Die Semantik des Grooves

Die Musik von Prefuse 73 gleicht einem außer Kontrolle geratenen Radiosender, der De La Soul, Matthew Herbert und Mouse On Mars parallel spielt. Ist das

die Wiedergeburt von HipHop aus dem Geist der Electronica?

Uh-Young Kim traf Mastermind Guillermo Scott Herren.

Als sich unsere Wege das erste Mal kreuzten, hatte sich George W. Bush gerade die Präsidentschaft ergaunert. Bei ein paar Kölsch im Elektra erzählte Scott Herren schon damals, dass er den American Way Of Life satt habe und von Atlanta nach Barcelona ziehen wolle. Was aber Liz Taylor über Jahre von Europa-Reisen abhielt – nämlich ihren Pudel in eine dreimonatige Quarantäne zu stecken –, war auch für das hagere Herrchen eines phlegmatischen Chihuahuas Grund genug, vorerst in den USA zu bleiben.
Vor einem Jahr hielt es der 27-jährige Amadeus unter den Downbeat-Produzenten nicht mehr aus. Nach einer Tour mit Tortoise durch die Staaten, dem Ausbau seines kleinen Labels Eastern Developments und einer stattlichen Anzahl von Kollaborationen und Remixen hat er seine Freundin, seine Heimatstadt und seinen Hund Habib verlassen, um sich in der katalanischen Metropole niederzulassen. Nicht zuletzt deswegen, weil sein Vater aus Barcelona stammt.
Als wir uns am Vorabend des Irak-Krieges wiedertreffen, wirkt Scott nicht mehr so kauzig wie noch vor zwei Jahren. Die Hornbrille, hinter der er sich versteckt hatte, trägt er nicht mehr, dafür aber seinen spanischen Vornamen Guillermo. Das Wiedersehen tut gut. Musik auf CD-Rs wird ausgetauscht, die Kollegin von Köln-Campus bekannt gemacht, sich für die Nacht verabredet.

StadtRevue: Wie gefällt es dir in Barcelona?

Scott Herren: Es gibt dort viele Musiker, aber jeder lebt sehr in seiner eigenen kleinen Welt. Es ist einfach super entspannt dort, wogegen das Leben in den USA immer paranoider geworden ist. Ich konnte dort nicht mehr klar denken, geschweige denn richtig Musik machen. Aber jetzt, wo Spanien die USA im Krieg unterstützten, denke ich auch darüber nach, nach Frankreich oder Deutschland zu ziehen.

Wollen viele Amerikanern das Land verlassen?

Jeder, der nichts mit der Politik der Bush-Regierung zu tun haben möchte und die Möglichkeit dazu hat, sagt: Fuck you, ich bin weg hier.

Was hast du in der Zeit seit deinem ersten Album getrieben – außer einer der meistgefragten Remixer auf Erden zu werden?

Ja, die Remixe sind wie ein Fluch... Ich habe Habib nicht mehr. Meine Freundin hat ihn nach unserer Trennung behalten. Diese Platte ist ein Trennungsalbum. Sie entstand, während wir Schluss gemacht haben.

Den Track-Titeln nach zu urteilen, hatte ich vermutet, du seist frisch verliebt: »Why I Love You«, »90 % Of My Mind Is With You«. Wo sind die anderen zehn Prozent geblieben?

Mit den verbliebenen zehn Prozent musste ich an meiner Musik arbeiten. Ich habe mich für die Produktion am neuen Album vier Monate in meiner Wohnung in Atlanta eingeschlossen, in völliger Isolation und sehr depressiv, aber mit einem datierten Rückflugticket in der Tasche. Als es fertig war, habe ich endgültig meine Sachen gepackt.

»One Word Extinguisher« heißt der Nachfolger zum Debüt von Prefuse 73 aus dem Jahre 2000. »Vocal Studies and Uprock Narratives« schlug eine bis dato unerhört virtuose Brücke zwischen instrumentalem HipHop und klirrender Electronica. Prefuse 73 führte mit druckvollen Downbeats, glitschenden Soundmosaiken, kybernetischen Beat-Boxern und zerstückelten Rap-Fragmenten geradewegs auf die nächste Stufe der Sample-Kultur. Gleich einem außer Kontrolle geratenen Radiosender, der die Lieblingsstücke von De La Soul, Matthew Herbert und Mouse On Mars parallel spielt, strömten verschiedenste Klänge zu einem Fluss der Brüche zusammen.
Im Gegensatz zu DJ Shadow, dessen instrumentale Exkursionen sich stets auf die Originalität ihrer Quellen berufen, hat Prefuse 73 HipHop als Möglichkeitsraum erweitert und dessen Klanglandschaft gleich dreidimensional kartografiert. Nicht der Plattenspieler und auch kein Laptop, sondern eine MPC, die klassische wie relativ simple Sample-Maschine des HipHop, ist das Instrument, das Scott in- und auswendig beherrscht. Während die DJ-Kultur über den Technizismus des Turntablism zurück zur Musik finden möchte und der Mainstream-Rap vollends zur Action-Comedy-Show mutiert ist, hat Prefuse 73 sich von den Begrenzungen des DJs befreit und die im Rampenlicht stehenden MCs entthront.
Als Meister der Edits hat er den Fokus auf den narrativen Fluss der Beats gerichtet. Indem er Silbenpartikel zu phonetischen Rhythmusteilchen tranchiert, rückt er sie in eine Tradition, die von der universalen Semantik des Grooves erzählt. So gehört das Samplen und Cutten einzelner Wörter seit den frühen 80er Jahren zum Beat-Einmaleins der Alten Schule. Sich in der Tradition verstehend, die HipHop nicht als wortschweren Sozialkommentar oder Selbstinszenierung einengt, hat Prefuse 73 die Struktur jenes Grooves aufgebrochen, der inzwischen die ganze Welt bewegt.
Seine Platte aber steckte in den Läden im Abstract-Electronic-Fach. Nicht zuletzt deswegen, weil Scott sie auf Warp (home of Aphex Twin, Squarepusher etc.) veröffentlichte.

Dein Album beginnt mit einem typischen Prefuse-Track. Danach fehlen die zerschnittenen Raps fast gänzlich. Weist der Titel »One Word Extinguisher« auf diese Veränderung hin?

In gewisser Weise. Ich habe die Vocal-Edits durch einen Stil ersetzt, der mehr in die Musikalität von Sounds geht. Das Ding mit den Vocal-Edits hatte Überhand genommen. Leute kopierten mich, und mir wurde sogar ein eigenes Subgenre namens »Click Hop« gewidmet. Alles, was ich gemacht hatte, war, das Erbe von Mantronix und Afrika Bambaataa fortzuführen. Ich erhielt Remix-Aufträge, und wenn keine Raps zerschnitten waren, waren die Leute so enttäuscht, dass ich sie nachträglich einfügen musste. Verrückt! Also sagte ich mir: Gut, noch einmal, und das war es dann: »The End Of Biters«.

Was ist an die Stelle der Edits getreten?

Statt weiter herumzustottern, habe ich meinen Moog-Synthesizer und zufällige Sounds benutzt. Ich bin in die Texturen von Sounds hineingegangen, in ihre emotionale Kraft.

Das Klangbild wirkt insgesamt reicher und dichter. Besonders sind mir die Bläser-Passagen aufgefallen.

Ja, Bläser-Akzentuierungen auf HipHop-Beats und auch weiblicher Gesang im Refrain sind so was von klassisch und festgefahren, dass ich diese Elemente ganz bewusst auf das ganze Stück ausdehnen wollte. Zum Teil habe ich so ganze Arrangements aus einem Sample gebaut.

Wie bekommst du es hin, dass deine Beats so seltsam humpeln und trotzdem außerirdisch grooven?

Ich spiele die Beats ein, ohne sie vom Computer angleichen zu lassen. Ich setze gegensätzliche Sounds an den falschen Platz, befreie mich vom vorgegebenen Tempo und entstelle die Zeit-Signatur des Sequencers soweit, dass du teilweise nicht mehr weißt, wo der Beat einsetzt. Wenn du einen Walzertakt in eine andere Rhythmusmatrix einbaust, entstehen manchmal die verrücktesten Sachen.

Über Breakbeat-Kreise hinaus empfahl sich Scott Herren mit seinem Projekt Savath & Savalas zudem als Genregrenzen ignorierender Freigeist. Hierin lotet er die Schnittstellen von Postrock und Folk aus. Erste Aufnahmen dieser freifließenden und lichtdurchfluteten Musik sind auf dem Chigagoer Trüffelschwein-Label Hefty erschienen. Scott spielt alle Spuren – von Flügelhörnern über die Drums bis zur Gitarre – selbst ein. Auf den neuen, bisher unveröffentlichten Stücken säuselt er sehnsüchtig an der Seite seiner Mitbewohnerin auf Katalanisch und klingt wie Vincent Gallo, der seine Liebe zu afrokubanischer Musik entdeckt hat.

Plattenläden dürften in Zukunft noch mehr Schwierigkeiten haben, Scott Herrens Musik einzuordnen. Ist er nun der HipHop-Erneuerer, der die Block-Party mit kubistischen Synkopen ins digitale Zeitalter überführt hat? Oder gar der Pionier einer neuen Folk-Musik ohne Volk? Spätestens nach dem Debütalbum von Savath & Savalas werden sie ihm ein eigenes Fach einrichten müssen.

»One Word Extinguisher« erscheint am 5. Mai 2003 auf Warp/Zomba.