Krummes Gemüse und Tanzkurse
In Pakistan muss man erst mal drei Tee zusammen trinken, um Vertrauen aufzubauen, sagt Frieder Krups. Das Unternehmen des 59-Jährigen hilft dort den Menschen, sich anders zu organisieren: Selbst Dinge produzieren statt importieren, die lokale Wirtschaft stärken. Seit ein paar Monaten ist Krups zudem zuständig für den Arbeitskreis Nachbarschaften bei der Initiative »Agora Köln«. Und hat mit ähnlichen Problemen zu kämpfen. Zwar ist Ehrenfeld nicht Pakistan und die Dimensionen der Probleme eine andere, »aber in beiden Fällen geht es darum, die Menschen zusammenzubringen, das Bewusstsein zu wecken, dass man gemeinsam etwas bewegen kann«.
Am 15. September zeigt sich erstmals, wie wirksam die Bemühungen bislang waren. Nach erfolgreicher Crowdfunding-Kampagne findet in Ehrenfeld der erste »Tag des guten Lebens: Kölner Sonntag der Nachhaltigkeit« statt. Für einen Tag lang soll zwischen Subbelrather und Vogelsanger Straße sowie Innerer Kanalstraße und Gürtel der Autoverkehr ruhen und die Straßen stattdessen den Menschen gehören. »Es geht um ein anderes Erleben des Stadtraums«, sagt Elise Scheibler von Agora, die das Programm beim Tag des guten Lebens koordiniert.
Das Idee geht auf den Soziologen Davide Brocchi aus Sülz zurück. Mehr als 80 Initiativen und Organisationen, darunter der Verkehrs-Club Deutschland und die Bezirksvertretung Ehrenfeld, unterstützen das Projekt. Der Fokus im Premierenjahr liegt auf »Mobilität«. Es geht um die Suche nach Alternativen für die Zukunft: Weg von motorisiertem Individualverkehr, hin zu Fahrrad und öffentlichen Verkehrsmitteln, Regionalisierung der Nahrungsmittelproduktion. Man wolle Taktgeber für den notwendigen ökologischen Wandel sein, so Brocchi.
Das Programm auf der Venloer Straße machen Initiativen und Vereine: Es gibt eine Schnibbelparty mit »krummem Gemüse« und weggeworfenen Lebensmitteln und anschließendem Outdoor-Picknick; Lastenräder und Pedelecs können vor Ort getestet werden; es finden Tanzkurse auf der Straße statt. »Wir haben sehr viele Anmeldungen. Das Interesse ist größer als wir gehofft hätten«, sagt Scheibler.
Mindestens genauso wichtig ist das, was sich in den kleineren Nebenstraßen abspielen soll. Hier sind die Anwohner selbst verantwortlich, wie Frieder Krups erklärt: »Wir wollen die Beziehungen in der Nachbarschaft fördern. Das ist eine Bedingung für Veränderung.« Kein einfacher Weg: »Bei den ersten Nachbarschaftstreffen Anfang des Jahres kamen auch Menschen und sagten: ›Was wollt ihr eigentlich hier?‹« Das habe sich aber schnell gelegt, so Krups. Mittlerweile gibt es Straßenansprechpartner, die bei den Treffen des AK dabei sind und schon jetzt von regerem Austausch in ihrer Nachbarschaft berichten. Vieles bleibt indes noch zu tun: »Bislang sind viel zu wenig Migranten dabei«, sagt Krups.
Was alles genau passieren wird am Tag des guten Lebens, können sie noch nicht sagen. »Wir schaffen den Raum, aber die Bürger entscheiden selbst, was passiert. Wir wollen nicht alles verplanen«, sagt auch Davide Brocchi. »Es geht uns auch um Bürgerermächtigung und Teilhabe. Die Frage ist: Wie würde Köln aussehen, wenn es von unten regiert würde? Es ist ein Experiment für einen Tag.«
Vor allem aber ist man gespannt auf die Folgen des Experiments über den einen Tag hinaus. Brocchi hofft, dass sich aus dem Tag des guten Lebens neue Kooperationen entwickeln. Und dass auch andere Stadtteile aufmerksam werden und mitmachen wollen: »Ich glaube, das wir jetzt schon beobachtet werden. Die Menschen anderswo sind gespannt, wie das hier läuft«, so Brocchi. Auch Krups hofft auf konkrete Folgen für das Zusammenleben im Veedel. »In fünf Jahren ist aus Ehrenfeld idealerweise ein Dorf geworden, in dem die Menschen mehr politischen Einfluss haben. Auch die lokale Wirtschaft wird dann profitieren. Wenn man sich kennt und lokal einkauft, kann sich daraus ein anderer Markt entwickeln. Das wird sich auch auf die Mobilität auswirken.«
Das Thema für den nächsten Tag des guten Lebens 2014 ist noch nicht beschlossen. Nach Brocchis Meinung könnte es um Kulturelles gehen. Auch da sei eine Positionierung der Bürgerschaft wichtig. »Ob es nun das Autonome Zentrum in Kalk ist, die klammen Bürgerzentren überall oder hier in Ehrenfeld das Underground: Der Raum für freie Kultur und alternative Formen wird enger. Dagegen müssen wir etwas tun.«