Die Wohltäter kommen
Rund zwanzig junge Menschen sind in das Café in der Bonner Altstadt gekommen, ihre Augen richten sich hoffnungsvoll auf eine Person: Antje Schultheis, die heute einen Vortrag über Initiativbewerbungen halten wird. Sobald alle Namensschildchen angeklebt und alle Rhabarberschorlen bestellt sind, beginnt das regionale Treffen von »Spinnen-Netz«, einem »Job- und Kompetenzforum« im Nonprofit-Bereich.
Was schreibe ich in eine Initiativbewerbung, wann lohnt es sich, eine zu verschicken? Um diese Fragen geht es, und schließt man von den Teilnehmern dieses Abends auf den gemeinnützigen Sektor insgesamt, so arbeiten dort vor allem Frauen, die Geographie oder Geisteswissenschaften studiert haben. Die meisten von ihnen sind Mitte zwanzig und haben einen ersten, meist befristeten und schlecht bezahlten Job schon gefunden — bei einer NGO, an der Uni oder in einem Ministerium.
»Im Nonprofit-Bereich wird überwiegend mit temporären Projekttöpfen gearbeitet. Dadurch hat man einerseits ständigen Deadline-Stress, also jede Menge Arbeit, und andererseits keine Zeit, Stellen auszuschreiben — geschweige denn, sich über strategische Personalplanung Gedanken zu machen«, sagt Antje Schultheis, 37, die an diesem Abend eine Doppelrolle hat. Als »Coach für berufliche Entwicklungsprozesse« referiert sie über Initiativbewerbungen, als Gründerin und Geschäftsleiterin von »Spinnen-Netz« betreut sie dessen Regionaltreffen im Rheinland. Weil auch Schultheis ihre Jobs ausschließlich über Mundpropaganda und Empfehlungen bekommen hat, beschloss sie im Jahr 2005, diesen informellen Markt mit einem Netzwerk transparenter zu machen. Sie schrieb ehemalige Kollegen und Auftraggeber an und bekam sofort euphorische Rückmeldungen und die ersten Personalanfragen.
Inzwischen hat das »Spinnen-Netz« etwa 520 Mitglieder. Bundesweit finden Regionaltreffen statt; den größten Zulauf gibt es jedoch im Köln-Bonner Raum, weil hier die großen NGOs und die UN sitzen. Das Spinnen-Netz pflegt gute Kontakte etwa zur Welthungerhilfe, zur Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit oder zu Lobby Control. Auf der Website sind Erfolgsgeschichten aufgelistet: Moderationsaufträge, Mitarbeiterstellen an Unis, Projektaufträge — alles durchs Spinnen-Netz zustande gekommen. Doch profitieren kann davon noch lange nicht jeder: Das Netzwerk ist ein durchaus erlesener Kreis, in den man nur über Empfehlung gelangen kann. Den Netzwerkpartnern bei den NGOs soll das garantieren, dass sie beim »Spinnen-Netz« auch wirklich gute Leute finden.
Handelt es sich also um eine neue Form der Seilschaft, die da im gemeinnützigen Sektor munter vor sich hinklüngelt, sich Aufträge und Jobs zuschustert? »Ich empfehle niemanden, nur weil ich ihn nett finde oder weil eine Hand die andere wäscht. Sondern weil Kompetenzen und Engagement dahinter stecken«, sagt Schultheis. Das sei der große Unterschied zu einer Seilschaft. »Spinnen-Netz«-Mitglieder müssen sich ehrenamtlich engagiert haben, mindestens zwei Fremdsprachen sprechen, Auslandserfahrung und einen beruflichen Bezug zu den sechs Schwerpunktbereichen des Netzwerks haben. Als da wären: Entwicklungszusammenarbeit, Sozialwissenschaften, Erwachsenenbildung, Journalismus, Beratung/Projektmanagement sowie Sprachen und Übersetzung.
Bei den Gehältern, die im Nonprofit-Bereich gezahlt werden, wirkt der Seilschaft-Vorwurf ohnehin ein wenig lächerlich. Während sie gegen die Ausbeutung von Menschen in anderen Ländern kämpfen, taumeln die Netzwerkmitglieder selber von einer unbezahlten Praktikumsstelle zur nächsten. Vor allem in kleinen NGOs, die in den letzten Jahren vermehrt auf den Markt drängen, arbeiten viele Akademiker, manche mit Promotion, auf einer Tarifstufe, die anderswo für Sachbearbeiter gedacht ist. Außer lebhaften Diskussionen kann das »Spinnen-Netz« dem nicht viel entgegensetzen. Immerhin werden unbezahlte Praktika und Trainee-Stellen unter 750 Euro vom Netzwerk geflissentlich ignoriert.
Um die Mitglieder zu unterstützen, hat Schultheis in diesem Jahr außerdem ein Mentoringprogramm gestartet. Sie glaubt an den Solidaritätsgedanken: »Die Leute bleiben nicht nur hier, um Jobs abzugreifen.« Das bestätigt auch Anna Wissmann, 36, die seit 2012 Mitglied im »Spinnen-Netz« ist. Sie sieht den größten Vorteil darin, auf Gleichgesinnte zu treffen, auf die häufig, genau wie bei ihr, keine der gängigen Berufsbezeichnungen zutrifft. Auf Englisch würde das, was Wissmann tut, »Facilitator« genannt. Sie moderiert Großgruppen, wobei der Fokus auf der Selbst-organisation der Gruppe liegt.
Im Moment baut sie einen »Lernort für städtisches Gärtnern« in Bonn auf. »Solche Tätigkeiten sind natürlich in keiner normalen Stellenanzeige ausgeschrieben.« Wissmann hat jetzt eine finanzielle Förderung für ihr Projekt beantragt, sie rechnet sich gute Chancen aus. Von der Fördermöglichkeit hat sie natürlich übers »Spinnen-Netz« erfahren.