Fehlfarben - Das Leben nach dem Buch
Wie fühlt es sich an, mit einer neuen Platte gleichzeitig im Fahrwasser der Historisierung und Musealisierung zu schwimmen?
Hein: Ich finde das hilfreich, das weckt das Interesse, und ich muss nicht mehr erzählen, wie das früher war. Man kann immer sagen: Lies doch das Buch, da steht alles drin.
Schwebel: Ich finde es hochverdient, dass ein solches Buch erscheint, Ausstellung, Sampler, Film, all das. Wenn nicht darüber, worüber denn sonst? Soviel war ja in Deutschland nicht los, als dass man eine große Auswahl hätte.
Welche Aspekte oder welche Sicht auf die Zeit vor 20 bis 25 Jahren vermisst ihr in »Verschwende deine Jugend« oder in der Ausstellung »Zurück zum Beton«?
Hein: Den Spaß-Aspekt! Und das Chaotische, nicht Wiederholbare, nicht Erklärbare, Albernheiten. Man ist völlig unbedarft an Sachen rangegangen. Was in musikalischer Hinsicht gefehlt hat, ist diese Vielfalt an Eintagebands, die sich wirklich nur für ein Konzert formiert haben. Die wollten natürlich alle Rockstars werden, wussten aber, heute nachmittag ist schon wieder alles vorbei.
Schwebel: Das Buch legt natürlich einen starken Wert auf Sensationen und hat deshalb zuviel Gewalt drin, zuviel Verlierertum. Es gibt sicherlich zwei, drei tragische Figuren aus dieser Zeit, aber am Ende entsteht der Eindruck, als gäbe es mindestens zwei Drittel tragische Verlierer, was einfach quatsch ist. Bei der Ausstellung hat man dann mehr vom Spaß gesehen. Zum Beispiel Kippenbergers Atelierfest: das war eben nicht das große Treffen von moderner Kunst und moderner Musik, sondern einfach ein Besäufnis...
Hein: ...wo sich 15 Berliner Kids mit lustigen Hüten breit gemacht haben, inmitten der Künstler, und wir dann als Pfadfinder vorne weg.
Mit der Ballade »Das Leben zum Buch« habt ihr doch noch ein Stück auf die Platte genommen, das auf die Ereignisse der letzten Monate reagiert. Darin gibt es Textzeilen wie »Ich brauch nicht mehr wissen, wer ich bin, es steht doch sowieso alles irgendwo drin«, »Erinnern und Wahrheit sind wie Post und Pest im gleichen Zimmer zur selben Zeit«, »hast nicht viel im Leben wirklich richtig gemacht«, »und der einzige Sieg nach all dieser Zeit, dass du immer noch hier bist und nur noch manchmal breit« - ein autobiographischer Reflex?
Hein: Ja.
Schwebel: Manchmal ist es so einfach, dass man es gar nicht glaubt. Das ist einfach das Leben zum Buch.
Viele Texte auf der neuen Platte klingen so, als würde ein Bewusstsein von 1980 auf die Gesellschaft und zwischenmenschlichen Verhältnisse von heute blicken. War das beabsichtigt oder unvermeidlich?
Hein:Das ist wahrscheinlich unvermeidlich passiert. Ich habe nichts geändert die ganze Zeit und nie einen Unterschied gemacht zu 1980, 1985, 1995, 2000 oder zu dem, was wir 1977 gemacht haben. Der einzige wirkliche Schritt im Texten war, dass wir aufgehört haben, kindergartenmäßig schlechte, englische Punkrockstücke zu schreiben, sondern angefangen haben, deutsch zu schreiben. Danach finde ich mich selber sehr kontinuierlich. Dazu kann man natürlich auch sagen: Der kann nichts dazu lernen.
So entsteht jedenfalls eine Verbindungslinie zu »Monarchie und Alltag«...
Hein: Wir sind ja auch zum größten Teil dieselben Leute, die alten Sachen sind ja auch ein Bezug für uns. Natürlich weiß man auch, dass die Platte als Denkmal in Marmor gilt, etwas, dass man nicht mehr toppen kann. Man darf keine Musik mehr machen, wenn man mal so eine tolle Platte gemacht hat. Sowas geht mir am Arsch vorbei, das finde ich zum Kotzen. Ich erfülle ja nicht die Erwartungen dieser Leute. Ich mache halt so eine Mucke, weil ich eh nichts anderes kann.
Im Vorfeld eurer Platte war von Politisierung die Rede. Für mich hören sich die Texte eher nach Realitätsbeschreibungen an, die vielleicht ehrlicher, innerlicher, manchmal auch peinlicher sind als die von Anderen...
Hein: Politisierung, das kommt von Frank Fenstermacher, unserem Spitzenkandidat bei den Grünen. Politisierung, sowas ist immer blöd. Irgendwas mit Realität, mit dem wirklichen Leben, das ja.
Schwebel: Politisierung klingt nach einem Konzept, so läuft es nicht. Politisierung war immer schon ein Missverständnis im Zusammenhang mit Fehlfarben. Ich kann mich an Zeiten erinnern, wo wir in Berlin vor irgendwelchen durchgedrehten taz-Redakteuren rechtfertigen mussten, dass wir nicht in einem besetzten Haus wohnen. Viele Leute haben in Fehlfarben immer Dinge rein projeziert, die nichts mit der Band zu tun haben.
Jetzt, wo man nicht mehr Teil einer Bewegung ist und nur noch »Musik« macht, was könnten die Fehlfarben heute bestenfalls ausrichten?
Hein: Schon 1980 waren wir von dem, was man eine Bewegung nennt, ausgeschlossen. Mit Mittagspause und dem ganzen Gedöns vorher, das war natürlich Punk in Deutschland - eine Bewegung. Aber die haben wir ja schon damals ironisiert und auch gar nicht mehr so ernst genommen. Wir haben das ernst genommen, was wir machten, aber nicht den Aufstand, den die Kollegen trieben. Und als Fehlfarben waren wir ja schon draußen, obwohl wir noch mit den anderen Bands in den ganzen Läden aufgetreten sind. Wir waren aber irgendwie anders, dagegen oder sonstwie.
Schwebel: Wir haben uns 1980 nicht so gefühlt, als wären wir die Stimme unserer Generation oder Teil einer Bewegung. Jetzt sind wir die Stimme der Antiterror-Koalition (lacht). Die Stimme seiner Generation, das ist man ja nur einmal im Leben. Obwohl, mit dem Titel unserer neuen Platte könnten wir schon wieder die Stimme einer Generation sein - ich kenne genug Leute, die wirklich knietief im Dispo sind.
Seid ihr für Leute unter 25 eigentlich noch aktuell oder schon die Opas?
Schwebel: Der Großteil unseres Publikums ist relativ jung, es ist absolut nicht so, dass da nur Leute unseres Alters wären. Schon Jochen Distelmeyer ist ja eine andere Generation. Wenn es bald die White Stripes, Strokes und Vines auf deutsch gibt, dann werden das auch wieder Musiker sein, die Fehlfarben-Platten durchgehört haben, da bin ich sicher. Wir sind jetzt einfach ein Monolith in der Landschaft.
Wenn DAF nach ihrem Auftritt auf der Love Parade auch eine neue Platte machen würden oder andere Bands von früher, könntet ihr euch dann ein entsprechendes Festival mit gemeinsamen Auftritten vorstellen?
Schwebel: Mit uns wird es so ein Festival nicht geben. Mit solchen Sachen hat sich eine Knatschtüte wie Joachim Witt jahrelang über Wasser gehalten, bis er dann Rammstein gecovert hat. Das haben wir früher nicht gemacht und machen es auch in Zukunft nicht. Und was DAF machen, interessiert uns einen feuchten Dreck!
Hein: Und wir dürfen das so sehen.
Schwebel: Wir sind die Einzigen, die das sagen dürfen.
»Knietief im Dispo« erscheint am 28.10. auf !K7 Records/Wonder (Vertrieb: Zomba).