DDR auf 79 Quadratmetern
Auf den ersten Blick ist Wolfgang Beckers neuer Film »Good Bye Lenin!« aus dem Stoff, aus dem Komödien gemacht sind. Man kennt das Handlungsschema aus jedem Boulevardtheater: Eine etwas tölpelige Hauptfigur gerät in Bedrängnis und täuscht in ihrer Not falsche Tatsachen vor, um mit den entsprechenden Humoreffekten doch wieder von der Wirklichkeit eingeholt zu werden. Oder anders gesagt: In einer Komödie sieht man in der Regel Theater im Theater, das Theaterspiel eines Dilettanten – und genau das sieht man in Beckers Film auch. Nur, dass das Spiel seines Dilettanten die übliche Alltagsdimension eines zu verheimlichenden Seitensprungs oder Dienstvergehens bei weitem übersteigt.
Beckers jugendlicher Held Alexander Kerner (Daniel Brühl), kurz »Alex« genannt, wächst in Ostberlin unter den Fittichen einer engagierten Kämpferin des real existierenden Sozialismus auf. Am 7. Oktober 1989, also am 40. Jahrestag der DDR, gerät er in ein folgenschweres Dilemma. Seine Mutter, auf dem Weg zu einer Ehrenfeier, ertappt ihren Sohn dabei, wie er als Demonstrant gegen die Partei verhaftet wird. Vor lauter Schreck über so viel ungeahnte Klassenfeindschaft fällt sie ins Koma – acht lange Monate. Als die Mutter die Augen schließlich wieder aufschlägt, ist die Mauer gefallen, Sohn Alex zum Satellitentechniker umgeschult, und ihre Tochter Ariane hat sich nicht nur einen westdeutschen Freund zugelegt, sondern auch noch ihr Studium geschmissen, um ausgerechnet beim amerikanischen Imbissgiganten Burger King zu jobben.
Radikale Kehrtwendungen also, die man dem schwachen Herzen einer DDR-Ideologin natürlich nicht zumuten kann. Da dieses Herz allerdings sogar so schwach ist, dass die Mutter noch nicht einmal aus dem Bett kommt, verfällt der 21-jährige Alex auf einen denkbar verwegenen Plan: Der Kranken zuliebe erweckt er den SED-Staat zu neuem Leben, wenngleich nur im Miniaturformat, auf 79 Quadratmetern Plattenbau. Alex schleppt die alten Möbel zurück, beschriftet Tüten und Gläser mit Ost-Etiketten, tischt Spreewald-Gurken und Mokka-Fix-Kaffee auf und bezahlt ehemaligen Schülern der Mutter Geld dafür, dass sie ihr Pionierlieder vorsingen. Doch so akribisch er auch die Puzzlestücke des Honecker-Regimes wieder zusammenfügt, sein Scheitern ist unvermeidlich. Schließlich versucht Alex nichts Geringeres als den Lauf der Geschichte zu vertuschen.
Die Heiterkeit in »Good Bye
Lenin!« gewinnt daher schnell einen tragischen Unterton. Ähnlich wie Jurek Beckers Ghettobewohner in »Jakob, der Lügner« oder Roberto Begninis KZ-Häftling in »Das Leben ist schön!« rührt Alex’ Betrug schon deshalb an, weil er so chancenlos ist. Und er wirkt umso heroischer, als der Betrüger ihn nicht um seiner selbst willen begeht, sondern um jemand anderen zu retten. Allerdings kann auch Alex nicht verhindern, dass seine Lüge ihre eigene Dynamik entwickelt. Schon bald stimmt der Staat, den er für seine Mutter heraufbeschwört, mit dem realen Vorbild nicht mehr überein. Nicht genug, dass der Trabbi hier unter dem Druck der Verhältnisse bereits nach drei Jahren Wartezeit vor der Tür steht. Auch Coca Cola wird kurzerhand zum DDR-Getränk erklärt – und zugezogene Westler zu BRD-Flüchtlingen: abgehauen vor Konsumterror und Isolationskälte. Kurzum: Wolfgang Beckers Protagonist entwirft zunehmend das gesamtdeutsche Idyll eines Zusammenlebens, das es so nie gegeben hat. Je länger seine Maskerade dauert, desto mehr entpuppt sie sich als Wunschbild einer verlorenen Jugend.
Anders als in den meisten Plots zur jüngeren deutschen Vergangenheit (etwa den Verfilmungen von Thomas Brussigs Romanen »Helden wie wir« und »Am kürzeren Ende der Sonnenallee«) schrumpft die DDR in »Good Bye Lenin!« nicht zur Slapsticknummer. Denn tatsächlich tut sich nicht nur Alex’ Mutter schwer mit dem Abschied von der DDR. Ihr Sohn, ein glühender Verehrer des Kosmonauten Sigmund Jähn, verbindet mit dem Mauerfall ebenfalls einen entscheidenden Verlust: Das Land seiner Kindheit ist verschwunden. Beckers Film erzählt die Geschichte der Wiedervereinigung folglich als eine Geschichte vom Erwachsenwerden, der immer eine wehmütige Komponente innewohnt. Um jedoch Sentimentalitäten zu vermeiden, lässt der Regisseur Alex betont lakonisch aus dem Off zu Wort kommen. Gleich zu Anfang kommentiert er den Weltraumflug Jähns mit den Worten: »Am 26. August 1978 waren wir auf Weltniveau, und mit unserer Familie ging es den Bach runter.«
Good Bye Lenin!. D 03, R: Wolfgang Becker, D: Daniel Brühl, Katrin Saß, Chulpan Khamatova, 120 Min. Start: 13.2.