Arbeiten mit der Liebe

Der finnische Elektronikproduzent Vladislav Delay schafft es, mit seinem Projekt Luomo das House-Genre zu reanimieren. Thomas Venker erklärt Delays Dialektik von Romantik und Distanz.

 

Es war ein besonders seltsamer Auftritt. Wir schreiben die Popkomm 2000. Vladislav Delay performt im Rahmen eines Abends des Kölner Staubgold-Labels im fast leeren Gebäude 9. Aufgrund der üblichen Verzögerungen ist es weit nach Mitternacht, als er die Bühne betritt, die Meute der Event-Hüpfer ist bereits weitergezogen. Die Aufmerksamkeit der wenigen Verbliebenen wird auf zwei sichtbar unter Pilleneinfluss stehende Hippies gelenkt, die sich zu Delays experimentellem Ambientarbeiten auf dem Boden wälzen. Der damals 23-Jährige sitzt schüchtern verkrochen mit kahlrasiertem Kopf hinter seinem Equipment.

Der Hype: Delay wird Coverstar

Seit dieser Nacht sind fast drei Jahre vergangen. Drei Jahre, in denen einiges passiert ist für Vladislav Delay. Mit seinem im Herbst 2000 veröffentlichten Luomo-Debütalbum »Vocalcity« wurde er es nicht nur von Spex auf den Titel gehievt, sondern sammelte überall nichts als Lob ein. Im Gegensatz zu seinen experimentellen Ambient-Arbeiten unter dem Imprint Vladislav Delay, bei denen es ihm darum geht, aus isolierten Mikrosoundpartikeln dezente Rhythmusmuster zu entwickeln und diese mit den Techniken des Dubs zu modulieren, versuchte er mit Luomo die dabei entstehende Kälte aufzubrechen, die gleichen Sounds in eine wärmere, konkretere Umgebung einzubetten.

Der Hype II: Luomo entdeckt die Liebe

Mit »Vocalcity« arbeite er sich an der Schnittstelle aus Vocalhouse, Disco, Soul und dem damals ganz heißen Ding namens Clicks’n’Cuts ab. Für Delay stellte es den ersten Versuch mit tanzbaren Tracks und Vocals dar. Das Interessante dabei, gerade aus seiner Unkenntnis über House und Disco, weil er zuvor an eher experimentelleren Stücken getüftelt hatte, entwickelten die Tracks eine eigene, ebenso warm pulsierende wie wirklich aufregende Tanzästhetik: Man hatte das Gefühl, dass er einen so sinnlich tanzen ließ wie niemand zuvor. So deep klang schon lange kein Deep House mehr. Der Popappeal der Stücke wurde kontrastiert von den für House merkwürdig verrückten Hintergrundsounds und den rhythmischen Raffinessen der Tracks.
Mit seinem neuen Album »The Present Lover« geht Delay gleich einige Schritte weiter. Die Stimmen stehen deutlich stärker im Vordergrund. Die Stücke sind kürzer und direkter. Mitunter haftet ihnen eine cheesige Stimmung an. Doch genauso wie seine sehr persönlich anmutenden Texte mühelos am Kitsch und Schmalz vorbeitänzeln, in dem sie nicht nur die ganz große Liebe hochleben lassen, sondern sich für die dunklen Wolken am hellblauen Liebeshimmel interessieren, sich also auf die Abgründe im zwischenmenschlichen einlassen, beamt Delay auch die Musik auf ein anderes Plateaux. Er arrangiert die Beats vertrackt, platziert die Breaks punktgenau platziert und lässt generell unglaublich viel an delikaten Sounds passieren.

Romantik heute

Die Texte auf »Present Lover« sind sehr romantisch.
Auffällig ist, dass Delays Romantikdefinition sehr oft in einer Beziehung zur Distanz steht. Distanz ist hier nicht nur auf die Abwesenheit des Partners bezogen, sondern auch auf den direkten Umgang mit ihm. Delay könnte (und wollte) die Romantik seiner Musik nie auf den Alltag übertragen: »Die Texte und die Musik sind das Feld, auf dem ich meine romantische Ader auslebe. Im direkten Aufeinandertreffen mit den Leuten bin ich eher distanziert. Dieses Gefühl der zwischenmenschlichen Distanz fasziniert mich. Ich sehe mich als Beobachter, als jemand, der Gefühle hegt, aber nicht an das Ziel kommt, dem die Erfüllung verschlossen bleibt. Das ist in meinen Texten allgegenwärtig. Würden wir uns nicht zwischendurch schlecht fühlen, wüssten wir das Großartige ja auch nicht zu schätzen.«
Gesungen werden die von Delay selbst geschrieben Texte von Johanna Niemela und Watkinson (die beide auch auf »Vocalcity« sangen) sowie Raz O’Hara und Antye Greie-Fuchs. Neben der Tatsache, dass Delay es als »erhabenes Gefühl empfindet, wenn schöne Stimmen meine Gedanken vermitteln«, ist es auch die eigene Schüchternheit, die es ihm unmöglich erscheinen lässt, seine Gefühle selbst zu vorzutragen.

Noch einmal: die Liebe

Wegen Antye Greie-Fuchs ist er vor einiger Zeit von Helsinki nach Berlin gezogen. Dort teilt er sich mit der Frontfrau von Laub und Laptop-Performerin (sie veröffentlicht solo auf Kit Claytons Label Orthlong Musork) nicht nur eine Wohnung, sondern produziert neuerdings auch mit ihr gemeinsam. Kennen gelernt haben sich die beiden übrigens auf jenem Staubgold-Abend vor drei Jahren. Da soll noch jemand sagen, dass nicht in jedem Debakel noch ein Fünkchen Gutes steckt!
Nun kennt die Popwelt zwar diverse Musikerpärchen, bei denen es gut läuft, wenn sie zusammen arbeiten, man denke nur an Thurston Moore und Kim Gordon (Sonic Youth) oder Bretzel Göring und Francoise Cacctus (Stereo Total). Aber Gegenbeispiele wie Beth Gibbon und Geoff Barrow (Portishead) und natürlich die Abba-Pärchen lassen auch den Schluss zu, dass diese Arbeit keine leichte Sache ist. Wie sieht es der Künstler selbst? »Die gemeinsame Kunst ist eine sehr romantische Vorstellung: It’s like sun and shine at the same time. Und es ist gleichzeitig eine besonders herausfordernde Situation. Es treibt mich manchmal in den Wahnsinn. Ich bin sehr dominant, wenn es ans Produzieren geht. Wenn ich kreativ agiere, bin ich nicht wirklich an Zusammenarbeit interessiert. Das hat sich so ergeben, da ich meistens allein gearbeitet habe. Antye arbeitet genauso. Es prallen bei uns also zwei egoistische Modelle aufeinander, da rappelt es dann schon mal. Wobei man mit der Zeit viel lernt. Seitdem sie auf einigen der neuen Songs gesungen hat, versuchen wir es öfters: Wenn es klappt, dann ist es das größte aller Gefühle, aber wenn es in die Hose geht, dann halt auch so richtig.«

Materialien zum Komplex Arbeitssucht

Wenig geändert hat sich in den letzten drei Jahren an Delays Neigung zum Workaholic. Die Veröffentlichungen sind heute zwar spärlicher gesät als in seinen Coming-out-Tagen als Produzent (1999/2000), dafür ist Delay allerdings deutlich mehr im Flugzeug unterwegs. Es vergeht fast kein Wochenende, an dem er nicht irgendwo zwischen Santiago de Chile, Montreal, Malta, Tokyo oder Moskau auftritt. Außerdem betreibt er mit Freunden in Helsinki eine Softwarefirma, bei der er für das Programmieren zuständig ist. »Ich kann nicht wirklich ausspannen«, sinniert Delay. »Außerdem gibt es immer soviel zu tun. Ich mag es zu arbeiten. (schweigt lange) Ich bin mir schon bewusst, dass es manchmal zu viel wird, dass zeigt sich auch daran, dass ich nach fünf heftigen Tagen jetzt schon mal einen Tag ausspanne. Wahrscheinlich sollte ich wirklich noch mehr auf mich achten. Vor einigen Jahren hatte ich gar kein Problem, wie ein Irrer zu rocken und viele Drogen zu nehmen. Jetzt, wo ich das nicht mehr mache, zeigt mir mein Körper trotzdem, dass es Grenzen gibt.« Da fragt man sich, warum er nebenher noch eine Softwarefirma betreibt! Delay hat sich dagegen entschieden, Musik zu seinem Fulltimejob zu machen. Er sieht »die Musik und das Reisen als mein Hobby«. Natürlich könnte er von der Musik leben, aber er will in seiner Kunst (ganz romantisch!) unabhängig vom Geld bleiben. Er will keine Kompromisse bei seinen Remixen und eigenen Platten machen müssen, um seine Miete zahlen zu können. Die aktuellen (Rezessions-)Entwicklungen in der Musikbranche stützen ihn nur in seiner Entscheidung.

Raus aus dem House

Bleibt noch der Blick in die Zukunft. Derzeit nerven Delay die Berechenbarkeit und das ständig sich Wiederholende im Techno- und Housekontext. So werden wir wohl bald neben einem weiteren abstrakt konzipierten Vladislav-Delay-Album und einem Ambientwerk mit Antye Greie-Fuchs vor allem HipHop- und R’n’B-Tracks von ihm zu hören bekommen. Ihn reizen das Arbeiten mit Rappern und auch die
offeneren, stärker gebrochenen Beatstrukturen. Da ist er ja nicht alleine in diesen Tagen.

Diskographie

Luomo, »The Present Lover« ist auf Force Trax (Vertrieb: EFA) erschienen.

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