Lichtsäulenheilige
What a difference a day makes. Als Regisseur ist Spike Lee immer ein wütender junger Mann gewesen. Mal mehr und mal weniger, doch stets konnte man sich darauf verlassen, dass aus dem Vaudeville der Hautfarben und Kulturen episches Theater wurde und die optisch überhitzten Kamerafahrten durchs Milieu in einem verschachtelten Lehrstück endeten. Mit stupender Regelmäßigkeit bricht sich der zwischen Häuserblocks angestaute Hass in seinen Filmen Bahn. »Do the Right Thing«, »Clockers« oder »Summer of Sam« lassen die amerikanische Gesellschaft weniger als Schmelztiegel denn als Druckkessel erscheinen. Doch wie das ganze Land nach dem 11. September zusammenrückte, ist auch der wütende Lee nun von einem verhaltenem Glauben an ein Amerika erfüllt, das sich immer wieder neu erfinden kann. Diese wohl nur als Demut vor einem historischen Ereignis zu erklärende Wandlung macht sich in »25 Stunden« vor allem darin bemerkbar, dass Lee ganz auf jene Selbstgerechtigkeit verzichtet, mit der der Moralist in ihm dem Ästheten allzu gern ins Handwerk pfuschte. Zu seinem Schaden ist es nicht.
Höllensturz nach Himmelfahrt
In »25 Stunden« erzählt Spike Lee vom letzten Tag, den der charismatische Drogenhändler Monty (Edward Norton) in Freiheit verbringt, bevor er eine siebenjährige Gefängnisstrafe antritt. Weil sein Film aber auch eine Hymne auf die Stadt New York ist, beginnt »25 Stunden« nicht einfach, er hebt an. Er hebt an mit einem Requiem von Spike Lees Hauskomponisten Terence Blanchard und mit den abgenutztesten Bildern, die es für einen New-York-Film gibt: der nächtlichen Skyline von Manhattan. Nur sind es diesmal die beiden im Angedenken an die Twin Towers projizierten Lichtsäulen, zu denen die Kamera mit so großer Selbstverständlichkeit zurückkehrt, als sei die Stadt perspektivisch um sie herum gebaut. Der Himmelfahrt folgt dann der Höllensturz. Er führt unter eine Straßenbrücke tief im Bauch der Stadt, wo Monty, begleitet vom Rotwelsch seines russischen Begleiters, einen halb tot geprügelten Kampfhund aufliest. »Diesem Hund das Leben zu retten«, wird er später sagen, »war das beste, was ich je getan habe.«
Bilanz eines Verrats an sich selbst
An seinem letzten Tag in Freiheit geht Monty noch einmal die Stationen seines Lebens ab: die alte Schule, der Platz, an dem er seine Freundin kennen gelernt hat, die Kneipe seines Vaters. Es ist ein melancholischer Abschiedsreigen, der ihn am Ende der Nacht mit seinen beiden ältesten Freunden zusammenführt: dem Wallstreet-Hallodri Frank (Barry Pepper), der gerade ein Appartment mit Blick auf Ground Zero bezogen hat, und dem schuldgeplagten Privatschullehrer Jacob (Philip Seymour Hoffman), den eine seiner minderjährigen Schülerinnen in eine heikle Mesaillance stürzt. Auch nicht gerade Ausbünde der Rechtschaffenheit, stehen die beiden dafür, was aus Monty hätte werden können – gerade weil er ihnen charakterlich in jeder Hinsicht überlegen ist, nur nicht was Gesetzestreue anbelangt. Letztlich zieht Lee in »25 Stunden« deshalb auch nicht die Bilanz eines verpfuschten Lebens, sondern die eines Verrates an sich selbst. In einer bestechenden Szene sieht man Monty vor einem Spiegel stehen, auf den jemand »Fuck you« gekritzelt hat. Für ihn wird dieser Alltagsrefrain zum Auslöser einer Hasstirade auf die Stadt New York und ihre Einwohner, in der mit sardonischer Akribie vom chinesischen Ladenbesitzer bis zum vierschrötigen Polizisten jede Ethnie und jeder soziale Typ gescholten wird. Im Spiegel lässt Lee dazu die Angesprochenen Einstellung für Einstellung Revue passieren.
Am Ende bleibt Monty mit sich selbst zurück und schließt, wie er begonnen hat: »Fuck you«.
Mit der Figur des Monty hat Spike Lee einen seltsamen Lichtsäulenheiligen des neuen Amerika geschaffen: voller Bitterkeit und Hass, und doch scheint sich New York an ihm wieder aufzurichten. Die große Schlussfantasie des Films zelebriert den amerikanischen Mythos vom Neuanfang, die Möglichkeit, alles hinter sich zu lassen und woanders ein besseren Leben zu beginnen. Es wäre ein Neuanfang im Augenblick der Schuld, der persönlichen und, soviel Lehrstück-Moral hat sich Spike Lee dann doch bewahrt, der eines durch den Rassismus gespaltenen Amerikas. Aber wenn Monty seine letzte Fahrt zum Gefängnis antritt und die Menschen aus seiner Hassrede noch einmal am Wagenfenster vorüberziehen, dann sind es freundliche und versöhnliche Gesichter, in die er schaut. What a difference a day makes.
25 Stunden (25th Hour) USA 02, R: Spike Lee, D: Edward Norton, Philip Seymour Hoffman, Barry Pepper, 134 Min. Start: 15.5.