Gib mir ein Leitbild!
Wie schlecht es um die Kultur in Köln nach dem geplatzten Verkauf der städtischen Wohnungsbaugesellschaften GAG und Grubo bestellt ist, kann und will man schon gar nicht mehr hören. Rem Koolhaas darf oder will den Eingangsbereich des Museum Ludwig nicht mehr umgestalten, der Bau des Supermuseums am Neumarkt steht auf der Kippe, die Halle Kalk und das Gelände des ehemaligen Kaufhauses Kutz, gleich neben dem Wallraf-Richartz-Museum gelegen, sollen noch in diesem Jahr an einen privaten Investor verkauft werden. So sehen es zumindest die Koalitionsvereinbarungen zwischen CDU und Bündnis 90/Die Grünen vor. Zwar weisen die Parteien in ihrem Papier ausdrücklich darauf hin, der kulturellen Entwicklung Kölns besondere Aufmerksamkeit widmen zu wollen, aber irgendwie wirkt das Etikett Kulturstadt, zu der sich Köln bekanntlich trotz anhaltendem Berlin-Sog gerne stilisiert, immer absurder.
Nachteile der Privatisierung
Denn nicht erst die GAG-Pleite offenbart, dass die Stadt aus dem letzten Loch pfeift. Schließlich muss man kein Finanzfuchs sein, um zu wissen, dass die Methode, mit Immobilienverkäufen den Haushalt zu sanieren, auf lange Sicht nicht besonders effektiv ist. Da spülen auch der Verkauf der Halle Kalk und des ehemaligen Kaufhaus Kutz bestenfalls kurzfristig ein paar Euro in die leere Haushaltskasse. Und im Übereifer des Sparens scheint man auch vergessen zu wollen, dass man die Räume später wieder teuer anmieten muss, wenn man sie, wie im Koalitionspapier vereinbart, künftig weiter kulturell nutzen will. Was bringt also dieser Schritt zur Privatisierung von städtischem Eigentum? Auf jeden Fall viele negative Auswirkungen. So schmelzen etwa die Aussichten für die Kunst- und Museumsbibliothek auf ein eigenes Haus auf dem Kutz-Areal durch den anstehenden Verkauf zusammen. Noch vor einem Jahr sprach Kulturdezernentin Marie Hüllenkremer davon, die Kunst- und Museumsbibliothek auf dem Gelände neben dem Wallraf-Richartz-Museum unterzubringen. Daraus wird nun in absehbarer Zeit nichts mehr. Und so bleibt eine der bedeutendsten und größten Bibliotheken für Kunst und Fotografie des 20. und 21. Jahrhunderts in Deutschland weiterhin in einem Dauerprovisorium untergebracht: nämlich im Museum Ludwig, im Kattenbug und im Museum für Angewandte Kunst. Mit sechs anderen Bibliotheken bildet die Kunst- und Museumsbibliothek eine Art Nationalbibliothek deutscher Kunstwissenschaften. Grund genug für die Deutsche Forschungsgemeinschaft, das Prestigeprojekt seit mehr als 30 Jahren zu unterstützen. Die Kunst- und Museumsbibliothek zählt zur ersten Adresse für Kunstkritiker, Künstler und Galeristen. Doch in Köln behandelt man sie nicht besser als jede x-beliebige Stadtteilbibliothek.
Kulturstadt Köln?
Diese Wochen geben in jedem Fall Anlass genug, über das Fehlen eines Leitbilds für Köln als Kulturstadt nachzudenken. Denn dass man im Finanzloch ersäuft, identitätsstiftende Projekte wie der Umbau des Foyers im Museum Ludwig den Bach runtergehen und sich Köln trotzdem zur europäischen Kulturhauptstadt 2010 küren lassen will, das klingt im Moment wie ein schlechter Scherz. Bestes Beispiel ist das Hickhack um den Abriss des Josef-Haubrich-Forums. Obwohl die Oberen der Stadt wussten, dass es keine rechtlich bindende Finanzierungszusage für den Landesanteil an dem 60 Millionen-Euro teuren Kulturzentrum gab, in dem ab 2006 das Rautenstrauch-Joest-Museum, der Kunstverein, die Kunsthalle, die VHS und Teile des Schnütgen-Museums untergebracht werden sollen, ließ man die Abriss-Bagger schon mal anrollen, um auf dem Areal Fakten zu schaffen. Genau dieses Szenario hatte die Protestinitiative »nö,nö« rund um die Künstlerin Rosemarie Trockel schon vor Monaten prophezeit. Kulturdezernentin Marie Hüllenkremer tat die Unterschriftenaktion und die Besetzung des Haubrich-Forums indes als puren »Blödsinn« ab. Und spätestens jetzt, wo sich die VHS wegen der hohen Betriebskosten im Neubau aus dem Projekt zurückgezogen hat, fragt man sich, ob die Kulturpolitik in Köln nicht wirklich jenen potemkinschen Dörfern gleicht, wo man für viel Geld protzige Kulissen hochzieht. Denn für das, was in den Häusern vor sich geht, fehlt sowohl Geld als auch Engagement.
Klüngelnetzwerk
Und so argwöhnt die »nö, nö«-Protestinitiative, dass mehr hinter der Baupause steckt, die Baudezernent Bela Dören dazu nutzen will, um noch einmal über Sinn und Zweck des Projekts nachzudenken. Die Neubau-Gegner fragen sich, ob das Gelände nicht gleich ganz an einen Investor verkauft werden soll und damit für eine kulturelle Nutzung verloren gehen könnte. So etwas wäre nicht das erste Mal. Schließlich gibt es gerade im Kölner Städtebau ein seit Jahren verklüngeltes, fein aufeinander abgestimmtes Netzwerk von Investoren, Politikern und städtischen Würdenträgern. So soll laut der Süddeutschen Zeitung eine Vielzahl der großen Architekturprojekte von Parteispenden an die CDU auf den Weg gebracht worden sein – wie etwa der Umbau des Rheinauhafens. Der 200.000 Quadratmeter große denkmalgeschützte Industriehafen soll zu einem modernen Stadtviertel avancieren. Auch sollen zahlreiche Investoren, die dort zum Zuge kamen, Beziehungen zur Kölner CDU haben und zuvor Gelder auf die Parteikonten überwiesen haben. Auch beim so genannten »Weltstadthaus«, Renzo Pianos fünfgeschossiger Filiale für Peek & Cloppenburg, soll nicht alles mit rechten Dingen zugegangen sein. Das jedenfalls behaupten die Auftraggeber, die Textilkette P & C. Seit zwei Jahren ruhen sämtliche Bauarbeiten an dem 60 Millionen Euro teuren Objekt. Seit Monaten streitet das Unternehmen wegen statischer Mängel mit dem Generalunternehmer Hochtief vor Gericht. Ob das Weltstadthaus jemals weiter gebaut werden kann, oder sogar abgerissen werden muss, stand zum Redaktionsschluss noch nicht fest. Bis zum 25.2. müssen sich die Parteien außergerichtlich einigen, sonst entscheidet das Oberlandesgericht.
Probleme beim Ring-Karree und Deutzer Büroviertel
Auch das so genannte Ring-Karree, der Wohn-, Büro- und Geschäftskomplex des Architekten Lord Norman Foster, hatte mit statischen Problemen zu kämpfen. Es hielt den vorgeschriebenen Belastungen nicht stand. Mit Millionenaufwand musste nachgebessert werden. Außerdem sackten rund 20 benachbarte Gründerzeithäuser ab: Unter die Gebäude wurden mehr als 400 Erdanker getrieben, um die Baugrube gegen Einsturz zu sichern – ohne Genehmigung und Absprache mit den Nachbarn. Nun klaffen fingerbreite Risse an den Fassaden. Teilweise mussten die Bewohner sogar für mehrere Wochen ausziehen, weil Einsturzgefahr drohte. Wer hat hier eigentlich das Sagen – die Investoren oder die Architekten?
Auch beim Prestigeobjekt ICE-Terminal Köln-Deutz gibt es Probleme. Ein Kilometer vom Weltkulturerbe Kölner Dom entfernt soll in den nächsten Jahren rund um den Deutzer Bahnhof ein Büroviertel aus dem Boden gestampft werden, mit gleich fünf neuen Hochhaustürmen. Nun stellt sich die UNESCO quer. Die Kultur-Kommission der Vereinten Nationen fürchtet, dass es keinen freien Blick mehr auf die historische Stadtsilhouette und den Dom geben wird. Um weiteren Wildwuchs zu verhindern, fordert der Bund Deutscher Architekten seit Jahren ein Hochhaus-Konzept. So lange dieses nicht vorliegt, soll auch kein Büroturm mehr gebaut werden.
Unverdienter Titel
Aber Köln wäre nicht Köln, wenn es nicht in jeder Lage eine Gelegenheit finden würde, sich selbst zu feiern. Und so ist passiert, womit kaum noch einer rechnen konnte. CDU und Bündnis 90/Die Grünen haben sich in ihrer Koalitionsvereinbarung für eine Bewerbung als Kulturhauptstadt 2010 ausgesprochen. Die personalintensive Vorbereitung soll auf ein Minimum zusammenschrumpfen. Von den geplanten mehr als drei Millionen Euro für die Vorbereitungen bleiben nur noch 250.000 Euro übrig. Nichts gegen eine Bewerbung als Kulturhauptstadt, auch wenn Köln solch eine Ehre zurzeit eher nicht verdient. Aber sieht man sich die Big-Public-Projekte wie ein unterirdisches Haus der Geschichte, das vom Rathaus bis unter den Dom, St. Martin, St. Severin und St. Kolumba reicht, einer Via Culturalis oder ein Haus des neuen Musiktheaters genauer an, dann vermisst man ein klares inhaltliches Profil, oder anders gesagt: ein kulturelles Leitbild. So wie von den 60er bis in die 90er Jahre als Köln unumstritten die Kunststadt war.
Protzerei statt Selbstkritik
Statt gewachsene Institutionen zu stützen oder die Infrastruktur für hier ansässige Künstler zu verbessern, protzt man mit vielen neuen Projekten. Zweifellos wäre es eine große Auszeichnung, den Titel Kulturhauptstadt tragen zu dürfen. Es könnte sogar einen wichtigen Schub geben, wenn tatsächlich wie geplant die Stadt wieder Auftragskompositionen an Komponisten vergibt oder der Literatur einen größeren Stellenwert beimisst. Allerdings klingt die Bandbreite der möglichen Projekte so diffus wie absurd, wenn da etwa auch von dem »Ausbau des Kölner Grünsystems hin zu benachbarten Kommunen« die Rede ist. Bei allen hochtrabenden Plänen steht eins fest: Ohne ernst gemeinte Selbstkritik kann es nicht weitergehen – nur so lassen sich die Pleiten der letzten Jahre vielleicht noch ausbügeln.
INFO
Nach dem Redaktionsschluss überschlagen sich noch mal die Ereignisse: Oberbürgermeister Schramma fordert Kulturdezernentin Hüllenkremer kaum verdeckt zum Rücktritt auf, ein »ernstes Zerwürfnis« wird aber wenig später dementiert; der Express berichtet von einer ominösen Giftliste, in der die Schließung mehrerer Museen und Institutionen verlangt wird. Außerdem scheinen die Landesmittel für den Museumskomplex am Neumarkt fraglich, da die Stadt Köln die Kosten nach Berechnungen der Bezirksregierung um 20 Millionen Euro zu niedrig angesetzt hat. Chaos, Klüngel und Konzeptionslosigkeit – die Aussagen des oben abgedruckten Textes scheinen noch übertroffen werden zu können.