Boy meets girl
Ist bei der Diskussion um den verunglückten Schauspielstart unter der Intendanz Marc Günthers eigentlich schon aufgefallen, dass dort jetzt auch gut aussehende junge Männer als Schließer und Garderobieren arbeiten? Lächelnd wünschen sie einen schönen Abend. Nur: Schön muss er ja gar nicht sein, der Abend...
Trotzdem, über die Bühne rauschen in Reifröcken gewandete Damen, wie man sie seit »Vom Winde verweht« nicht prächtiger gesehen hat. Rede und Gegenrede beschwören eine Geschichtsstunde zum Thema Sklaverei. Dabei arbeitet sich Julien Greens selten gespieltes Drama vom amerikanischen »Süden« weniger an ideologischen Positionen ab. Eher erzählt es mehrfach gespiegelt von nicht erfüllter Liebe. Der Plantagenbesitzer Edward liebt den Offizier Ian, der davon nichts merken will. Auch seine Nichte Regina liebt Ian, der wiederum verliebt sich Knall auf Fall in den ihr zugedachten Bräutigam Eric, der seinerseits wieder heimlich von Angelina geliebt wird. Weil Männer aber Männer noch nicht so lange öffentlich lieben dürfen, hilft im verwirrenden Ansturm der Gefühle nur der Zweikampf. Und so fechten am Ende die Herren Ian und Eric – unter blutrotem Himmel und lautem Gitarrenrock – nach allen Regeln der Hollywood-Kunst.
Zuvor hat Markus Scheumann als Ian bereits mit seiner Uniformjacke gekämpft – Knöpfe auf, Jacke aus, Jacke an, Knöpfe zu, Knöpfe auf und so fort. Es mag zwar der erste heiße Tag des Jahres 1861 sein, am Vorabend des Sezessionskriegs. Doch in der Inszenierung von K.D. Schmidt fehlt jede Hitze, es herrscht die gepflegte Langeweile eines Theatermuseums, das in einer ironiefreien Zone den Text bebildert und auf die Gefühlszustände der SchauspielerInnen setzt. Die Botschaft hört man wohl – allein: Es wird derart angestrengt so getan als ob, dass man gerne glauben würde, es aber nicht gelingen will.
Da ist der Blick von Gisbert Jäkel auf den Kinderbuch-Klassiker »Peter Pan« weit ironischer. Unsentimental kommt die Geschichte des Jungen daher, der nicht erwachsen werden will. Es wird viel getanzt, und Musik spielt dazu, meistens sogar live. Vorstellungen für die ganze Familie waren in den letzten Jahren ein rares Genre am Kölner Schauspiel. Der Aufwand heuer ist gewaltig: mehr als 30 DarstellerInnen, wogende Meereswellen, ein Schiff, Schwarzlicht-Effekte und Menschen, die fliegen. Doch ist es nicht Feenpulver, das sie fliegen lässt, sondern die Theatermaschinerie. Das Theater gibt sein Bestes, ist modern, zeigt Bekanntes und vermeidet doch Klischees. Es ist aber auch: ohne Poesie. Das Nimmerland Peters ist nicht das Paradies, in das man sich hineinwünschen mag. Es wirkt zu künstlich, zu kunstbewusst.
Was aber ist Kunst? Ein viel gespielter Beitrag zu dieser Frage ist derzeit Neil LaButes »Das Maß der Dinge«. Den Real-Life-Dialogen amerikanischer Soaps abgeguckt, liest sich das Stück ziemlich flott: Boy meets girl – Adam trifft Evelyn, die Künstlerin ist und eine »menschliche Skulptur« schaffen will. Also manipuliert sie ihren Lover. Neues Styling, neue Klamotten, neue Freunde. In der Schlosserei inszeniert Du<caron>san David Parizek »The Shape of Things« als eine Art soziologisches Laborexperiment – mit Diktiergeräten und Digitalvideokamera. Der 30-jährige, in Prag erfolgreiche Regisseur hat den Text von allem College-Kitsch und fernsehtauglichem Alltags-Blabla befreit. An intellektueller Schärfe gewinnt das Stück dadurch allerdings nicht, dazu ist Evelyns Tat nicht gewaltig genug. Die Frage nach den Grenzen von Kunst verläuft sich im allzu Menschlichen.
In diesem Fall sind das Momentaufnahmen von Paarkonstellationen. Die motivierten SchauspielerInnen (allesamt neu oder zu Gast am Haus) zeigen sie ganz ohne verkrampften Psycho-Realismus: Franziska Walser als burschikos-mütterliche Evelyn, Alexander Khuon verhalten und smart in der Rolle des Adam sowie Sebastian Herrmann als Macho-Kumpel Phillip und Lilian Steffen als naive Jenny, die im Augenblick großer Aufrichtigkeit auch schon mal ins Schwyzerdütsch verfällt.
Dennoch bleiben einem die Konflikte der Figuren seltsam fremd, sie sind so abstrakt wie das Bühnenbild von Jens Kilian: ein weißer Baukasten, dessen Bestandteile sich nach und nach zum Grundriss eines Raums fügen. Bis es so weit ist, müssen die Quader allerlei darstellen – Kunst liegt eben doch und vor allem im Auge des Betrachters. Und das ist heute medientrainiert, also verdoppelt sich das Geschehen durch die Projektion des Kameramitschnitts in zeitversetzter Großaufnahme. Was konzeptionell stimmig ist, soll es doch darum gehen, den biblischen Schöpfungsakt künstlerisch zu wiederholen und das Bild eines Menschen zu erschaffen.
Zum Ende der acht Premieren hin, mit denen das neue Schauspiel seine erste Spielzeit eröffnete (s. SR 12/02; zwei kleinere Produktionen, Bernhards »Ruhestand« und Schnitzlers »Gustl«, gehören noch dazu), haben sich die Hoffnungen auf einen echten Kölner Neustart zerschlagen. Vielmehr bietet sich eine mehr oder minder bunte Palette an Möglichkeiten dar, Theater zu machen. Allerdings ist Vielfalt als Konzept in der Kölner Theaterszene ja eine bekannte Argumentationsgröße, um Profillosigkeit und Mittelmaß schön zu reden. Was bisher gezeigt wurde, reicht jedenfalls nicht für den Anspruch, Theater auf Augenhöhe mit anderen Großstädten zu machen. Da hilft selbst das charmanteste Lächeln an der Garderobe nichts.
»Süden« von Julien Green, R: K.D. Schmidt, Schauspielhaus, 22., 29.12., 4., 5., 14., 24.1., 19.30 Uhr. »Peter Pan« von J.M. Barrie, R: Gisbert Jäkel, Schauspielhaus, 23., 25., 31.12., 18 Uhr; 26.12., 19.1., 16 Uhr. »The Shape of Things / Das Maß der Dinge« von Neil LaBute, R: Du<caron>san David Parizek, Schlosserei, 26., 27.12., 2., 3.1., 20 Uhr.