Vielleicht später einen Kaffee: Leben in der Raucherkneipe; Foto: Manfred Wegener

Zigaretten und Alkohol

Ab dem 1. Mai darf auch in Gaststätten und Kneipen nicht mehr geraucht werden. Ein letzter Besuch

Klick, klick. Klack, klack. Das Geräusch der Feuerzeuge ist allgegenwärtig. Eine Handvoll Männer und Frauen sitzen oder stehen an diesem Mittwochmorgen in der kleinen Kneipe unweit der Agneskirche. Kölsch, ein bisschen Palaver. Vor allen auf dem Tisch: Zigaretten. Ernte 23, Reval, Lucky Strike, John Player Special, Fortuna. Draußen ist es verregnet, drinnen verraucht.

 

Mit dieser städtischen Sozio-Idylle ist bald Schluss. Ab dem 1. Mai 2013 darf in Nordrhein-Westfalens Gaststätten nicht mehr geraucht werden, »unabhängig von der Betriebsart, Größe und Anzahl der Räume«. Auch die sogenannten Raucherclubs sind dann Geschichte. Einsprüche gegen das verschärfte Nichtraucherschutzgesetz NRW wurden reihenweise abgeschmettert. Ende März noch lehnte das Bundesverfassungsgericht eine Klage von Kneipenbetreibern aus dem Ruhrgebiet ab.

 

Aus dem Radio tönt Phil Collins‘ »In The Air Tonight«. Ein Mittvierziger trommelt das berühmte Drum-Fill mit dem Feuerzeug mit, gleich neben ihm steht der massive Zigarettenautomat, das emotionale Zentrum des Gastraums. Alle sprechen mit kölschem Einschlag, nur einer fällt aus dem Rahmen. Die anderen nennen ihn den Österreicher, wie in einem Gangsterfilm. Man spricht über Fußball. Steigt der FC auf? Dabei wird geraucht: So wie Geher immer einen Fuß auf dem Boden haben müssen, muss hier immer eine Zigarette angesteckt sein. Zumal man ja so lange nicht mehr darf.

 

Es gibt nicht nur eine Kulturgeschichte des Rauchens, sondern auch eine der Rauchverbote. Im Mittelalter hatte vor allem die Kirche etwas gegen die aus Süd- und Mittelamerika eingeschleppte Sünde. Der russische Zar Michail I. ließ im 17. Jahrhundert überführte Raucher auspeitschen, der türkische Sultan Murad IV. ließ sie gleich köpfen.  In Preußen galt bis 1848 ein strenges Rauchverbot. In den USA erklärten mehrere Bundesstaaten Ende des 19. Jahrhunderts den Handel mit Zigaretten für illegal. Die New York Times schrieb 1884 vom drohenden »Untergang des Landes« durch Tabakkonsum. 30 Jahre später verteilte das National Cigarette Service Committee zur Motivation der Truppen Zigaretten an der Front.

 

Am Kneipeneingang prangt das Schild der Pro-Raucher-Bewegung »Mensch-Kultur-Kneipe«. »Mensch-Kultur-Lungenkrebs«, wie ein Kollege immer sagt. Ein Neuankömmling in Windjacke nähert sich, die anderen sehen ihn schon von draußen und ordern vorsorglich ein Kölsch. Eigentlich wollte er ja erst mal einen Kaffee, sagt er, aber jetzt ist das Kölsch ja da, sei‘s drum. Vielleicht später noch einen Kaffee. Zigaretten und Alkohol passen eh besser zusammen. Im Mittelalter sprach man vom Tabak saufen, in Ermangelung eines eigenen Wortes. Eine ältere Frau erzählt vom Schicksal einer Bekannten. »Die hat Lungenkrebs und Leberzirrhose, is dat nit schrecklich.«

 

Im 17. und 18. Jahrhundert wurde dem Rauchen eine leistungssteigernde und reinigende Wirkung nachgesagt. Die erste umfassende Studie, die einen Zusammenhang zwischen Rauchen und Lungenkrebs feststellte, erschien 1950. Ernst für die Tabakindustrie wurde es aber erst, als 1964 ein zweiter Bericht des US-Gesundheitsministierum erschien, der so genannte Terry-Report, aus dem die Warnhinweise auf den Packungen resultierten. Und Typen wie der Marlboro-Man oder die Comicfigur Joe Camel, die das Rauchen mehr denn je als Lebensgefühl transportieren sollten.

 

Nicht der Marlboro-Man, aber zumindest ein Tobaccoland-Mitarbeiter kommt rein und leert den Automaten. Scheppernd plumpsen die Münzen in sein kleines Geldsäckchen. »Da hat einer eine Glückssträhne«, ulkt der Österreicher. Derweil schieben sich mit tiefergelegten Raucherstimmen die Unterhaltungen voran. Man ist vereint in Ablehnung der Obrigkeit. Die Polizei, die draußen an der Neusser Straße Radfahrer auf der falschen Straßenseite anhält? Geht gar nicht. Rauchverbot in Kneipen? Geht gar nicht. »Alles Abzocke«, so das einhellige Urteil.

 

Einst war Rauchen ein revolutionärer Akt. Im 19. Jahrhundert galt der Tabakkonsum als Insubordination, das gegenseitige Feuergeben hob die Hierarchie der Ständegesellschaft auf. Im 20. Jahrhundert waren Zigaretten für Frauen ein Symbol der Gleichberechtigung. Diese Tendenz gibt es auch heute noch: Wenn Frauen in der arabischen Welt rauchen, widersetzen sie sich damit patriarchalischer Bevormundung. In großen Teilen der westlichen Welt ist Rauchen nurmehr ein Signum der sozial Schwächeren, denen die paradigmatische Optimierung der eigenen Gesundheit und damit Schaffenskraft mangels Chancen oftmals egal sein kann. So gesehen auch das eine Art subversiver Akt.

 

Nun sollen diese Menschen aus ihrem letzten Refugium, dem Eckkneipen-Ghetto verstoßen werden. Volkserziehung auf die rabiate Art. Oder doch nur Schutz der Menschen vor sich selbst?

 

Ab dem 1. Mai darf nicht mehr geraucht werden, auch nicht in der kleinen Kneipe unweit der Agneskirche. Darauf schnell noch ein Kölsch. Prost, Österreicher. Zigarette? Klar. Klick, klick. Klack, klack.