Streitfall Prostitution | Foto: Manfred Wegener

Die Sex-Lobby

In Köln gibt es jetzt einen Berufsverband für sexuell Dienstleistende

Alice Schwarzer hat’s mal wieder geschafft. Ein Emma-Themenheft, ein neues Buch und ein von Prominenten unterzeichneter Appell gegen Prostitution, und schon wird diskutiert. Die Medienmaschine der Emma-Chefin funktioniert immer noch einwandfrei. Aber dies­mal ist etwas anders. Ein paar Tage nach Veröffent­lichung fand ein Gegenappell seinen Weg ins Internet: »Prostitution ist keine Sklaverei. Prostitution ist eine berufliche Tätigkeit, bei der sexuelle Dienstleistungen gegen Entgelt angeboten werden«, heißt es dort.

 

Unterschrieben haben ihn neben einigen Prominenten vor allem Sexarbeiterinnen aus ganz Deutschland. Veröffentlicht hat ihn der im Oktober in Köln gegründete Verein Sexwork-Deutschland, ein Zusammenschluss von Sexarbeiterinnen und -arbeitern. Anne ­Schumann (Name geändert) bietet in Wuppertal SM-Dienstleistungen an und sitzt im Vorstand des eingetragenen Vereins. »Alle reden über uns, niemand redet mit uns. Es musste einen Berufsverband geben, wo sich Sexworkerinnen auch von Sexworkerinnen vertreten fühlen«, sagt sie. »An wen sollten sich Behörden denn bislang wenden?«

 

Ein Berufsverband wie jeder andere also? Gerade in der Prostitution ist die Zersplitterung der Arbeitsverhältnisse weit fortgeschritten. Weil die Selbständigkeit der Regelfall ist, und die Arbeits­bedingungen sehr unterschiedlich sind. Eine Domina mit festem Kunden­stamm hat andere Arbeitszeiten als eine Sexarbeiterin, die an den Verrichtungsboxen an der Geestemünder Straße in Niehl arbeitet. Und der Verdienst einer Escort-Dame, die bei Messen und Kongressen arbeitet, unterscheidet sich gehörig von dem einer Prostituierten, die im Großbordell an der Hornstraße ihrer Arbeit nachgeht.  Für manche Frauen und Männer ist die Sexarbeit ein Job auf Zeit, um die Miete zu zahlen, andere arbeiten seit mehreren Jahrzehnten in diesem Beruf.

 

Wie will der Verband diese unterschiedlichen Perspektiven zusammenbringen? »Es gibt Diskriminierungen, von denen wir alle betroffen sind. Zum Beispiel die Einführung einer Meldepflicht«, meint Schumann. In München ist eine Art Meldepflicht bereits Realität. Neu in die Stadt kommende Sexarbeiterinnen werden von den Bordellbesitzern aufgefordert, sich bei der Polizei zu registrieren, 90 Prozent von ihnen kommen dem nach. Kritiker lehnen das ab, weil das Recht auf informationelle Selbstbestimmung gefährdet sei. »Was geschieht mit den Daten?«, fragt auch Schumann. »Eine Frau, die sich heute mit Sexarbeit ihr Studium zur Ärztin finanziert, möchte bestimmt nicht als Prostituierte registriert werden.«

 

Maßnahmen wie die Meldepflicht werden diskutiert, weil Deutschland als beliebtes Ziel für Armutsmigration in die Zwangsprostitution gilt. Sowohl das Ausmaß dieser Migration als auch ihre Ursachen sind Gegenstand hitziger Debatten. Für die Emma ist die Legalisierung der Sexarbeit durch das reformierte Prostitutionsgesetz von 2002 für die Armuts­migration verantwortlich. Für Heidrun Nitschke vom Gesundheitsamt der Stadt Köln besteht da kein Zusammenhang: »Migration in die Sexarbeit ist kein neues Phänomen. Sie können daran Wirtschaftskrisen und unterschiedliche Gesetzesregelungen ablesen.«

 

Die Reform des Prostitutionsgesetzes ist stark umstritten. Die rot-grüne Bundesregierung hatte 2002 beschlossen, dass Prostitution juristisch nicht mehr als sitten­widrig eingestuft wird. Sie wollte so ein »angemessenes Arbeitsumfeld« für Sexarbeiterinnen schaffen und ihnen die Möglichkeit geben, sich zu versichern und Honorare einzuklagen. In einer Evaluation 2007 wurde Reformbedarf festgestellt, und in den schwarz-roten Koalitionsverhandlungen wird gerade darüber verhandelt, die Auflagen für Bordelle über das Gesetz zu verschärfen sowie in die Zwangsprostitution verschleppten Frauen ein Aufenthaltsrecht zu gewähren.

 

»Man kann nicht sagen, dass das Prostitutionsgesetz gescheitert ist«, erläutert Schumann. »Es ist nur nicht überall gleich gut umgesetzt worden.« In Düsseldorf müssten Sexarbeiterinnen täglich 25 Euro als Steuervorauszahlung leisten, und in Köln müssten auch sie die so genannte Bettensteuer zahlen, berichtet sie. »Hier wäre eine einheitliche Regelung wünschenswert.« Bei aller Kritik am Gesetz sieht Schumann auch Verbesserungen der Arbeitsbedingungen für Prostituierte: »Mittlerweile sind fast alle krankenversichert, auch wenn das bei den individuellen Versicherungen nicht immer gleich gut funktioniert.« Ein Problem, dass die Sexarbeiterinnen mit anderen Selbständigen teilen.

 

Ihr Verband will in Zukunft vor allem durch Lobbying auf die Politik einwirken. »Wir sagen denen: ›Bitte entmündigt uns nicht als unfähige Opfer. Ihr versucht Gesetze zu entwickeln für uns, ohne uns in Entscheidungs­prozesse einzubinden.«