Vergessene Stadttore
Und dann wird Andreas Hupke pathetisch. Er fürchte sich davor, dass Köln noch einmal einen Verlust erleiden müsse wie Ende des 19. Jahrhunderts, als unsentimentale Stadtplaner die mittelalterliche Stadtmauer radikal abrissen. "Jetzt stehen wir kurz vor einer ähnlichen Schandtat", so der Bezirksbürgermeister Innenstadt. Diesmal soll sie am Eisenbahnring begangen werden, der die Kölner Neustadt umschließt und dessen Brücken mit ihren mehr als hundert Jahre alten Stahlkonstruktionen das Stadtbild prägen "wie moderne Stadttore", so der Grünen-Politiker.
Die Deutsche Bahn plant, diese Brücken zu sanieren - und zwar auf eine Weise, die "funktionell und möglichst günstig ist", wie es bei der Bahn heißt. Was das bedeutet, lässt sich im Rechtsrheinischen bereits ablesen: anstelle des elegant geschwungenen Brückenbogens ziert nun ein einfacher Betonbalken den Pfälzischen Ring.
"2015 oder früher" sollen die Überführungen an Zülpicher und Luxemburger Straße in Angriff genommen werden. Dass sie und acht weitere Brücken unter Denkmalschutz stehen, fällt da nicht unbedingt ins Gewicht. Vor lauter Graffiti und Taubendreck lässt sich ihr Denkmalwert ohnehin schwer erkennen. Tatsächlich aber legte man beim Bau großen Wert auf Details: So werden die Balken-Bogenkonstruktionen am Südbahnhof von einem Ziegelmauerwerk gestützt, das mit einem besonderen Naturstein und weißen Keramikfliesen verblendet ist. Vorbild war die Berliner Stadtbahn, die ebenso wie der Kölner Eisenbahnring gebaut wurde, um die verschiedenen Kopfbahnhöfe der Stadt miteinander zu verbinden. Während man den Wert dieses Rings in Berlin jedoch erkannt und die Brücken zum Teil aufwendig wieder hergerichtet hat, rotten die Kölner Brücken vor sich hin, so dass beim Gedanken an den bevorstehenden Abriss kaum einer zusammenzuckt.Hinzu kommt, dass die Bahn denkbar intransparent agiert. Ihre Sanierungspläne wurden erst bekannt, als sie Lärmschutzwände entlang des Rings aufstellte und dabei die Brücken aussparte. Darüber hinaus mischt inzwischen auch die Stadtverwaltung mit: Das Amt für Straßen- und Verkehrstechnik meldete an, man wolle die Gelegenheit beim Schopfe packen und bei der Sanierung gleichzeitig die Fahrbahnen an Luxemburger und Zülpicher Straße verbreitern. "Wenn die Stadt das wünscht, bleibt uns nichts anderes übrig, als die Brücken abzureißen und neu zu bauen", heißt es bei der Bahn.
Roland Schüler ist diese Vorgehensweise wohlbekannt. "Das ist die klassische Haltung in Köln. Niemand will für den Abriss verantwortlich sein, aber dann kommt er trotzdem", sagt der stellvertretende Bezirksbürgermeister von Lindenthal. Er hat gemeinsam mit Walter Buschmann vom LVR-Amt für Denkmalpflege und dem Verkehrsplaner Peter Gwiasda ein Konzept zum Erhalt der Brücken ersonnen.
Gegen alle möglichen Einwände von Stadt und Bahn haben sich die drei gewappnet. Da sei zum Beispiel das Argument, man könne die Brücken nicht sanieren, weil sie aus nicht schweißbarem Puddelstahl gemacht sind. "Man kann den Stahl durch Schraub- und Nietkonstruktionen aber sehr wohl ertüchtigen", so Buschmann. Darüber hinaus sei es möglich, die Brücken in ihrer jetzigen Gestalt den Anforderungen des Verkehrs anzupassen. Um das Nadelöhr an der Zülpicher Straße zu entlasten, schlägt das Trio vor, den Abschnitt zwischen Dasselstraße und Universitätsstraße komplett autofrei zu halten und die KVB-Haltestelle aus dem Bahnbogen heraus Richtung Universität zu ziehen. "Diesen Abschnitt der Zülpicher Straße nutzen jetzt schon wesentlich mehr Rad- als Autofahrer", so Schüler. Und wozu eine Straße verbreitern, wenn der Autoverkehr in Köln generell seit Jahren sinke? Zudem wäre die neue Haltestelle gleichsam ein Entree zum Campus, was ganz nebenbei hervorragend mit dem Masterplan der Universität korrespondiere.
Auch Gerd Neweling vom Amt für Brücken- und Stadtbahnbau steht den Plänen von Schüler, Buschmann und Gwiasda mit Sympathie gegenüber. "Auf der Zülpicher Straße fehlen für sämtliche Fahrbahnen nur 85 Zentimeter, da kann man sicher noch ein bisschen quetschen." Daran schließt er die Warnung an: "Aufweitungswünsche von unserer Seite bieten der Bahn die perfekte Gelegenheit, uns einen Großteil der Sanierungskosten aufzudrücken.
"Schüler erwähnt anschließend noch die vielleicht wichtigste Idee: "Wir sollten beginnen, die Bahnbrücken ästhetisch aufzuwerten und ihre Torfunktionen in Szene zu setzen." Wie das geht, kann man am Beispiel der Marzellenstraße sehen: Mit ein bisschen Putzen und farbigem Licht ist aus einem verdreckten, stinkenden Tunnel eine kleine Attraktion geworden.
Andreas Hupke will unterdessen den Fall in den Rat einbringen und "alle demokratischen Mittel ausschöpfen, damit die Bahn nicht klammheimlich unsere Brücken abreißt". Er wünscht sich eine breite öffentliche Diskussion darüber, wie man die Brücken sanieren und aufwerten kann. "Auch die Bahn müsste eigentlich ein Interesse daran haben, ihr Vorgehen möglichst transparent zu gestalten. Aber der Konzern scheint aus Stuttgart 21 nicht das geringste gelernt zu haben."