Made on Earth

Begegnung mit Richard Deacon: In der StadtRevue läuft auf 16 Sonderseiten die Preview,

im AC-Saal des Museum Ludwig eröffnet seine Ausstellung »Made in Cologne« am 5. Juni. Warum ein Engländer

in Köln-Ehrenfeld produziert und Keramik nicht zu den »Ekeltechniken« gehört, erklärt Kerstin Stremmel

 

Bei Arbeiten aus Keramik denkt man eher an Kunstgewerbe als an Kunst, wenn auch nicht alle Kritiker so weit gehen wie Walter Grasskamp, der 1989 das Häkeln, Stricken, Sticken und Töpfern unter dem Begriff »Ekeltechnik« zusammenfasste. Allerdings gibt es zahlreiche Maler und Bildhauer, die im 20. Jahrhundert auch ihr keramisches Werk als künstlerische Ausdrucksform haben gelten lassen wollen. Anders als bei dem bekanntesten unter ihnen, Pablo Picasso, von dem vor allem zahlreiche Dekore etwa auf Tellern existieren, sprengen die Dimensionen von Richard Deacons Arbeiten herkömmliche Dimensionen.
Seit 1999 lässt der britische Künstler seine Keramiken in der renommierten Ehrenfelder Werkstatt von Niels Dietrich brennen, in einer monumentalen Größe von bis zu zwei Metern, was Erinnerungen an Handgetöpfertes aus der Volkshochschule vergessen lässt.

»Ambiguity is a good thing in art«

Die Arbeiten entstehen in enger Zusammenarbeit mit den BildhauerkollegInnen Anna Zimmermann und Christopher Ullrich in einem Prozess, der Deacon reizt: Die Kooperation sei »fearless and fun«, geprägt von Vertrauen und von großer Bedeutung für das Endresultat. Sympathischerweise macht der Künstler kein Hehl aus dem starken Einfluss der Mitarbeiter: Alle Keramikskulpturen Deacons sind »Made in Cologne«. Dieser Prozess besteht einerseits aus dem spielerisch-expressiven Element bei der Herstellung der Maquetten, handlichen Kleinplastiken, die Grundlage der Skulpturen sind, und der Distanz, die das Aus-der-Hand-geben bewirkt: Die Entwürfe stehen Modell für die großen Tonarbeiten, die Zimmermann und Ullrich im Laufe vieler Tage formen, wobei Spuren der Fertigung durchaus auch nach dem Brennen sichtbar sein können und sollen.
Nicht alle Entwürfe sind so wirkungsvoll, wie die kleinen Modelle zunächst vermuten lassen. Ist Deacon mit dem Ergebnis zufrieden, werden die Skulpturen nach einem mehrwöchigen Lufttrocknungsprozess bei 1040° gebrannt, und Niels Dietrich sendet digitale Abbildungen nach London. Während Deacons frühere Keramiken häufig monochrom waren, spielt bei den aktuellen die farbige Glasierung, die auf das Brennen folgt, zumeist eine große Rolle: Es erinnert ein bisschen an einen Besuch im Baumarkt – welche Farbzusammenstellung darf es sein –, wenn Deacon sich die möglichen Glasuren auf kleinen Kacheln vorführen lässt. Lieber tigerartig geflammt oder an Adern erinnernde Rotspuren?
Diese Wahl, bei der Deacon als unbestechlich gilt, birgt ein gewisses Risiko, denn öfter als zwei Mal kann keine Glasur aufgetragen werden, und die farbliche Wirkung ist eine entscheidende Komponente für die sinnliche Wirkung der Arbeiten. Die Malaktion, die die Fotos im Insert dokumentieren, zeigt den Farbauftrag mit den Händen als Performance, erneut kommt nach der akribischen Erfassung der spontan entstandenen Formfindung eine gestisch-bewegte Komponente ins Spiel, und erst nachdem die Glasur fertig ist, erhalten die Arbeiten auch ihre Namen. Mit ihnen bemüht sich Deacon erneut, eine gewisse Ambivalenz bestehen zu lassen, denn, wie er gerne wiederholt: »Ambiguity is a good thing in art«. Bedingung dafür ist, dass sich die Formen nicht als konkret-gegenständlich erweisen, aber durchaus Assoziationen zulassen.

Mythos der schöpferischen Hände

Unter den Arbeiten, die im Museum Ludwig in der bisher umfangreichsten deutschen Ausstellung von Deacons Keramiken gezeigt werden, gibt es runde Formen, wie die fünfzehn ineinander verschlungenen »Autoreifen«, die einen Innenraum umschließen, Blöcke wie etwa eine flache Form mit bewegter Oberfläche, »Frozen Water«, die einzige Arbeit, die auch als Maquette so wirkungsvoll ist, dass der Künstler daraus ein kleinformatiges Auflagenobjekt plant, oder die Arbeit »Like You Know«, die an eine molekulare Struktur erinnert, im Gegensatz zum Brüsseler Atomium allerdings asymmetrisch ist – auch das eine jüngere Entwicklung, denn die anfänglichen Keramiken Deacons waren zumeist symmetrisch. Die Außenhaut kann porös oder glatt sein, die Farbigkeit aus dem natürlichen ziegelartigen Terrakotta-Ton bestehen oder an action painting erinnern. Immer wirken die Keramiken allerdings auch einzeln; abgesehen vom hohen Preis dieser aufwendigen Objekte wäre es gut vorstellbar, einen Solitär bei sich wohnen zu haben – »Waiting for the Rain« etwa, eine grün-braun gebrannte biomorphe Form, über die man gerne Regen fließen sähe und die sich im Außenbereich möglicherweise wohler fühlt als im AC-Saal.
Was die Skulpturen über ihren haptischen Reiz und die assoziative Betitelung hinaus reizvoll macht, ist ihr Ursprung aus der Hand des Bildhauers, eine Erinnerung an künstlerischen Furor, der beinahe an den Mythos der schöpferischen Hände von Rodin erinnert. Manchmal wird ein Tonklumpen von Deacon mit den Fingern eingedrückt, eine gerollte Tonwurst wird zusammengequetscht und ein anderes Materialstück wird gegen die Tischkante gedrückt. Spricht Deacon davon, so spürt man andererseits auch die Lässigkeit und Souveränität des etablierten, 1949 geborenen Bildhauers, der 1987 mit dem Turner-Preis eine der wichtigsten Auszeichnungen für Gegenwartskunst gewonnen und etwa mit seinen Skulpturenprojekten in Münster bewiesen hat, dass er jedem Innen- und Außenraum gewachsen ist.
Typische »Deacons« gibt es nicht, er arbeitet mit so verschiedenen Materialien wie Holz, Metall oder Polycarbonaten, flach oder raumgreifend, durchsichtig oder opak. Bei den Keramikskulpturen ist der Entstehungsprozess, der spielerische Ursprung mit dem formbaren Ton entscheidendes Merkmal. Daraus scheint auch eine gewisse Vertrautheit zu resultieren, die beim Betrachten der Skulpturen entsteht. Bleibt zu hoffen, dass das Wachpersonal im Museum Ludwig den Ausstellungsbesuchern freie Hand lässt, die die Arbeiten berühren möchten.

Die Ausstellung im AC-Saal wird vom 6.6. bis zum 21.9. zu sehen sein, Eröffnung am 5.6., 19 Uhr. Der Katalog, der mit der Bildstrecke aus der StadtRevue gedruck wird (s. Folge-Seite), erscheint im Verlag der Buchhandlung Walther König, Köln.


Kunst in der StadtRevue: Die Kooperation

»AC:/DC:« heißen die beiden großen Projekträume im Museum Ludwig, in denen drei mal jährlich besondere Ausstellungen Spannung erzeugen sollen. Zu den Ausstellungen erscheinen jeweils zwei Kataloge. Die Kooperation »KUNST VERÖFFENTLICHEN« verlängert die Ausstellungsprojekte in den öffentlichen Raum der Medien: Die Künstler gestalten Bildstrecken, die in der StadtRevue als 32-seitiges Insert publiziert werden. Anschließend entstehen aus dieser StadtRevue-Bildstrecke, erweitert durch Texte und Interviews, die zwei separaten Ausstellungskataloge des Museums (Verlag Walther König). Nach dem Auftakt im November 2001 mit Isa Genzken/Wolfgang Tillmans und Bodys Isek Kingelez/Thomas Bayrle folgten Hans Weigand und Thomas Stimm, das Künstlerduo Fischli/Weiss und Per Kirkeby und zuletzt im Februar 2003 Bruce Nauman und Peter Herrmann. Mit den Künstlern der kommenden Ausstellungen in AC:/DC: wird die Kooperation fortgeführt.