17 Millionen Kubikmeter Bachwasser
Vom Kölner Hauptbahnhof aus bewegt sich der Zug über den Rhein Richtung Osten in einer Geschwindigkeit, die den nervösen Städter nachgerade sediert. Nach 69 Minuten wird die sogenannte Regionalbahn halten. Unsere Endstation: Gummersbach. Es gibt keine Gründe, hier länger zu verweilen, schnell überqueren wir den Vorplatz und warten auf der anderen Straßenseite auf einen Bus der Linie 318, der nicht allzu oft fährt. Darunter leidet die Jugend der umliegenden Dörfer sehr, denn auch sie möchte tanzen gehen mit jungen Menschen, mit denen sie nicht verwandt ist. Doch darauf können wir heute nicht weiter eingehen, denn wir haben Großes vor: Unser Ziel ist die vielleicht schönste Talsperre des Oberbergischen Landes.
Acht Millionen Reichsmark
Die Bezeichnung Oberberg hat übrigens nichts zu tun mit der vorzufindenden Topographie, sondern mit den Grafen von Berg, denen der ganze Quatsch hier vor Jahrhunderten mal quasi gehört hat und die 1148 vor Damaskus fielen, aber auch das ist heute egal, wir wollen schließlich schwimmen gehen, vielleicht grillen, bestimmt Bier trinken. Oder Segelboot fahren, auf der Luftmatratze dösen, mit dem Mountainbike oder dem Hund die wunderbare Halbinsel umkreisen, paddeln, angeln, legal oder wild zelten, von der Staumauer springen oder denen, die es tatsächlich tun – wir werden nämlich einen Teufel tun! – zuschauen. Vielleicht werden wir auch nur Kaffee trinken und Waffeln mit Kirschen und Sahne essen in einem der umliegenden Ausflugsrestaurants, Cafés oder Imbisse.
Nach ungefähr 20-minütiger Busfahrt sehen wir aus dem rechten Fenster den westlichen der drei Aggerarme. Hier wollen wir aussteigen und das Gelernte laut aufsagen: 1927 bis 1929 wurde das Aggertal mit einer 45 Meter hohen, 122 Meter breiten und acht Millionen Reichsmark teuren Mauer gesperrt. 17 Millionen Kubikmeter Bachwasser kamen hier zum Stehen, um die Versorgung der Frühindustrie mit Energie und Brauchwasser zu gewährleisten. Alle Jubeljahre wird das Wasser komplett abgelassen, dann können die Reste der seinerzeit überfluteten Gehöfte und Mühlen begangen werden. Doch das sind nur kalte Fakten, gleich folgen die Mythen!
Begehbare Staumauer
Jetzt aber erst mal baden. Seit der Fertigstellung hüpfen Menschen regelmäßig von beiden Seiten der Mauer hinab – mit entgegengesetzten Absichten und sehr unterschiedlichen Folgen. Schöner ist der Sprung in das kalte und recht klare Wasser, in dem sich bereits essbare Fische tummeln. Wir haben die Angelrute nicht mit, weil wir nicht angeln können, und breiten deshalb unsere Badetücher auf den etwas zu spitzen Steinen am steilen Ufer aus und schwimmen ein paar Runden. Wir hätten natürlich auch ins Strandbad Bruch gehen können, einem abgetrennten und gesicherten Teil der Talsperre mit Liegewiesen, originalem Sandstrand, Duschen und Eisverkauf. Das alles kostet Eintritt und ist ganz nett, aber bei Weitem nicht so wild-romantisch wie an diesen waldgesäumten Ufern.
An einer Seite der außen und – nach Absprache – innen begehbaren Staumauer, die britische Bomber im Krieg mit über
die Wasseroberfläche hüpfenden Bomben knapp verfehlten, prangt ein Gasthaus aus grobem Bruchstein, so wie er hier noch Anfang des 20. Jahrhunderts aus den vielen umliegenden Steinbrüchen geholt wurde. Ein paar Meter weiter lockt am Parkplatz eine Pommesbude mit vertrauten Gerüchen. Doch wir gehen zurück Richtung Bushaltestelle, dort lässt sich in Burg Zinne einkehren, auf den Aggersee-Terrassen Platz nehmen oder im Haus am See, das sich mit großem Erfolg an Biker wendet.
Keltenkönige und Römerlager
An schönen Tagen stehen gut und gerne 100 Motorräder mit den Kennzeichen K, DO und W vor der Tür. Die Fahrer schwitzen in ihren Ledermonturen und lassen nur selten Blicke übers Wasser schweifen, viel attraktiver sind ihnen die passierenden schweren Maschinen, die auf Höhe der Terrasse ihre Motoren kurz Grüß Gott! sagen lassen.
Als es zu laut wird brechen wir auf, die Halbinsel zu umlaufen. Für den Rundweg brauchen wir eine Stunde, Zeit für die alten Geschichten, die sich in der Gegend seit Jahrmillionen hartnäckig halten, obwohl die Quellenlage mehr als dürftig ist; alles könnte so stimmen, muss aber nicht. So sollen die Grundrisse der Ruinen einer alten Fliehburg auf der Halbinsel, Burgberg genannt, bis in die Blütezeit der Kelten zurück reichen. Ein Keltenkönig in einem goldenen Sarg soll hier gar ruhen, versichern die einen, während die anderen davon überzeugt sind, dass hier ein Römerlager stand. Wer das oberbergische Nachtleben kennt, mag sich aber nicht vorstellen, dass Kelten oder Römer hier länger als nötig verweilt hätten. Am schönsten ist ohnehin die Geschichte aus dem Dreißigjährigen Krieg. Da hätten die Schweden die Festung belagert, den Burgherrn schwer verwundet, der Burgherrin aber kulant freies Geleit zugesichert, mit aller Habe, die sie auf ihrem Rücken tragen konnte. Und? Sie entschied sich für ihren Mann! Auch wir müssen uns sputen, schließlich fährt der letzte Bus bereits kurz nach acht. Den müssen wir ganz unbedingt kriegen, sonst wird’s hier unheimlich.
Info
Informationen rund um die Aggertalsperre sind
erhältlich beim Aggerverband: 02261/ 36-0 oder unter www.aggerverband.de
Anfahrt
Mit Bahn und Bus: Die Regionalbahn nach Gummersbach fährt stündlich um 23 Minuten nach der vollen Stunde. Vom Bahnhof aus fährt die Linie 318 sechs Minuten nach Ankunft des Zuges Richtung Aggertalsperre. Drei Haltesstellen verteilen sich entlang der Talsperre: Genkeltalsperre, Bredenbruch, Deitenbach. An diesem Teilstück befinden sich auch die beschriebenen Ausflugslokale.
Mit dem Auto: Über die A4 Richtung Olpe bis Abfahrt Gummersbach. Richtung Gummersbach und dann nach Niederseßmar abbiegen. Weiter auf der B55 Richtung Derschlag/Bergneustadt, von hier aus ist die Aggertalsperre ausgeschildert.