So wird Prävention unmöglich

In Bielefeld wird ein Exempel gegen

fortschrittliche Drogenarbeit in NRW statuiert

Am 3. Februar begann in Bielefeld der Prozess gegen sechs Männer, denen ein gemeinschaftlicher Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz vorgeworfen wird. Bei den Angeklagten handelt es sich um den ehemaligen Bielefelder Polizeipräsidenten Horst Kruse (57), die leitenden Polizeidirektoren Uwe Gebranzig (50) und Heinrich Haubrock (58) sowie die Geschäftsführer des Vereins Drogenberatung e.V., Piet Schuin (53) und Michael Wiese (50) als auch deren Mitarbeiter Wolfgang R. Sie sollen »gemeinschaftlich handelnd und vorsätzlich anderen eine Gelegenheit zum unbefugten Erwerb und zur Abgabe von Betäubungsmitteln« verschafft haben. Kruse und den beiden Polizisten wird außerdem »Strafvereitelung im Amt« und »Beihilfe zur verboteten Prostitution« vorgeworfen.

Drogenakzeptierender Ansatz

Die Angeklagten haben keine Drogen verkauft und niemanden auf den Strich geschickt. Sie haben versucht, mit einem niedrigschwelligen Angebot für Drogenabhängige in Bielefeld fortschrittliche und effiziente Wege in der Drogenhilfe zu beschreiten. Das »Bielefelder Modell«, 1998 eingeführt, sieht eine akzeptierende Drogenhilfe vor, unterscheidet sich also von jener Art der Sozialarbeit, die ausschließlich Entzug und Nüchternheit von ihrer Klientel fordert. In der Einrichtung wird medizinische Hilfe angeboten, preiswertes Essen und saubere Spritzen. »Der drogenakzeptierende Ansatz ermöglicht es«, so die Aids-Hilfe Bielefeld, »KlientInnen in Lebensphasen der Abhängigkeit zu erreichen, und ihnen Hilfe zum Überleben zu bieten. Ziel ist es, die gesundheitlichen und sozialen Risiken des Drogenkonsums zu reduzieren«. Dealen ist auf dem Gelände der Drogenhilfe natürlich verboten.

Ermittlungen gegen die Drogenberatungsstelle

Einer, dem das ganze Konzept offenbar von Anfang an nicht gefällt, ist der Drogenfahnder Manfred Hudalla. Im März 1998 wird die Drogenberatungsstelle eröffnet, ab August 1999 ermittelt Hudalla gegen sie. Im Mai 2000 wird ein Kokaindealer festgenommen. Von 105 Deals, die ihm vorgeworfen werden, bleiben drei, die in den Räumen der Drogenhilfe getätigt wurden. Das reicht, um Ermittlungen gegen Schuin und Wiese einzuleiten.
Im September 2000 sagt Hudalla in einem Prozess gegen Rauschgifthändler aus, er kenne die aktuellen Heroinpreise nicht, weil die Polizei nicht mehr auf dem Gelände der Drogenberatung tätig sei. Daraufhin bekommt er Ärger mit seinem Chef Kruse. Der entbindet Hudalla von seinen Aufgaben, gegen Hudalla werden disziplinäre Vorermittlungen eingeleitet. Im Gegenzug zeigt ein CDU-Rechtsreferendar Kruse wegen Strafvereitelung im Amt und Verfolgung Unschuldiger an.

Mit Zuckerbrot und Peitsche

Abgesehen davon, dass sich hier ganz offenbar ein Fahnder und ein Polizeipräsident bekriegen, die unterschiedliche drogenpolitische Auffassungen vertreten, ist das Problem eigentlich Folgendes: Will die Polizei, dass ein niedrigschwelliges Angebot von den Junkies akzeptiert wird, muss sie sich in diesem Bereich mit der Verfolgung von Drogendelikten zurückhalten. Auch in Bielefeld wurde die Akzeptanz der Einrichtung dadurch unterstützt, dass die polizeiliche Repression in anderen Bereichen der Stadt verstärkt wurde (Peitsche). Das nützt nur etwas, wenn die Junkies irgendwo in der Stadt weniger Stress mit der Polizei haben (Zuckerbrot). Straftaten aber muss die Polizei verfolgen – aufgrund des Betäubungsmittelgeseztes ist so ziemlich alles, was man tun muss, um illegale Drogen zu konsumieren, verboten. Deshalb will Guido Schlimbach, Pressesprecher der Aids-Hilfe Köln, auch gar keine »Staatsanwaltsschelte« betreiben, das Problem sieht er in der aktuellen Rechtslage: »Es ist die Aufgabe der Politik, das Betäubungsmittelgesetz zu ändern.«

Anklage wegen behutsamen Vorgehens

Zum Anklagepunkt »Förderung der verbotenen Prostitution« kam es, weil die Aids-Hilfe Bielefeld im Rahmen des Projektes »Gesundheitsförderung für drogenabhängige Frauen« auf dem Drogenstrich ab 1995 mit der Polizei zusammenarbeitete. Das führte unter anderem dazu, dass Prostituierte es nun wagten, gewalttätige Übergriffe anzuzeigen. Außerdem konnten die Sozialarbeiterinnen verhindern, dass Minderjährige in die Prostitution einstiegen. Akut erkrankte Frauen wurden an Ärzte, Frauen, die entziehen wollten, ins Methadonprogramm vermittelt.
Die Bielefelder Staatsanwaltschaft aber hält das behutsame Vorgehen der Polizei für »Förderung der illegalen Prostitution«. Daraufhin weist Kruse seine Beamten an, wieder härter durchzugreifen. Die Frauen erhalten Anzeigen und Bußgelder, die sie nur durch mehr Prostitution bezahlen können. In der durch die Repression enstehenden Hektik wird natürlich auch die Sozialarbeit erheblich schwieriger.

Präventionsarbeit so nicht mehr möglich

Auf der Anklagebank in Bielefeld sitzt nun also jede Form niedrigschwelliger Drogenarbeit, bei der es darum geht, Abhängigen Zugang zu den selbstverständlichsten Dingen zu gewähren: Gesundheitsversorgung, warme Mahlzeiten, Beratung, Hilfe zum Überleben. Guido Schlimbach: »Wenn eine fachlich begründete und mit Politik, Verwaltung und Polizei abgestimmte Kontakt- und Beratungsarbeit für drogengebrauchende Menschen zu einer staatsanwaltlichen Verfolgung führt, ist Präventionsarbeit im illegalen Bereich nicht mehr möglich.«