Fucked up: Gorkis Familienbande
Die letzte Premiere der Ära Beier hatte die Hausherrin eigentlich selbst inszenieren wollen. Ein Farewell mit Maxim Gorkis »Die Letzten« nach sieben Jahren, so wie Hebbels »Die Nibelungen« als Begrüßung gemeint waren.
Daraus wird nun nichts. Anstelle der Intendantin sitzt Sebastian Nübling, der Theater oft klassisch macht und es dabei brillant attackiert, am Regiepult. Das Stück aber bleibt und wirkt wie eine Fortsetzung von Beiers »Die Schmutzigen, die Hässlichen und die Gemeinen«. Alexej Maximowitsch Peschkow, der sich Gorki (»der Bittere«) nannte, versammelt in diesem recht unbekannten Drama Betrüger, Schläger, Schmarotzer, Karrieristen — alle aus einer Familie.
Kreispolizeichef Iwan Kolomizew ist ein so pathetischer wie gefährlicher Popanz, der vom Dienst suspendiert wurde, weil er Verdächtige nicht nur gefoltert, sondern auch ermordet haben soll. Mit Ehefrau Sonia und den fünf Kindern wohnt er nun bei seinem gutmütigen Bruder Jakow, einem reichen Industriellen, der zur Geldkuh wird. Die genusssüchtige Tochter hat aus Berechnung den Arzt Leschtsch geheiratet, einen karrieristischen Strippenzieher. Sohn Alexander tritt als Säufer und zukünftiger Polizist in die Fußstapfen seines Vaters. Auch die jüngsten Kinder Wera und Pjotr werden allmählich zu berechnenden Zynikern. Und die missgebildete Tochter Ljubow, die aus Sonias Seitensprung mit Jakow hervorgegangen ist, gibt die eiskalte Analytikerin.
Am Ende stirbt der wehrlose Jakow nach einer vorsätzlich falschen Behandlung durch den Arzt und Iwan kann endlich das Erbe antreten. Gorki lieferte 1908 mit »Die Letzten« nicht nur eine bissige Analyse der Gesellschaft im vorrevolutionären Russland, sondern zeigt, wie Machtmissbrauch, Gewalt und Korruption bis ins Innerste einer Familie hineinreichten.
Karl Kraus brachte das ein Jahr später in seinem Band »Sprüche und Widersprüche« auf den
aphoristischen Punkt: »Das Wort ›Familienbande‹ hat einen Beigeschmack von Wahrheit«.