Löwenmusik
Rund um die Philharmonie findet vom 30. April bis zum 12. Mai das dritte »Acht Brücken«-Festival statt. Um das Werk des kosmopolitischen Komponisten Iannis Xenakis (1922-2001) wird ein dichtes Netz zeitgenössischer Musik gesponnen. Kompositionen elektronischer Musik stechen hervor. Was macht die anhaltende Faszination der Elektronik aus? Felix Klopotek geht im Werkstattgespräch mit Marcus Schmickler ins Detail: Wie komponiert man eigentlich Neue Musik? -Brücken verbinden nicht nur, sondern können auch unheimlich sein — Assoziationen zur Düsternis vieler Elektronikkompositionen liegen auf der Hand: Manfred Wegener steuerte die Fotos bei.
Manchmal kann es so einfach sein — auch wenn es höllisch schwierig zu beschreiben ist: Wir müssen uns Iannis Xenakis vorstellen, wie er auf einer sommerlichen Wiese sitzt und den Zikaden lauscht. Ein dichtes, unendlich vielstimmiges, dennoch kohärentes Klangerlebnis, chaotisch und dabei ein Kontinuum bildend. Jeder kennt diese Naturphänomene — Regenprasseln, das Rauschen des Windes in den Blättern der Bäume. Xenakis verglich einmal die Hörsituation bei einer seiner Kompositionen mit der eines einsam auf einem Felsen im Meer Ausharrenden — um ihn herum nur das Tosen der Wellen.
Überraschend, wie sehr jemand, der wie kein anderer für die Adaption musikfremder Organisationsmethoden steht, der mit seinen Werken Futter für Mathematiker, Architekten oder Informatiker liefert, auf natürliche Hörerfahrungen rekurriert und und auf Metaphern zur Veranschaulichung seiner Musik zurückgreift, die der Beethoven-Zeit hätten entspringen können. Aber die -vermeintliche Unmittelbarkeit kippt, wenn sie in einem anderen Medium dargestellt wird: Wenn aus dem Naturphänomen Zikadengesang Musik werden soll. Wie kann man diesen in einer Partitur notieren? Unmöglich. Bis Xenakis entdeckte, dass mit Hilfe mathematischer Methoden der Mengenbewältigung — Statistik, Wahrscheinlichkeitsrechnung — sich auch schier gigantische Massen von Tönen, strukturieren und bestimmten -Parametern zuordnen lassen.
Wir sind an dieser Stelle ganz nah am Geheimnis der elektronischen Musik — warum ziehen uns 50, 55 Jahre alte Stockhausen- oder eben Xenakis-Kompositionen immer noch an (oder stoßen uns ab)? Die Elektronik ist das Medium, das es ermöglicht, von den einfach scheinenden, tatsächlich hochkomplexen Naturphänomenen zu ihrer Übertragung in ein angemessen komplexes Musikstück zu gelangen. Die Elektronik eröffnet nicht nur ein erweitertes Klangspektrum, sondern vor allem neue Möglichkeiten der Organisation. Der Einsatz der Elektronik knüpft an ein ungebrochen aktuell gebliebenes Ideal der Romantik an: die Verschmelzung von Kunst und Leben, die Vergeistigung der Natur. »Kontakte« heißt ein bahnbrechendes Werk von Karlheinz Stockhausen (1958-60 entstanden), und es geht längst nicht nur um die Kontakte – und die daraus resultierenden Klangverschmelzungen – zwischen Elektronik und konventionellen Instrumenten. Es ist auch der Kontakt zwischen Himmel und Erde gemeint, zwischen dem Heiligen Geist und uns armen Sündern. Das Motiv der Verschmelzung, ob religiös grundiert oder nicht, zieht sich durch viele klassische Werke der elektronischen Musik.
Und heute? Sechzig Jahre nach den Pioniertaten?
Der Kölner Komponist Marcus Schmickler — er ist mit der Uraufführung von »Kemp Echos« auf dem »Acht Brücken«-Festival vertreten — bedient sich für seine ak-tuelle Arbeit »Politiken der Frequenz« (2011) der Methode der Sonifikation (Verklanglichung): Zusammen mit dem Programmierer und Musikwissenschaftler
Julian Rohr-huber hat er Verklanglichungsmittel arrangiert, um Phänomene der Mathematik in Musik umzu-setzen. Wir unterhielten uns mit Schmickler über »Politiken der -Frequenz«, seine Begeisterung für Xenakis und das making of seines neuen Werkes.
Wenn Du Dich der Sonifikation bedienst, wie groß ist Deine künstlerische Entscheidungsfreiheit? Oder anders gefragt — an welchem Punkt setzt sie ein?
Die Frage ist doch — was ist eigentlich »künstlerisch«? Es gibt dabei ein paar strukturelle Proble-me. Wenn man unterschiedliche mathematische Probleme als Klang beschreibt, muss die Auswahl der Klänge und die Verfahrensweise gleich bleiben, damit man diese unterschiedlichen Problemkomplexe überhaupt miteinander in Bezug setzen kann. Wenn die Klangsynthese jeweils eine andere ist und auch andere zeitliche Parameter an-gewandt werden, dann wird eben nur klar, dass etwas anders ist. Es geht also um die Frage des Mappings, das heisst, wie ordnet man bestimmte Parameter in einer mathematischen Funktion einem Klang zu? Das ist das Kernproblem. Für »Politiken der Frequenz« haben wir uns entschieden, nur die einfachst denkbare Klangsynthese zu verwenden, eine additive Synthese, die mit Sinuswellenformen arbeitet. Ich muss dazu sagen, dass ich weniger an der wissenschaftlichen Methode der Sonifikation im strengen Sinn interessiert bin. Mich interessiert eher das Aufzeigen von Schwierigkeiten dabei — das ist eine Produktion von Differenzen: Was bleibt übrig, wenn man alles so »richtig« macht, so methodisch korrekt, wie es nur eben geht? Es bleibt ein Rest, der sich nicht genau auf die Anwendung dieser Methode zurückführen lässt.
Rein phänomenlogisch beschreibt das Stück »Politiken der Frequenz« eine bestimmte Spannung. Wenn man unvoreingenommen und ohne weitere Kenntnis von der Methode der Sonifikation das Stück hört, dann hat man den Eindruck, es vollzieht sich eine zunehmende Verschränkung klanglicher Ereignisse. Das Stück wird reicher, dichter, auch schroffer.
Ich habe nichts dagegen, wenn Du das so wahrnimmst. Strukturell ist es so gedacht, dass jedem der mathematischen Themen, die wir in dem Stück aufgreifen, der gleiche Raum zugeordnet wird. Das drückt sich schon darin aus, dass die Einzelabschnitte jeweils etwa 3.20 Minuten lang sind. Insofern haben wir eine serielle Anordnung gewählt, keine, um einen Spannungsbogen zu erzeugen. Klar kann man die Frage stellen, warum welches mathematische Phänomen an welcher Stelle behandelt wird — warum folgt die Behandlung der »surrealen Zahl« auf die der »Eins«? Aber die Frage der zunehmenden Spannung haben wir uns nicht bewusst vorgelegt. Genau darin liegt eine der unter musikalischen Kriterien spannenden Möglichkeiten in der Methode: einem strukturellen Plan zu folgen, ohne sich dabei direkt an eine Logik von Affekt und Wirkung zu halten, sich überraschen zu lassen.
Mein Bezug auf die unmittelbare Wahrnehmung hat einen Hintergedanken: So fängt doch die Auseinandersetzung mit Musik an. Am Anfang Deiner Beschäftigung mit Xenakis stand sicherlich nicht Deine Faszination für die mathematische Methode, sondern einfach eine klangliche Überwältigung durch diese tatsächlich massenhaften, unübersichtlichen Ereignisse innerhalb einer seiner Kompositionen.
Ja, sicher. Ich hatte zwei prägende Erlebnisse, zum einen eine große Xenakis-Aufführung in der damals gerade neu eröffneten Kölner Philharmonie, das war wohl Ende 1986. Ich habe mir gleich eine CD mit einer Interpretation dieses Werkes gekauft — und ich muss sagen: Ich habe zunächst gar nichts verstanden! Das ist natürlich reizvoll, dieses Fremde und Unzugängliche, man will ja hinter das Geheimnis dieser Musik kommen. Dann habe ich Jahre später ein ganz anderes Werk von Xenakis gehört, »Legende D’Eer«, eine Komposition elek-tronischer Musik — und die schien mir zugänglicher, auch vor dem Hintergrund der elektronischen Musik, die ich damals schon gehört hatte und die Mitte der 90er Jahre sehr stark rezipiert wurde — alles von Techno über Industrial bis zur französischen Musique concrète. Das Stück von Xenakis war aber jenseits davon, ein ganz eigenständiger, starker, unabhängiger Entwurf.
Hast Du Dich dann in eigenen Kompositionen direkt mit Xenakis auseinandergesetzt?
Nein. (überlegt) Oder, naja, was heißt »direkt«? Ich habe mich sehr mit Glissandi auseinandergesetzt. Ist das jetzt ein direkter Bezug auf Xenakis, weil Glissandi bei ihm auch eine große Rolle spielen? Aber worauf verweisen sie? Er bedient sich da Analogien zur Architektur. Seine Musik ist schon sehr voraussetzungsvoll, und es sind andere Voraussetzungen, als die, von denen ich ausgehe. Man kann nicht auf die Verwendung von gleichen Kompositionselementen auf eine direkte Beeinflussung oder Auseinandersetzung schließen. Ich habe allerdings Algorithmen, mit denen er für sein Stück »Gendy« gearbeitet hat, verwendet. Das ist aber keine Adaption, kein »Remix«, es geht viel mehr um eine Übertragung dieser Algorithmen in eine andere Software. Außerdem scheint mir plausibel, wie sich in seinem Werk das Denken in Musik artikuliert.
Von Xenakis zum Acht-Brücken-Festival. Von Dir wird es eine Uraufführung geben, »Kemp Echoes«.
Das Stück findet übrigens an einem Stockhausen-Abend statt.
Eben, das ist ja irgendwie typisch kölsch: Das Festival ist Xenakis gewidmet, Du arbeitest Dich ja auch an ihm ab, aber der Abschlussabend, an dem Dein Stück zu hören sein wird, feiert Stockhausen.
Wie gesagt, man muss sich immer wieder mit anderen Prämissen auseinandersetzen. »Kemp Echoes« findet zwischen zwei Aufführungen von Stockhausens »Mixtur« statt, »Mixtur« wurde 1964 geschrieben und es ist eines der ersten großen Stücke für Orchester und Live-Elektronik. Das Orchester wird in fünf Gruppen eingeteilt, zwei Bläser- und zwei Streichergruppen, die sich jeweils voneinander unterscheiden: die einen Streicher etwa spielen Pizzicato, die anderen mit Bogen. Dann kommen noch drei Becken hinzu. Der Klang jeder Gruppe wird durch Ringmodulatoren transformiert. Durch die Ringmodulation werden Differenztöne produziert. Der Modulator erzeugt eine Frequenz, die eine Sinuswelle ist, und dann speist man in ihn das Signal, sagen wir, der Streichergruppe ein. Dadurch entstehen ein Differenzton und ein Additionston, die Summe dieser Frequenzen kommt dann beim Publikum an.
Für Dich fungiert das Stück von Stockhausen als Vorlage, von der Du Dich hast inspirieren lassen?
Genau, ich wollte mich in diesen Gefilden weiter bewegen und habe mich gefragt, was sich heute noch mit Ringmodulationen an-stel-len ließe. Zwei Sachen sind mir dazu eingefallen. Zum einen ein psychoakustisches Phänomen, was überhaupt nichts mit Elektronik zu tun hat: dass es Differenztöne gibt, die das Ohr erzeugt — und zwar aus zwei Frequenzen, die es hört. Es entsteht ein dritter Ton im Ohr, ich denke, wir alle haben das schon mal erlebt, wenn auch nicht immer bewusst. Der Ton ist einfach da, da kann man sich drehen und wenden, wie man will. Der Differenzton entsteht im Gehör. Hierauf bezieht sich auch der Titel »Kemp Echoes«. Mit dieser Artefakt wollte ich arbeiten. Zum anderen hatte ich die Vermutung, dass das Phänomen, das wir bei einer Ringmodulation hören, auch bei Holzbläsern eine Rolle spielt, auf denen kann man nämlich Multiphonics erzeugen — eine spezifische Mehrtönigkeit. Peter Veale, der Oboist der Kölner musikFabrik?…
…?das Ensemble, das »Kemp Echoes« aufführen wird?…
…?hat mir dabei viel geholfen. Wir haben zahlreiche Tests und Experimente gemacht und tatsächlich Ringmodula-tionen entdeckt, Klangphänomene, die bislang in keinem mir bekannten Werk der Oboen-Literatur verzeichnet sind.
Wie kann ich mir das vorstellen?
Zunächst mal ganz grundsätzlich gesagt: Als Bläser, als Holzbläser in unserem Fall, produziert man eine stehende Luftsäule, die wird durch das Spiel mit den Klappen unterteilt, dann schwingt sie anders, und so klingen dann auch die Töne anders, mal höher, mal tiefer. Aber was schwingt bei Mehrtönigkeit? Gibt es vielleicht mehrere stehende Luftsäulen in einem Instrument, die sich nach einem chaotischen Prinzip gegenseitig in der Schwebe halten, bis es kippt und sich eine als die dominierende durchsetzt? Wir konnten zeigen, dass sich Multiphonics auf Differenztöne zurückführen lassen, die aus der Differenz zweier Luftsäulen eine dritte erzeugen. Diese Differenz wird durch bestimmte Grifftechniken auf dem Instrument möglich.
Aus diesen Differenztönen hast Du die Komposition entwickelt?
Richtig, ich habe sie, nachdem wir sie herausgearbeitet hatten, einer Spektralanalyse unterzogen und sie in Teiltöne zerlegt. Diese Teiltöne, ursprünglich von der Oboe erzeugt, werden vom ganzen Ensemble gespielt.
Es ist sozusagen eine Transformation — die musikFabrik spielt die Multiphonics.
Nein, präziser: Teile davon.
Das ist praktikabel? Für mich hört es sich an, als müsse man höllisch präzise spielen, um diese Differenzen exakt zu erzeugen?… Ja.
Nur »ja«? Nichts weiter? Nichts weiter.
Ich habe es vielleicht ein bisschen vereinfacht. Denn irgendwann wird Präzision zur Pseudopräzision. Die Ableitung der Teiltöne aus den ursprünglichen Multiphonics kann nie perfekt sein, egal, wie penibel man vorgeht, es bleibt immer bei einer Annäherung. Es ist einfach so, dass Multiphonics auf jeder, sagen wir, Oboe anders klingen, auch wenn die Spieler die gleichen Griffe verwenden, auch wenn es sich jeweils um ein und denselben Spieler handelt. Peter Veale hat das Standardwerk für Oboen-Multiphonics geschrieben, etwa vierhundert verschiedene Möglichkeiten stellt er darin vor. Jede ist perfekt beschrieben. Das hat mich natürlich herausgefordert.
Inwiefern?
Na, ich wollte sehen, ob Peter nach seinem eigenen Buch spielen kann, ob die Multiphonics tatsächlich exakt zu realisieren sind. Er hat es hingekriegt, aber es ist eine ungeheure Tüftelei, eine riesige Anstrengung. Chaos und Präzision liegen sehr eng beieinander.
Es gibt immer eine Lücke im System.
Und trotzdem heißt es nicht, dass man kein System braucht.
Wie muss ich mir die konkrete Arbeit an so einem Stück vorstellen? Wie sehen die Proben aus?
Es gibt relativ wenige Proben. Zu den glorreichen Zeiten von Xenakis und Stockhausen waren die finanziellen Rahmenbedingunen andere. Stockhausen hat in seine Partitur zu »Mixtur« festgeschrieben, dass sechs vollständige Arbeitstage geprobt werden müssen — 54 Stunden. Mein Stück bekommt drei Probentage à drei Stunden. Allerdings hat mir das Ensemble Einzeltreffen mit den Musikern ermöglicht, um Details zu erarbeiten.
Aber man muss auch berücksichtigen, dass heutige Ensembles, wie eben die musikFabrik, schon sehr vertraut sind mit den Arbeitsweisen in der Neuen Musik. Die haben doch eine andere Einstellung als ein Orchester aus den 60er Jahren, ihre Sensibilität für diese Musik ist viel ausgeprägter.
Das ist richtig. Die musikFabrik ist mit allen Wassern gewaschen, wer weiß, die langweilen sich vielleicht schon am zweiten Tag einer Stockhausen-Probe. Nur: Stockhausen hat sich mit seinen Vorgaben durchaus mehr gedacht, es ging ihm nicht nur um die Arbeit mit eher ahnungslosen Orchestern, die man erst mal in die Materie einführen müsste. Es ging ihm um eine Einstimmung, eine Versenkung in das Stück, die dann auch die größtmögliche Präzision bei der Aufführung ermöglicht.
Noch mal konkret gefragt: Ist »Kemp Echoes« ein Kommentar zu Stockhausen?
Nein, das ist mir zu eng. Es ist der Versuch, noch einmal Neuland zu betreten. Natürlich bin ich nicht der erste Komponist, der psychoakustische Phänomene für das Komponieren direkt produktiv ma-chen will. Ich denke etwa an Maryanne Amacher, Phil Niblock, Alvin Lucier James Tenney oder auch Giörgy Ligeti. Aber es existieren nun mal wenige Ensemble-Stück, die diese Phänomene reflektieren. Meistens findet das in elektronischen Stücken statt, die sind annähernd perfekt zu kontrollieren. Ein Ensemble kann man aber nicht dergestalt kontrollieren, es kommt zu einer Menge von Unwägbarkeiten, und das finde ich spannend. Enno Poppe, der das Ensemble an diesem Abend dirigieren wird und der selber ein brillanter Komponist ist, kann damit sehr gut um--gehen. Unwägbarkeiten wird es auch für die Zuschauer geben, sie werden sich, um es vorsichtig zu sagen, sehr ungewöhnlichen Klangereignissen aussetzen. Ganz allgemein gesehen, ist es vielleicht doch ein Kommentar — weil »Kemp Echoes« am Ethos Stockhausens, musikalisches Neuland zu entdecken, anknüpft. Die große Frage und Herausforderung ist, kann man mit »alten« Instrumenten noch neue Klang-Erfahrungen machen?
Du hast immer auch in Pop-Projekte investiert. Deine Band Pluramon macht radikal zeitgenössischen Rock, Du hast Filmmusiken geschrieben, für Thomas Brinkmann hast Du schon Techno-Tracks produziert.
Ja, ein paar wenige …
Okay, aber man kann aus all dem die Summe ziehen, dass Du bestimmte Grenzen nicht akzeptiert hast.
Das ist ein Unterschied, ob man die Grenzen nicht akzeptiert, oder ob man sie akzeptiert und trotzdem — oder deswegen — in verschiedenen Genres tätig ist. Will ich eine Synthese erzeugen und all die Eigenschaften bestimmter Genres unter einen Hut bringen? Ich würde das für meine Arbeiten ablehnen. Techno hat bestimmte funktionale Aspekte, die es in zeitgenössischer Musik nicht gibt, oder sagen, wir die »Funktionalität« ist eine andere: Mir erschiene da eine Synthese wenig sinnvoll, da entdecke ich keine innere Verbindung. Aber ich bin auch Musik-liebhaber und genieße es einfach, unterschiedliche Musiken zu hören, deswegen habe ich keine Scheu, in unterschiedlichen Bereichen produktiv zu sein. Dabei gibt es allerdings handwerkliche Aspekte, der verschiedenen Domänen, die sich positiv auswirken können. Falls es durch das Arbeiten in verschiedenen musikalischen Bereichen also zu einer Synthese kommt, dann ist sie eher verdeckt und nicht vordergründig.
Es ist immer das einfachste zu sagen: Mach mal was mit Beats, dann schlucken die Leute selbst die größte Dissonanz. Gerade das wäre keine gute Synthese.
Aber genau das erwarten manche Leute, Konsumenten wie Programmmacher . Ich möchte gerne auch zu dieser Erwartungshaltung eine Differenz erzeugen. Der Schmickler ist so ein Elektroniker, der mal was mit Beats gemacht hat. Das wollen wir aber jetzt wieder und wieder von ihm hören! Da artikulieren sich bestimmte Sehnsüchte, das zeitgenössische Musik vielleicht endlich mal populär wird. Und ich finde es spannend?…
…?diese Erwartung zu unterlaufen?
Mit ihnen zu arbeiten, sie zu reflektieren. Ich will ja nicht provozieren oder »unterlaufen«, das wäre eine zu einfache Reaktion auf die einfache Synthese. Mir geht es darum, einen nächsten Schritt zu machen. Ich nehme die Projektionen — beispielsweise auf meine Musik — ernst, aber ich will weitergehen. Es kann nicht um Selbstbespiegelung gehen.