Asiatische Steinfiguren und Ölporträts
Bizarr, aber schön soll es sein, das Museum Insel Hombroich. Heute will ich mir ein eigenes Bild machen und fahre die halbe Stunde, die die »Insel« von Köln entfernt liegt. Mein Studentenausweis bewahrt mich vor dem vollen Eintrittspreis, der ohne Ermäßigung beträchtlich ausfällt. Die erste Station der Parkanlage, die ich nun betrete, ist ein kleines Turmhaus. Ich gehe hinein – und sehe nur leere, weiße Wände. Was soll das? Dann klappt die wuchtige Tür, durch die ich hineingekommen bin, mit stattlichem Hall zu: ein Echohaus. Wer ein bisschen Zeit mitbringt, merkt, dass das Besondere die anderen Besucher sind. Hektische, die durch das Gebäude stapfen, den Hall gar nicht mitkriegen und nur denken: doofer Fake. Von den Alten hingegen kommt spontanes Singen, Do-Re-Mi oder Volksweisen. Kinder lachen und springen und schreien. Die Zaghaften versuchen dünn: »Hallo Echo«. Die Profis unter den Besuchern bringen Trommeln oder dieses baumlange australische Rohr zum Reinbrummen mit, zur akustischen Selbsterfahrung. Ich bleibe lange stehen und beobachte, so dass ich schließlich selbst auffalle. Ein Ehepaar spricht mich an: »Arbeiten Sie hier?«
Ich verlasse den Turm und treffe kurz darauf auf eine Gruppe von Männern mit schlohweißen Haaren: »Nein, das ist keine Führung. Wir haben unser jährliches Klassentreffen.« Die intakte Landschaft um sie herum weckt bei ihnen Erinnerungen: »Wisst ihr noch, Jungs, unsere Ungarnreise 1964?« Die üppige Vegetation fällt tatsächlich ins Auge. Vielleicht regt der sumpfige Grund die Pflanzen an, der sich an einigen Stellen durch Birken und Rohrkolben verrät. Die Blumen und Büsche, die hier in Gärten und auf Feldern wachsen, sind nahezu überlebensgroß. Jetzt, Ende Oktober, welken die letzten Blütenstände, und das Laub leuchtet rot und gelb.
Eine Erftaue prägt das Gelände. Bei ihrem Ankauf 1982 musste die Aue zunächst renaturiert werden. Sie wurde dann zum Ausgangspunkt des »Kulturraums Hombroich«, der durch weitere Grundstückskäufe schrittweise vergrößert wurde. Auf seinem Boden entfaltet sich heute ein erstaunliches Crossover an künstlerischer und wissenschaftlicher Aktivität. Es umfasst Künstlerateliers, ein Dokumentationszentrum für Musik und ein Institut für Biophysik. Die Gebäude der »Raketenstation«, wie dieser Abschnitt heißt, sind für die Besucher nicht freigegeben. An unterschiedlichen Stellen des Geländes finden nach Ankündigung zudem Veranstaltungen statt, die von Kammerkonzerten über Vortragsreihen zu Lesungen reichen, bei denen bereits Größen wie Heiner Müller und Sarah Kirsch aufgetreten sind.
Der eigentliche Clou des Geländes sind kleine, rote Ziegelgebäude, auf die man immer wieder stößt. Drinnen gibt es Kunst und Sehenswertes, bunt gemischt aus unterschiedlichen Zeiten und Ländern. Und das in einem seltsamen Nebeneinander. Eine jahrhundertealte asiatische Steinfigur stiert mit riesigen weißen Augen. Gleich daneben stehen schnieke schwarze Designerskulpturen, wenig entfernt hängen klassische Portraits in Öl. An einer anderen Stelle ist eine Ritterrüstung aufgebaut.
Die Besucher lassen sich nicht allein von den Namen bekannter Künstler beeindrucken, deren Werken hier vertreten sind. Denn Infotafeln mit Name, Titel, Jahr fehlen völlig. Entweder haben einem die Werke etwas von sich aus zu erzählen – oder man schlendert eben weiter.
Die Ziegelhäuschen sind verschieden geformt. Eines biegt sich wie eine Schnecke, ein anderes besteht aus einem quadratischen, platten Block, und ein nächstes ist dann wieder hoch wie eine Kathedrale, um so gigantischen, meterhohen Gemälden Raum zu geben.
Diese Gebäude, von denen viele Erwin Heerich entworfen hat, gefallen der Architekturstudentin Lise besonders. Sie ist mit zwei Freunden aus den Niederlanden angereist, nachdem ein Kommilitone ihr den Tipp mit der »Insel« gegeben hat. Gerade sitzen die Drei in dem Café im Zentrum des Parks, wo sie sich an einem Büffet bedient haben. »Hjet is lekker!« sagt Lise mit vollen Mund. Doch das Büffet hat auch wieder eine bizarre Note. Es bietet Brot, Zwiebeln, Apfelmus, heiße Kartoffeln, Obst und Schmalz. An allen Tischen sieht man Gäste diesen seltsamen Schmaus einnehmen, was für eine Art kulinarisches Gemeinschaftgefühl sorgt.
Die Preispolitik des Cafés hebt die Stimmung zusätzlich: Alle Speisen und Getränke sind kostenlos! Eine Gruppe von Frauen um die 40 fühlt sich für den hohen Eintrittspreis entschädigt: »Da könnte man ja einfach den ganzen Tag im Café bleiben. Und dann ist das im Endeffekt gar nicht mehr so teuer.«
Schließlich will ich zum Ausgang gehen und begegne dort dem Ehepaar, das mich im Turmhaus schon angesprochen hatte. Die beiden haben mir nicht recht geglaubt, dass ich tatsächlich nicht auf dem Gelände arbeite. Mit verstörten Gesichtern verlangen sie Aufklärung: »Diese komischen Häuschen, in denen alles durcheinandern steht, und nirgends sind Schilder! Was soll dieser Unsinn überhaupt?«