Jeder kann mit jedem
Ein Karnevalslied schreibt sich von ganz alleine: Man nehme reichlich Kölsch zu sich und reime währenddessen ein paar Strophen zusammen, in denen Satzphrasen wie »loss uns fiere«, »zosomme stonn«, »kölsche Aat« etc. unter keinen Umständen fehlen dürfen. Im Refrain gilt es dann, sich selbst aufs Rücksichtsloseste zu feiern: beste Stadt der Welt, sagenhaft solidarisch, charakterlich tipptopp und bei allen Sentimentalitäten immer gut drauf. Schon schunkeln die Rheinländer, bis ihr Gleichgewichtssinn aus dem Lot gerät. Raimund Kroboth von der Weltmusiktruppe Schäl Sick Brass Band bestreitet, dass es so funktioniert. Jan Ü. Krauthäuser, Impresario der Humba-Efau-Parties und kommunal-globaler Brauchtumsforscher glaubt auch nicht, dass es so einfach ist. Die Höhner, eine der dienstältesten Karnevalsbands der Stadt, stimmen ebenfalls nicht zu. Marie-Luise Nikuta aber bestätigt, dass es genau so ist. Oder ähnlich.
Nicht einmal Kölsch in der heißen Phase
Für Karnevalsmusiker tickt die Uhr unbarmherzig, jede Session verlangt nach frischer Hörware. Seit mehr als drei Jahrzehnten existieren die Höhner bereits, doch eins stellen sie gleich klar, wenn das Thema auf den Arbeitsplatz Karneval kommt: Trotz aller Routine gibt es in der heißen Phase keinen Tropfen Alkohol, noch nicht einmal Kölsch. Richtig hart arbeiten, lautet die Devise, auf der Bühne und im Büro. »Es kann weit über ein Jahr dauern, bis sich ein Karnevalshit aus ersten vagen Ideen formt«, erklärt Gründungsmitglied Peter Werner das Prinzip Stimmungshit-Songwriting am Beispiel ihres Mega-Sellers »Die Karawane zieht weiter«. Mit dem landete die von Werner und Janus Fröhlich gegründete Formation einen Hit, der an Verkaufszahlen alles in den Schatten stellte, was jemals an Tonträgern die Stadt verlassen hat, BAP inklusive.
Lieder frei Haus
Bis die »Karawane« auf Platz 1 der deutschen Charts zog, war es ein weiter Weg. Der damit begann, dass die Höhner in dem GEMA-Branchenfachblatt Songs Wanted inserierten, um an Material für neue Titel zu kommen. »Wir inserieren regelmäßig und bekommen so pro Woche circa zehn Musikstücke zugeschickt, Musik-Cassetten oder Texte oder Noten«, erläutert Fröhlich das Prozedere, »vom Hausmütterchen bis zum gestandenen Udo-Jürgens-Texter reicht die Bandbreite der Autoren, und dann gehen wir die Sachen in unserem Ehrenfelder Büro in regelmäßigen Meetings durch«. Vor fünf Jahren fiel den Musikern dabei ein Tape auf, auf dem zwei Frauen immer wieder in eigenwillig orientalischem Singsang zwei Sätze wiederholten: »Dummer nit, dummer nit, dummer nit klage, hammer nit, hammer nit, hammer nit ...« Das blieb in den Höhnerohren hängen, und damit war der erste Schritt zur ersten Goldenen Schallplatte getan.
Bei den Frauen handelt es sich um Monika Riedel und Martina Neschen, TV-Produzentin und Frauenbuchautorin die eine, Texterin und Bühnenkünstlerin die andere, und alle beide Country-Fans. In etlichen Proben und Auftritten wurde an dem Lied gefeilt, bis es endlich der Hit der Saison war. »So gesehen arbeitet an unseren Stücken auch immer das Publikum mit«, schieben Fröhlich und Werner hinterher. Dass die Höhner Beistand von außerhalb hinzuziehen, mag Puristen verschrecken, die hofften, dass sechs Fründe in geselliger Runde auf Bierdeckeln munter reimen. Doch so ähnlich lief es immer schon, seit die beiden Ex-Lehrer anfingen, sich im Karneval Geld zum Studium zu verdienen. Sie reproduzierten von Anfang an nicht die ollen Kamellen, sondern brachten einen neuen Sound, einen Bandsound, hörbar geschult durch Rock ’n’ Roll und Beat, in die bis dato von erbarmungslosen Alleinunterhaltern paralysierten Festzelte.
Zusammenführung vermeintlicher Widersprüche
»Das war die erste musikalische Revolution in der Karnevalsmusik«, erläutert Jan Krauthäuser, »als die Bläck Fööss und die Höhner plötzlich das einbrachten, was man heute Pop nennt«. In den folgenden Dekaden erfolgten zwei weitere Revolutionen: »In den 80 Jahren formierte sich der Alternativkarneval, der mit der Stunksitzung seinen größten Erfolg feierte, und in den 90ern kamen wir.« Die selbstbewusste Überleitung führt zum Humba Efau mit all seinen Nebenwirkungen und -produkten. 1993 befasste sich der Grafiker und Journalist Krauthäuser in einem Beitrag für den WDR-Hörfunk einmal nicht mit fernen südamerikanischen und afrikanischen Klängen, sondern mit ganz nahen: »Narrenlärm – Wie schlecht ist die Kölner Karnevalsmusik?«, hieß der Beitrag. »Ich wollte einmal genauer betrachten, was sonst nur selten ernsthaft untersucht wird.« Und so stellte sich der gebürtige Kölner und von Hause aus eher moderate Karnevalist zunächst mit einem Mikro auf den Alter Markt und ließ das Aufnahmegerät laufen: »Da war dann jede Menge Schlagerscheiße zu hören, singende Menschen, Gegröle und Gehupe, aber insgesamt war das ein toller Sound«. Fortan galt seine Aufmerksamkeit nicht länger nur den fernen fremden Klängen anderer Kontinente, sondern auch den nicht minder abgelegenen und seltsamen der unmittelbaren Heimat, vor allem jenen, die langsam aussterben, wenn sie nicht gepflegt und gehegt werden. Krauthäuser interessiert die Zusammenführung der vermeintlichen Widersprüche: hier die anerkannt guten und korrekten Sounds, Rock, Pop, Jazz, E-Musik und Folklore aus allen Ländern der Erde, und dann die verbotenen Sounds, Märsche, Spielmannszüge, Kölsche Tön, Küchenmusik.
Jeder mit jedem
Berührungsängste scheinen in Köln sowieso nicht besonders ausgeprägt zu sein, jeder kann mit jedem, der so genannte Alternativkarneval ist schon lange Teil des Systems, und die Kölner Neigung zur Promiskuität findet ihren Überbau in schwarz-grünen Koalitionen. Man ist sich vor gar nichts fies in der polarisierungsfeindlichsten Stadt der Welt, wohl die einzige, die noch nicht einmal zu einem G8-Gipfel eine gescheite Randale auf die Beine gestellt bekommt. Die Begriffe Heimatklänge und Brauchtum positiv zu belegen, den Besitzständen der Rechten und Doofen zu entreißen und sie mit anderen Einflüssen zusammenführen, das ist Jan Ü. Krauthäusers Mission. Da sind zum Beispiel die schweinischen Kegelbahnlieder der Pudelbande, jenes Alte-Damen-Kegelvereins, den Krauthäuser zum »spirituellen Zentrum« von Humba Efau erklärt. Dass er da musikethnologische Perlchen ausgegraben hat, erfuhr eine schöne Bestätigung und Adelung, als der unermüdliche britische Nischenforscher John Peel die heiteren Rentnerinnen in sein Radioprogramm nahm. Zotige Weisen aus alten Tagen tragen die Damen vor, die fast ausschließlich mündlich tradiert wurden. Inzwischen wirbt der Sensenmann die Damen der Pudelbande ab, und das betrübt Krauthäuser, der seine Entdeckung über die Oma einer Kollegin machte: »Wenn die mal nicht mehr sind, dann ist etwas für immer verloren.« Noch sind die schweinischen Lieder aber nicht verloren: Auf den beiden Humba-Parties am 28. Februar und am 1. März wird die Pudelbande ebenso wie die Schäl Sick Brass Band um Raimund Kroboth den Altenberger Hof in Nippes rocken.
Kölsche Globalisierung
»Global denken, lokal blasen« ist der Leitsatz dieser Formation, die sich der so genannten Weltmusik verschrieben hat, und damit nicht nur bulgarische Volksmusik und persische Traditionals meint, sondern eben auch die eigene Folkore, sprich Kölsche Tön und gern mal ein bayrischer Zwiefacher. Zur Anfangsverwirrung des Publikums bringt die Band nicht nur im Karneval den schneidigen deutschen Marsch Hochheidecksburg. »Die ersten Jahre habe ich zu Karneval immer die Rollladen heruntergelassen in meiner Wohnung«, sagt Kroboth, der aus Bayern und vom Free Jazz kommt. Seine erste Gitarre gewann der Musiker und Arrangeur bei einem Bravo-Preisausschreiben, er sah auf Fehmarn das letzte Konzert von Jimi Hendrix, besuchte die Münchner Jazzschule, wechselte zur Freundin nach Köln und zur Musikerinitiative Kölner Jazzhaus. Er spielte in diversen Formationen, bevor er schließlich die Schäl Sick Brass Band gründete, um zusammen zu spielen, was in der reinen Lehre nicht zusammen gespielt gehört. Sieben Jahre lang hatte Kroboth dem närrischen Treiben wacker stand gehalten, dann entführte ihn die Neugier ins Feez, wo er direkt hängen blieb, die folgenden sechs Nächte weiter trank, »und Texte sang, die ich gar nicht kannte«. Bald darauf entfernte der Konvertit den FC-Bayern-Aufkleber von seiner Wohnungstür. Als er irgendwann mit den Bläck Fööss auf Mallorca saß, um mit der Band zu arbeiten, war er endgültig drin.
Das Eis brechen
Die Suche nach neuen und nach anderen Melodien und Rhythmen führt ihn mitunter bis nach Kirch-Kleintroisdorf, wenn er den dort ansässigen Tambourcorps anheuern will. »Es herrscht zunächst immer Skepsis auf beiden Seiten«, sagt der 50-Jährige über diese Begegnungen der dritten Art, »man muss dann mit den musikalischen Leitern erst einmal trinken, dann bricht das Eis, und dann spielt so ein altehrwürdiger Spielmannszug auch mal afrikanische Lieder«. Umgekehrt hat sich die Brass Band den schönen Marsch von der Hochheidecksburg bei den Kirch-Kleintroisdorfern geborgt. Nein, von ganz alleine schreibe sich kein Stück: »Die griechische Sängerin Kristi Stassinoupolou entdeckte eine CD von uns auf einem Flohmarkt in ihrer Heimat und wollte ein Stück covern. Das hatten wir aber gar nicht geschrieben. Es war ein persisches Traditional, aber so lernten wir uns kennen und verabredeten uns bei einer Fahrt für das Goethe-Institut zum Oktoberfest der deutschen Botschaft in Athen.«
Schnelle Arbeit
Bei Weißwurst und Bier unter hellenischer Sonne können dann Projekte verabredet werden, die vielleicht schon im nächsten Karneval mit Klatschmärschen begrüßt werden, gerne auch auf der Herrensitzung. Nicht aber bei der Lesbensitzung, die inzwischen in die fünfte Session geht. Dort treten weder Höhner noch die Brass Band an, aber dafür Marie Luise Nikuta. »Die lieben mich, ich weiß auch nicht wieso«, freut sich Nikuta, die in diesem Jahr ihr 25. und vorläufig letztes Mottolied in die Sitzungen und Säle tragen wird. Diese Mottolieder sind es, die die Eingangsthese belegen können. »Ich arbeite wahnsinnig schnell«, bestätigt Nikuta«, die 1968, im Jahr der Revolte, ihre karnevalistische Laufbahn gegen den Widerstand vieler reaktionärer Narren startete. Wenn Karnevalsdienstag der Zugleiter das Motto für die nächste Session ausgegeben hat, dann ist sie oft noch am selben Abend mit ihrem Mottolied fertig. Zunächst legt sich Nikuta ins Bett. »Da kann ich am besten meine Texte schreiben, da fällt mir immer was ein«, dann setzt sie sich ans Klavier, und noch am selben Abend heißt es wie in diesem Jahr: »Klaaf un Tratsch op kölsche Aat«. Übrigens dürfen keineswegs nur verdiente Willi-Ostermann-Medaillen-Trägerinnen Mottolieder anbieten, jeder darf sich daran versuchen. Wie es geht, siehe ganz oben.