Grün, beige, rot
Es ist Samstagabend, und dieser Sender erfüllt seinen Informationsauftrag«, meint der Fernsehsprecher mit stolz geschwellter Brust. »Was erwartet Sie heute Abend? Zuallererst haben wir natürlich die aktuellen Entwicklungen im Auge: Sie sehen es in unserem Bildfenster, wir sind direkt mit Bagdad verbunden. Wir werden Gäste haben: Ich erwarte einen unserer Korrespondenten. Den kennen Sie, er hat bis vor kurzen aus Bagdad berichtet – in diesen Minuten landet seine Maschine. Und auch ein Kollege von mir wird Gäste haben. Lieber Kollege, wer ist bei ihnen und was wird ihr Thema sein?« Der Kollege, ein bekannter Politiker und Talkshowmoderator erscheint im Bild und erklärt, mit wem er heute Abend »unsere« Haltung zum Krieg im Irak diskutieren wird. »Sie sehen es« – der Sprecher ist zurück – »der Mann hat sich viel vorgenommen. Es verspricht spannend zu werden.
Tief bewegte Seriosität
Und in der Tat lässt das Thema keinen kalt. Sehen Sie jetzt eine Auswahl prominenter Stimmen zum Krieg im Irak.« Die Prominenten defilieren vorbei und äußern ihre Meinung. Danach geht es gleich weiter zur nächsten »Station«. Eine Expertenrunde steht nämlich bereit, um sich der Nöte und Ängste der Zuschauer anzunehmen – es soll auch um persönliche Fragen gehen. Wie viel Krieg im Fernsehen dürfen Kinder mitbekommen? Kann man noch in die Türkei in Urlaub fahren?
Schon erraten, welcher Sender es gewesen sein könnte, der am Tag drei des Krieges im Irak so reißerisch berichtete. NBC? Fox News? Keineswegs. So begann am 22. März eine Sondersendung der ARD. Der Moderator war Fritz Frey – jene absonderliche Mischung aus öffentlich-rechtlicher, tief besorgter Seriosität und dem eisernen Willen, an diesem Samstagabend mindestens so unterhaltsam zu sein wie »Straße der Lieder« – ohne Krieg hätte nämlich Gotthilf Fischer um diese Zeit seinen 75. Geburtstag begehen dürfen.
Fels der Moral im Ozean des Betruges
Es vergeht kein Tag, an dem nicht die US-Medien hierzulande dafür kritisiert werden, dass sie den Krieg zum schieren Entertainment machen, aber an einem Samstag wird im deutschen Fernsehen der Krieg ebenfalls dargeboten wie eine Unterhaltungsshow. Gleichwohl präsentiert sich das deutsche Fernsehen – wild entschlossen, an der Seite »unserer« Bundesregierung den Krieg zu verurteilen – wie ein Fels der Moral im Ozean des Betruges: Ständig wird den Adressaten eingeschärft, dass alles höchst zweifelhaft sei, dass man mit Bildern und Informationen vorsichtig umzugehen habe. Es herrsche eben Krieg, so lautet die ständig wiederholte Floskel, und der Kriegs sei eben auch ein Krieg der Bilder und der Informationen.
In diesem Krieg wissen wir schon alles
Überall nur Propaganda. Diese Propaganda wird selbstverständlich ununterbrochen übertragen. So wird die Verantwortung scheinbar auf den ohnehin längst überforderten Einzelnen abgewälzt, der nun selbst entscheiden muss, was er glaubt oder nicht. Aber da diesmal sowieso alle gegen diesen Krieg sind, müssen wir ja nichts glauben, weil wir schon alles wissen: Der Krieg ist nämlich falsch, falsch, falsch. Ebenso – im Übrigen – wie der Angriff gegen die Bundesrepublik Jugoslawien vor vier Jahren richtig, richtig, richtig war. Damals hat keineswegs neben jedem Bild von weinenden Flüchtlingen eine Warnung aufgeleuchtet, dass im Krieg viel gelogen wird.
Bilder rechtfertigen Kriege
Noch heute zeigen sich viele, mit denen man sich derzeit unterhält, völlig überzeugt davon, dass die Bilder damals eindeutig gezeigt haben, dass im Kosovo ein Völkermord geschah. Insofern rechtfertigen insbesondere Linksliberale vor dem Hintergrund ihrer heutigen Ablehnung die Zustimmung zum Krieg von gestern: Milosevic – der gehörte zerbombt, weil er im Kosovo ein akutes Verbrechen beging! Während Saddam ja unmittelbar vor dem Krieg gar nichts Schlimmes angestellt habe. Von den aus Mossul vertriebenen Kurden gab es eben leider keine Bilder – das lag offenbar nicht im nationalen Interesse. Aber wenn der nächste Krieg gerechtfertigt werden muss, dann wird das deutsche Fernsehen die Bilder liefern, die keinen Zweifel daran zulassen, dass die Bundesregierung die richtige Entscheidung getroffen hat.
Grüne, beige und rote Bilder
Dass ein solcher Krieg kommen wird, das steht fest, denn der Verteidigungsminister hat im Schatten der allgemeinen Friedensseligkeit betont, dass die Bundeswehr ganz auf Auslandseinsätze umgestellt wird. In Afghanistan, betonte Struck, verteidige die Bundeswehr heute unser Land.
Was haben wir nun wirklich gesehen vom Krieg? Man könnte die Bilder so kategorisieren: Die grünen, die beigen, die roten. Schon seit dem letzten Golfkrieg erfreuen sich Aufnahmen mit Nachtsichtgeräten, die das Geschehen in Grün einfärben, bei MilitärBriefings und den Bildmedien großer Beliebtheit. Warum, weiß man nicht – wahrscheinlich, weil auf diesen Bildern zumeist so gut wie gar nichts zu erkennen ist. Man kann nicht sehen, an welchem Ort sich die Ereignisse abspielen, was für Truppen im Einsatz sind, welche Waffen sie mit sich tragen oder welche Art von Bombe gerade explodiert. Die grünen Bilder kommunizieren nichts außer purer Dramatik.
Krieg als Computerspiel
Die beigen Bilder sind ein Novum. Produziert wurden sie von den Reportern, die in der
US-Truppe »embedded« (eingebettet) waren, während diese durch die Wüste vorrückte. Per Satellit übermittelt, wirkten diese Bilder wie ein von einem Virus befallenes Computerspiel: langsame und eckige Bewegungen, plötzliches Einfrieren, manches Mal schierer Bildzerfall. Auch auf den beigen Bildern war praktisch nichts zu erkennen. Zwar gerieten die Reporter mit den Truppen anfänglich in Scharmützel, aber reale Kampfhandlungen – ganz zu schweigen von irakischen Soldaten – waren nicht zu sehen. Während die grünen Bilder die Dramatik belegen sollen, vertreten die beigen Bilder das reine Neue – im Sinne einer angeblich nie dagewesenen Nähe zum Kriegsgeschehen (»embedded«!) und im Sinne der neuen technischen Möglichkeiten.
Postkarte aus der Apokalypse
Die roten Bilder schließlich waren ein Glücksfall der Natur: Nie gab es etwas Mediengerechteres als den Sandsturm, der kurz nach Kriegsbeginn über den Irak fegte. Red Alert. Dazu Bilder von zivilen Opfern auf einem Markt in Bagdad. Eine Postkarte aus der Apokalypse.
Letztlich dringt nicht ein einziges Bild aus dem Irak, das nicht von der einen oder anderen Seite inszeniert wurde – das erzählen sie uns ja jeden Tag. Selbst die Zivilisten werden dabei zu Figuren in einem politischen Tableau. Das irakische Regierungsfernsehen stellt den Zivilisten als heroischen Widerstandskämpfer dar: Ein armer Bauer hat bloß mit einem alten Gewehr bewaffnet einen US-Kampfhubschrauber vom Himmel geholt. Erinnerungen an Vietnam sollen geweckt werden. Die »Koalition der Willigen« dagegen inszeniert die Zivilbevölkerung als hilfsbedürftige Masse. Der Kameramann steht auf der Ladefläche eines LKWs, von dem aus Hilfsgüter verteilt werden, und so dürfen wir dabei zusehen, wie die Iraker da unten immer mehr außer Kontrolle geraten, sich förmlich um die Lebensmittel balgen.
Die neue Doktrin der humanitären Intervention
Gleichzeitig jedoch waren auf dem vielleicht seltsamsten Bild, das dieser Krieg hervorgebracht hat, gähnend leere Zeltlager an der jordanischen Grenze zu sehen, die auf Flüchtlinge warteten, die niemals erschienen. Offenbar muss man derweil die Menschen dazu zwingen, dass sie sich helfen lassen. Sollten sie sich nicht helfen lassen wollen, dann werden sie durch militärische Interventionen eben auf das Niveau von Hungerleidern herabgewürdigt, die sich am Ende der erfolgreichen Aktion wie ein Rudel Hunde um die Hilfslieferungen reißen – so gehört es sich. Und wie nennt man eine solche Handlungsweise? »Eine neue Doktrin bildet sich in der internationalen Ordnung heraus«, hieß es im Kommentar von Daniel Kruger noch vor Kriegsbeginn im britischen Spectator, »es ist die Doktrin der humanitären Intervention – oder, um sie beim ihrem eigentlichen Namen zu nennen: Neokolonialismus«. Das meint er keineswegs kritisch: Kruger ist nämlich der Auffassung, dass das britische Empire auf einer tieferen Ebene ein »moralisches Projekt« gewesen sei.
Explosionen, mit dem Rhythmus des Trance-Techno synchron
Da es ohnehin nichts zu sehen gibt vom Krieg, am Schluss noch ein Tipp: Schalten Sie (sofern der Krieg noch nicht beendet ist) jeweils zwei Minuten vor der vollen Stunde auf BBC World. Da gibt es die wenigen Bilder, die den ganzen Tag in Heavy Rotation auf allen Kanälen laufen, konzentriert und hervorragend geschnitten. Ohne Gelaber, denn dazu läuft gediegener Trance-Techno. Besonders schön ist es, wenn in den musikalisch-dramatischen Momenten die gezeigten Explosionen mit dem Rhythmus synchron laufen.