Zwischen Aktenklau und Biomöbeln

Johannes Genske kämpfte erst für Psychiatriepatienten, dann handelte er mit Möbeln. Ein Nachruf

 

Patienten, per Spritze ruhiggestellt, ans Bett gefesselt, misshandelt. In der rheinischen Psychiatrie der 1970er herrschten viele Missstände, und Johannes Genske gehörte zu jenen, die gegen sie ankämpften. »Wir haben damals dem Leiter des Landeskrankenhauses Brauweiler vorgeworfen, dass er Alkoholiker ist«, berichtete Genske. »Es gab dort Todesfälle wegen Überdosierung von Medikamenten.«

 

1976 schleicht sich der Student der Sozialarbeit als Praktikant ins Landeskrankenhaus Düren ein, um Beweise zu sammeln. Abends klaut er Akten aus Ärztezimmern, kopiert sie und bringt sie am nächsten Morgen wieder zurück. Das Material führt dazu, dass »ganze Sonderkommissionen von Staatsanwaltschaften in Düren ermittelten«. Was er und seine Mitstreiter zutage bringen, hat auch für die Landesklinik Brauweiler Folgen: Das Landgericht Köln verurteilt Klinikchef Fritz G. Stockhausen 1981 zu zwei Jahren Haft auf Bewährung. Das Krankenhaus wird geschlossen.  

 

Johannes Genske, geboren 1953, absolviert 1972 seinen Zivildienst beim SSK, den »Sozialpädagogischen Sondermaßnahmen Köln«. Der Verein betreut obdachlose Kinder und Jugendliche. Deren Zahl steigt. Als sich der SSK 1974 weigert, Obdachlose wegzuschicken, kommt es zum Bruch mit den Behörden. Die Gruppe nennt sich fortan »Sozialistische Selbsthilfe Köln«. Eine Wohn- und Lebensgemeinschaft, bestehend aus gelernten Sozialarbeitern, entflohenen Heimbewohnern und ehemaligen Psychiatrie-Insassen. Sie fahren Umzüge, liefern Briketts, verkaufen Gebrauchtmöbel. Das Prinzip: Alle haben die gleichen Rechte, alle packen gleichermaßen mit an. Ab 1976 besetzen die Frauen und Männer vom SSK leerstehende Häuser, um billigen Wohnraum zu erhalten. Wiederholt steht Genske vor Gericht.

 

1983 verlässt der gebürtige Wesselinger den SSK. »Weil meine damalige Lebensgefährtin Zwillinge bekam«, erinnerte er sich. In einer Ehrenfelder Garage beginnt er, Kinderbetten zu bauen. »Da kam das Thema Ökologie gerade auf«, sagte Genske rückblickend. 1986 ist das Geburtsjahr von »Biomöbel Genske«. Auch hier hat er Kämpfe zu bestehen, wird er vor Gericht gezerrt. Beispiel: Als ökologisch orientierter Händler wirbt er damit, dass jeder Kunde, der mit Bus oder Bahn zum Laden fährt, einen Teil der Fahrtkosten zurückbekommt. »Innerhalb von drei Tagen kam die Abmahnung, wegen unzulässiger Werbung«, erinnerte sich Genske. Der Rechtsstreit macht Schlagzeilen, geht bis zum Bundesgerichtshof. Er verliert. Später sorgt der Bundesrat für eine Gesetzesänderung, die das Erstatten von Fahrkarten erlaubt.

 

2011 beginnt sein letzter Kampf. Genske, ein sportlicher, Ruhe ausstrahlender Mann, wird von einer schweren Krankheit erfasst. Er stirbt am 27. Mai. Johannes Genske wurde 60 Jahre alt.