zentren — im Gegensatz zu ländlichen oder verwitterten Industrieregionen wie dem Ruhrgebiet. Die Menschen wollen nach Frankfurt, nach Hamburg, Berlin — obwohl es immer unwahrscheinlicher wird, dort eine bezahlbare attraktive Wohnung zu finden. Und die Menschen wollen nach Köln. Treffen die Prognosen zu, werden in den nächsten zehn, fünfzehn Jahren zwischen 50.000 und 80.000 neue Bürger hier eintreffen. Keiner weiß, wie das sozialverträglich zu meistern wäre.
Aber steigen die Mieten tatsächlich? Der Immobilienverband IVD teilte jüngst mit, es gebe lediglich eine »scheinbare Mietexplosion und Wohnungsnot«. Vielmehr seien die Mieten in den vergangenen zwanzig Jahren durchschnittlich sogar um 22,8 Prozent gesunken, wenn man die Inflation einrechne. Das entscheidende Wort ist: durchschnittlich. Wir reden von Durchschnittswerten eines sozial und wirtschaftlich stark gespaltenen Landes. Freilich sind viele »strukturschwache« Gegenden von massenhaftem Wohnungsleerstand geprägt, Mecklenburg-Vorpommern etwa oder das Ruhrgebiet. Keine noch so niedrige Mieten vermag die Bürger dort zum Bleiben zu bewegen. Dafür explodieren die Mieten in mittleren Städten wie Ingolstadt (Preisanstieg um 20,5 Prozent in den letzten fünf Jahren) oder Ulm, und natürlich in Hamburg (19,7 Prozent) und Berlin (18,2 Prozent). Das sind die Zahlen für einen bestimmten Wohnungstyp: 75 Quadratmeter, vor zehn Jahren errichtet, normal ausgestattet. Rechnet man jedoch sämtliche Neuvermietungen ein, sind die Anstiege in den Großstädten monströs: 28 Prozent in Berlin, 23 Prozent in Hamburg, 17 Prozent in Frankfurt und 16 Prozent in München.
Und Köln? Köln rangiert in den Rankings der Städte mit den höchsten Mieten an dritter Stelle hinter München und Stuttgart. Auf diesem hohen Niveau ist der Kölner Mietspiegel mehr oder weniger konstant geblieben. Den alltäglichen Erfahrungen der Wohnungssuchenden entspricht das aber gar nicht. Oder ist das alles nur »gefühlt«? Einbildungen infolge einer politisch-medialen Kampagne? Auch für Köln gilt: Es handelt sich um Durchschnittswerte. Es existieren gravierende Unterschiede zwischen dem Mietniveau in Vingst und Lindenthal, Porz-Langel und Rodenkirchen. Als Vermieter in attraktiven, angesagten Vierteln wie Ehrenfeld, Deutz, dem Agnesviertel oder Teilen von Nippes kann man Preise deutlich über dem Mietspiegel verlangen. Mittelfristige bedeutet dies, dass Mieter verdängt werden: Gentrifizierung.
So bezeichnet die Sozialforschung einen baulichen, wohnungswirtschaftlichen und sozialstrukturellen Aufwertungsprozess von Stadtteilen, in denen man bislang noch vergleichsweise günstig leben konnte. Typischerweise leben in diesen Vierteln Menschen vorwiegend Menschen mit niedrigem sozialen Status, etwa Arbeiter oder Migranten. Gentrifizierung setzt ein, wenn zunehmend Studenten und Kreative aus Kunst und IT aufgrund günstiger Mieten, Anschluss an die Innenstadt und des alten, aber attraktiven Baubestands den Stadtteil für sich entdecken. Sie haben ein relativ niedriges Einkommen und höchstens ein Kind: Sie eröffnen Kneipen, Galerien, Off-Theater und werten das Viertel symbolisch auf. Man kann sie als Pioniere der Gentrifizierung bezeichnen. Dann ziehen die Gentrifier nach: Menschen mit höherem Sozialstatus, die besser verdienen. Sie sind älter, haben Familie, goutieren zugleich aber das alternative urbane Flair. Die neue Attraktivität des Viertels lässt die Mieten steigen. Oder Wohnungen werden in Eigentumswohnungen umgewandelt. Bald können sich die einstigen Pioniere das Leben hier nicht mehr leisten – und die Alteingesessenen schon gar nicht. Wo früher rustikale Eckkneipen waren, residieren nun moderne Cafés oder Feinkostläden. In Köln gelten die Südstadt und das Belgische Viertel als gentrifiziert. Auch im Agnesviertel und in Neu-ehrenfeld lässt sich dieser Trend ausmachen, sagt Jürgen Friedrichs.
Friedrichs, 74 Jahre, ist einer der führenden Fachleute, die sich wissenschaftlich mit Gentrifizierung in Deutschland auseinandersetzen. Der emeritierte Professor am Kölner Institut für Soziologie und Sozialpsychologie hat mit Jörg Blasius, Professor am Institut für Politische Wissenschaft und Soziologie der Universität Bonn, eine international einzigartige Untersuchung begonnen. Erforscht wird Gentrifizierung in Deutz und Mülheim. Die Panel-Studie verfolgt die Entwicklung über mehrere Jahre und ist außerdem ein neuartiges Wohnungs-Panel, in vier Wellen zwischen 2010 und 2014 werden die jeweiligen Bewohner der immer selben Wohnungen befragt, gegebenenfalls auch Nachmieter. So erfahren Friedrichs und Blasius, wer ein- und auszieht und wie die Bevölkerungsstruktur sich hinsichtlich Alter, Einkommen, Haushaltsform oder Bildungsstand wandelt. Sowohl in Deutz als auch in Mülheim, das belegt die Studie, hat Gentrifizierung längst eingesetzt. Doch während in Mülheim noch die Pioniere zunehmen, überwiegen in Deutz schon die Gentrifier. Dort sind bereits um die Jahrtausendwende mehr Menschen zugezogen, in Mülheim erst fünf Jahre später. Das mag an der günstigen Verkehrs-infrastruktur in Deutz liegen, während Mülheim noch unter dem Schmuddel-Image leidet. Die Befragungen ergaben, dass die Deutzer ihr Viertel in Fragen wie Sicherheit, Sauberkeit, Zufriedenheit mit der Wohnsituation zunehmend positiver bewerten. Aber auch in Mülheim sind die negativen Einschätzungen in den Spitzenkategorien bereits bis zu zehn Prozent zurückgegangen.
Laut Friedrichs ist der Prozess der Aufwertung, wenn er einmal begonnen hat, nicht mehr zu stoppen. Vermieter veredeln ihre Wohnungen durch Sanierung und Modernisierung, bei Neuvermietungen schnellen die Mieten nach oben. Oder die Mietwohnungen werden in Eigentumswohnungen umgewandelt. Die alten Bewohner werden verdrängt. Eine neue Dimension, so Friedrichs, erreicht Gentrifizierung dadurch, dass Informationen über Wohnungen und Stadtviertel weltweit zugänglich sind. Firmen kaufen Wohnungen auf, ohne selbst vor Ort sein zu müssen. Mitunter werden Gebäude einfach hochgezogen, um statushohe Menschen anzuziehen, das strahlt auf die Umgebung ab, wo dann auch die Mieten steigen.
Wenn aber die Viertel aufgewertet werden, wohin sollen dann die ärmeren Menschen umziehen? Zumal, wenn es wie in Köln immer weniger bezahlbare Wohnungen für sie gibt? Eine Möglichkeit, die Gentrifizierung zumindest zu verlangsamen, ist der sogenannte Milieuschutz. Andere Städte sind da weiter als Köln. In Berlin-Pankow sind seit Anfang des Jahres Luxussanierungen für 45.000 Wohnungen verboten. So dürfen Vermieter den Bestand nicht mit zweitem Badezimmer, Fußbodenheizung oder einem neuen Balkon aufwerten. Allerdings kann auch eine energetische Gebäudesanierung die Miete enorm erhöhen, ohne dass dies durch die sinkenden Heizkosten ausgeglichen werde, kritisiert der Deutsche Mieterbund.
Gentrifizierung ist dabei vielleicht nicht mal das drängendste Problem in Köln. Mindestens ein Jahrzehnt wurde der soziale Wohnungsbau vernachlässigt, unter der politischen Verwaltung der CDU wurden alle offenen Bebauungspläne neu geprüft, sozialer Wohnungsbau wurde gestoppt, Fördermittel flossen in Eigenheime. Eine verheerende Politik die Stadt.
Im Februar 2010 hat der Rat der Stadt ein Verwaltungskonzept »Preiswerter Wohnraum« verabschiedet, wonach jährlich 1000 geförderte Mietwohnungen geschaffen werden sollen. Doch im vergangenen Jahr wurden gerade mal 210 Sozialwohnungen gebaut. Dabei wären jährlich 1350 Wohnungen nötig — allein um die auslaufenden Belegungsbindungen, die nur 15 oder 20 Jahre bestehen, auszugleichen. Zehn Prozent Sozialwohnungen gelten als gute Richtschnur, nur 7,7 Prozent sind es in Köln, Tendenz fallend. Am sozialen Wohnungsbau erkennt man die soziale Spaltung der Stadt: Die meisten geförderten Wohnungen gibt es in den Stadtbezirken Chorweiler (24,5 Prozent), Kalk und Ehrenfeld (je 13), kaum jedoch in Lindenthal (1,1) oder der Innenstadt (2,6). Knapp die Hälfte aller Kölner Haushalte hat ein Anrecht auf eine Sozialwohnung mit einer monatlichen Kaltmiete von 5,10 Euro pro Quadratmeter.
Auch das im Oktober 2011 nach zehn Jahren neu aufgelegte Wohnungsbau-Förderungsprogramm, mit dem jährlich 35 Mio. Euro bereitgestellt werden, wird nur wenig daran ändern, dass es zu wenig günstigen Wohnraum gibt. Die Marktlogik setzt sich durch: Wer für den Immobilienbau nur drei Prozent Zinsen an die Banken zahlen muss, dafür aber eine Miete von über zehn Euro fordern kann, wird diesen Weg wählen. Zum Vergleich: Wer sich Kredite für den sozialen Wohnungsbau besorgt, muss sie mit bloß einem Prozent Zinsen zurückzahlen, dafür ist aber die Miethöhe, siehe oben, begrenzt. Es rechnet sich nicht. Dieser Logik folgen mittlerweile auch die Genossenschaften, sie verweigern sich seit Jahren dem sozialen Wohnungsbau. Zwar bleiben Bestandsmieten günstig, aber die genossenschaftlichen Neubauprojekte, etwa die Vorgebirgsgärten in Zollstock, orientieren sich am freien Markt.
Es gilt also, diese Marktlogik zu durchbrechen. Erste zaghafte Schritte wurden in Köln unternommen: Im Dezember haben SPD und Grüne ein »kooperatives Baulandmodell« gefordert. Vorbild ist das »München Modell«, mit dem dort unter anderem eine »sozialgerechte Bodennutzung« angestrebt wird. OB Jürgen Roters (SPD) will, dass bei Neubauten ein Mindestanteil geförderte Wohnungen entsteht oder aber die Investoren sich an den Kosten für notwenige Infrastruktur beteiligen, etwa an Kindergärten, Schulen, Spiel- und Sportplätzen. Außer in München gibt es ähnliche Richtlinien bereits in Hamburg, Bremen und Stuttgart.
Aber wir sind noch nicht am Ende der Fahnenstange: Gesetzt den Fall, die Politik hätte die Kraft, jährlich die 1350 benötigten Sozialwohnungen (und mehr!) zu realisieren. Auf welchen Grundstücken will sie bauen? Köln ist eine hoch verdichtete Stadt, in den nächsten Jahrzehnten wird die stadtplanerische Herausforderung sein, die Innenstadt wieder aufzulockern, Grünflächen und Durchlüftungsschneisen zu schaffen, um so auf den Klimawandel zu reagieren. Also — wo sollen die Leute hin? Ins Umland? Die angrenzenden linksrheinischen Gemeinden haben aufgegeben, Köln die Einwohner abzugraben. Sie scheuen die Kosten der nötigen Infrastruktur — Kitas, Schulen, Anbindung an den ÖPNV. All dies bereitzustellen, dafür fehlt auch Köln das Geld, der Plan, ein neues Stadtviertel zu schaffen, wurde stillschweigend fallengelassen: Es hätte sich um Kreuzfeld gehandelt, ein Areal nordwestlich von Chorweiler, Platz für 6500 Haushalte hätte man dort schaffen können.
Stimmen die Prognosen, wird Köln eine dynamische Bevölkerung anziehen: 20- bis 35-Jährige, Studierende, Auszubildende, Berufseinsteiger, kaum Familien (35- bis 50-Jährige ziehen samt Kindern tendenziell ins Umland). Nach Köln zieht es Menschen mit besseren Chancen auf dem Arbeitsmarkt, die überwiegend zahlungskräftig sind. Singlehaushalte werden weiter zunahmen. Die Verdrängung dürfte härter werden. Und die bauliche Verdichtung zunehmen. Denn für immer mehr neue Kölner stehen immer weniger Wohnungen bereit. Aus einer Zweier-WG wird eine Dreier-WG, andere holen ihre Familie nach, in einer Drei-Zimmer-Wohnung in Buchforst wohnen dann nicht mehr drei, sondern sechs Personen. Die durchschnittliche Wohnfläche pro Haushalt ist in Köln in den letzten zwei Jahren leicht gesunken, die Wohnungen werden dichter belegt. Der Ausdruck »Mietskaserne« könnte bald eine Renaissance erfahren.
Mittlerweile hat die Politik ein offenes Ohr für kollektive Formen des Zusammenlebens. Mehrgenerationenhäuser (für jeweils vierzig Leute) sollen gefördert werden. Eine radikale Idee wie Futur 3 (siehe S. 26) — der Umbau der alten Polizeiwache in Kalk in eine Kommune für 35 Leute —, wird von der Verwaltung nicht länger als utopische Projektemacherei linker Spinner abgetan. Doch die Forderung, länger ungenutzte Liegenschaften, etwa leerstehende Büro- und Fabrikgebäude, nicht-kommerziell zu nutzen, ist noch nicht »politikfähig«. In Köln wird derzeit nicht mal der Leerstand von Wohnraum konsequent geahndet.
Wohin mit den Verlierern des Verdrängungswettbewerbes? Hinter Engelskirchen purzeln die Preise. Much soll auch sehr günstig sein. Much? Von dort sind es nur vierzig Kilometer nach Köln.