Intellektueller im Exil — Do?an Akhanl?, Foto: Manfred Wegener

Aussagen von Zeugen unerheblich

Das höchste türkische Revisionsgericht hat den Freispruch des Kölner Schriftstellers Do?an Akhanl? aufgehoben

Die türkische Justiz ist an Absurditäten, Skandalen und Unberechenbarkeiten nicht arm. Seit wenigen Wochen ist sie um einen Fall reicher. Da kassierte das höchste türkische Revisionsgericht den Freispruch des türkischstämmigen Schriftstellers und deutschen Staatsbürgers Do?an Akhanl? ein.

 

Akhanl? war am 12. Oktober 2011 von einem Istanbuler Gericht vom Vorwurf eines Raubüberfalls mit Raubmord freigesprochen worden, den er im Oktober 1989 begangen haben sollte. Der Protest der demokratischen Öffentlichkeit in Deutschland, der Türkei und anderen Ländern hatte diesem Spruch ins Leben verholfen — die absurde Konstruktion des Staatsanwaltes, der ohne jeden Beweis einen kritischen Intellektuellen hinter Gittern bringen wollte, war wie ein Kartenhaus in sich zusammengefallen.

 

In der mündlichen Verhandlung im Dezember 2010 wurden zahlreiche Widersprüche und Unstimmigkeiten in den belastenden polizeilichen Vernehmungsprotokollen von 1989 aufgedeckt. Das Gericht akzeptierte schließlich die Aussagen sämtlicher Zeugen, ihnen seien frühere Beschuldigungen gegen Do?an Akhanl? in den Mund gelegt, untergeschoben oder durch Folter abgepresst worden.

 

Doch das vom Staatsanwalt angerufene Revisionsgericht erklärt nun, eineinhalb Jahre später, die Bemühungen des Istanbuler Gerichts um konkrete Wahrheitsfindung für uninteressant, unbedeutend und am eigentlichen Ziel vorbei. Akhanl? müsse in einem neuen Verfahren zu »lebenslanger Haft« verurteilt werden, der damalige Freispruch sei aufzuheben.

 

Für die »Rechtsfindung« seien allein die polizeilichen Vernehmungsprotokolle von 1989 von Belang, so das Revisionsgericht. Die entlastenden mündlichen Zeugenaussagen vor Gericht seien unerheblich. Außerdem habe Do?an Akhanl? während der türkischen Militärdiktatur dem Untergrund-Widerstand angehört, weshalb ihm auch die Tat am 20. Oktober 1989 zuzutrauen sei. Diesen Umstand habe das Istanbuler Strafgericht nicht genügend »gewürdigt«. Deshalb sei der Freispruch »rechtswidrig«.

 

Für Do?an Akhanl? bedeutet dieser Richterspruch, dass er erneut aus der Türkei ausgesperrt wird, will er nicht Gefahr laufen, dort bis zu einer neuen Verhandlung inhaftiert zu werden. Das zweite erzwungene Exil nach seiner Flucht im Jahre 1992 könnte durchaus die eigentliche Absicht dieser absurden Revision sein: Akhanl? war nach dem Freispruch häufiger in die Türkei gereist, hatte auf Veranstaltungen und in den Medien Partei für die Sache der Kurden und die Anerkennung des Genozids an den Armeniern ergriffen und so der Stimme der zivilen Opposition in der Türkei weiteres Gewicht verliehen.