Wie viel Mord darf’s denn sein?

Das Rose-Theegarten-Ensemble zeigt in Augen zu und durch, dass das Böse gute Gründe haben kann

Eine Frau mit Sonnenbrille in Shorts packt ihr Zelt aus. Umständlich hantiert sie mit den Zeltstangen. Kopftuch und Plusterhose tragend kommt eine weitere Frau hinzu. Sie bastelt sich ein beduinenartiges Zelt aus Baumwolltüchern und wird von der ersten misstrauisch beäugt. Nacheinander erscheinen drei Männer — ebenfalls mit Zelten. Auf dem Platz wird es langsam eng. Aggressionen machen sich breit.

 

Das Szenario ist der Einstieg in das neue Stück des Rose-Theegarten-Ensembles »Augen zu und durch — Darf man Menschen töten und wenn ja, warum?« unter der Regie von Thomas Wenzel und mit Beteiligung des nö-theaters. Dem Abend liegt die Annahme zugrunde, dass ein dualistisches Weltbild mit den Guten auf »unserer Seite« und den Bösen auf  der »anderen Seite« nicht mehr funktioniert. Der Zweck, der die Mittel heiligen soll, scheint kaum mehr herstellbar, weil es doch immer mehrere Perspektiven und Standpunkte gibt. Exemplarisch verhandeln die Figuren die Thematik zunächst auf dem Campingplatz. Ein Ort, an dem es darum geht, sein Revier zu verteidigen. Die Szenen kleben förmlich an der Beutungsschwere der Moral-Frage. Darf man einen Menschen töten, um die bessere Sicht auf den idyllischen Fluss zu haben? Nein. Darf man es, wenn man damit »Schlimmeres« verhindert?

 

Dann geht das Saallicht kurz aus. Die Schauspieler scheinen aus ihrer Rolle zu fallen. Und nun entfaltet sich die ganze Spiel- und Bewegungsfreude des Ensembles. Janosch Roloff fühlt sich genötigt, dem Publikum seine Figur zu erklären. Claudia Holzapfel hat genug vom ewigen Sich-Schuldig-Fühlen. Charles Ripley schwärmt von unbemannten Drohnenflugzeugen, während Bettina Muckenhaupt frontal zum Publikum über den Hunger in der Welt referiert.

 

Humorvoll stellen sie historische Tötungen (Osama Bin Laden) oder erträumte Tötungen (Hitler als Baby) nach. Immer wieder sprechen die Schauspieler direkt das Publikum an. Ist der Tyrannenmord in der Ära des Völkerrechts akzeptabel? Wenn man einen Krieg verhindert? Ab wann ist man Helfeshelfer einer Ideologie? Die Macher wollen Reaktionen hervorkitzeln, welche in diesem Rahmen allerdings nur zögerlich kommen. Dennoch entwickelt sich der Abend zu einem intelligenten Diskurs aus den spielerischen Möglichkeiten eines tollen Ensembles, das es am Ende schafft, dieses Thema ohne Moralkeule und mit Humor anzugehen.