Auf der Schwelle
Grün ist es am Klettenberg-Park, geradezu idyllisch, vor allem zu dieser Jahreszeit. In einem zitronengelben Altbau, direkt unterm Dach, befindet sich das »Büro für Angewandte Kulturvermittlung«. Ein Klingelschild dazu sucht man vergeblich: die Namen Hofmann / Lindholm müssen reichen. Wie ein Markenartikel.
»Angewandte Kulturvermittlung«: Neben dem Hauch Selbstironie ist so eine Wendung auch Verweis auf Gießen und das in Fachkreisen berühmt-berüchtigte Institut für Angewandte Theaterwissenschaft. Dort haben sich die beiden kennen gelernt. Gerade ist die Talentschmiede deutscher Postdramatik 20 Jahre alt geworden. René Pollesch, Tim Staffel, die Gruppen She She Pop und Rimini Protokoll zählen zu den Absolventen. Die beiden Wahl-Klettenberger sehen ihre Zeit dort durchweg positiv: ständiger Austausch mit den KommilitonInnen, die Möglichkeit, »zu machen und wieder zu machen«. Ein großartiges Experimentierfeld sei das gewesen, eine Brutstätte für Konzepte und Konsequenz, die Gelegenheit, in speziellen Kritikforen die eigenen Arbeiten hinterfragt zu sehen. Insgesamt eine exzellente Vorbereitung auf das zukünftige Leben als Künstler. Gerade in Zeiten wie diesen, wo überall die Gelder knapper und Arbeitsbedingungen schlechter werden.
Bloß keine Schubladen
Hannah Hofmann und Sven Lindholm, geboren 1971 und 1968, sind Grenzgänger zwischen Theater und Kunst, ein Regie-, ein Künstlerteam, beschäftigt mit der asymptotischen Annäherung an die Frage »Was ist Theatralität?«, beseelt vom Wunsch, die Wahrnehmung des Publikums zu verschieben. Das Ungefähre dieser Umschreibungen reflektiert ihre Methode: Bloß keine Schubladen! Also schreiben sie in der Info zu ihrer kommenden Arbeit »Aspiranten«: »Das Schlimmste, was Aspiranten passieren kann, ist, dass man sich ein Bild von ihnen macht.«
Sich ein Bild machen. Vertrauten Pfaden folgen. Affirmatives Theater konsumieren: All das können die Zuschauer bei »Aspiranten« nicht erwarten, auch wenn diese Arbeit »theaternäher« als frühere Projekte zu werden verspricht: Sie findet auf einer Bühne, in einem »richtigen« Theaterraum statt – dem Düsseldorfer Forum Freies Theater –, mit vier DarstellerInnen plus einer Erzählerin.
Wenn die Pose entgleitet
Das war beim Projekt »Provisorische Gesellschaft« 2000 in Halle/Saale anders. Für nur Minuten führten Lindholm/Hofmann dort einander unbekannte Menschen vor und für die Kamera zusammen. Die knapp umrissene Aufforderung lautete, Vertrautheit vorzuspielen. Sie resultierte erstaunlich oft in gemeinsamem Lachen, als ob nur gute Laune menschliche Nähe beweisen kann. Die Pose der Vertrautheit wurde von einer Kamera festgehalten – aber auch der Moment, wenn die Pose entgleitet, Verlegenheit ihren Platz einnimmt und nur mehr zwei Menschen dastehen, die sich nicht kennen und nicht so genau wissen, was sie hier eigentlich tun. Ein inszenierter Moment und wie er wegrutscht, das ist der nie so genau zu fassende Punkt, für den sich Hofmann und Lindholm interessieren.
Geradezu exemplarisch – als Schwelle zwischen »Rolle« und »Aus-der-Rolle-fallen« – zeigte das ihre Arbeit »Vergessene Bühnentexte« von 2001, für die sie probende SchauspielerInnen dabei filmten, wie ihnen ihr Text entfällt. »Sinnlichkeit, die sich als etwas Selbstverständliches einstellt, Präsenz«, erklärt Hannah Hofmann, wollen sie finden, und das am Schnittpunkt zwischen Inszenierung und Nicht-Inszenierung. Den Moment dazwischen, festgehalten, um den Zuschauer auf unerwartete Weise zu berühren. Beispiel »Zeugnis der Stellvertreter« (2000): Schüler wählten sich einen Begriff aus, den sie »vertreten« sollten, in dem sie nur sagen: »Ich vertrete...« Die Zukunft. Die Ehre. Den Tod. Wer die Kinder und Jugendlichen in dieser Videoinstallation sieht, ihre Haltung, will automatisch wissen, was für ein Verhältnis sie zu »ihrem« Begriff haben. Aber man erfährt es nicht. Und hat also keinen Vorwand, das Gesehene als erledigt zu betrachten.
Neues Projekt:»Aspiranten«
Situationen herstellen, Fragen eröffnen, keine Antworten präsentieren: Hofmann/Lindholm sehen sich als Grundlagenforscher, als Beobachter, als Rechercheure in Sachen Theatralik. Das setzt eine gewisse Distanz voraus. Und ZuschauerInnen, die sich auf neue Wege einlassen, »die eine Dauer auch in sich selbst aushalten können«, meint Hannah Hofmann. »Wir halten die Position für zumutbar, dass das Publikum Dinge nicht verstehen muss oder kann, dass es nicht bedient wird. Und wir finden es gut, wenn man Dinge nicht gleich einordnen kann.« Sven Lindholm ergänzt: »Wir haben viel Zeit, Dinge zu erzählen.«
Ihr neues Projekt »Aspiranten« (Premiere: 30.5., FFT) entstand aus einem Theaterworkshop mit Jugendlichen. Es handelt, so erzählen die beiden, von Sozialisation, »von Anpassung, Nachahmung, Täuschung«, von dem Bemühen, eine Rolle in der Gesellschaft, in unserem System zu finden – und gleichzeitig Individuum zu bleiben, die eigene Bedürftigkeit zu entdecken. »Warenwelt, Wahrnehmung, Bankwesen, Systeme und ihre Grauzonen«: Wie real ist unsere Realität?
»Aspiranten« ist Theater mit Jugendlichen, aber kein Jugendtheater. Die Workshop-Vorgabe lautete ursprünglich: »Ihr sollt eine Woche lang lügen.« Theater hat schließlich mit Verstellung zu tun, mit der Möglichkeit, andere Leben auszuprobieren. Die Teilnehmer konnten sich eine komplett andere Geschichte geben und mussten feststellen, dass die Themen, die sie umtreiben, sich immer wieder ihren Weg bahnen, in welcher Verkleidung auch immer. Und dass Lügen gar nicht so leicht ist.
Wahrhaftigkeit – nicht Wahrheit – ist ein Schlüsselbegriff im Hofmann/Lindholm-Universum. Um die Glaubwürdigkeit der angenommenen Biografie zu verbessern, forderten die Workshopleiter »Beweise«, regten eine »Ermittlungstätigkeit« und Manipulationen an. Der Einsatz von Film und Foto, den bewahrenden Medien, ist Teil dieser Beweisführung, gaukelt Plausibilität, Verlässlichkeit vor. Die Darsteller von »Aspiranten« haben Schreibtische auf der Bühne, auf denen sie ihre Beweise sammeln und sichten, ihnen Raum geben. Per Video werden die Jugendlichen vorgestellt und begleitet, ihre Aussagen im Theater müssen sich messen lassen an dem, was die Konserve zeigt oder suggeriert. Und umgekehrt. Die Medien Film und Theater ergänzen sich notwendig, gelten als zwei gleichberechtigte Mittel: das Zufällige gegen das Wiederholbare. Anders gesagt: die Unsicherheit des menschlichen Daseins gegen die Sehnsucht nach Sicherheit.
Die Kulturverwaltung schwitzt
Und warum sieht man von alledem so wenig in Köln? Immerhin sind die beiden nach ihrer Zeit in Gießen bewusst hierher gezogen – »wegen der bildenden Kunst«. Zu sehen sind ihre Arbeiten aber meist anderswo, jetzt auf wichtigen Off-Festivals in Düsseldorf und Dortmund. »Es hat sich nicht ergeben«, sagt Hannah Hofmann im Blick auf den Kontakt zur hiesigen Szene. Es sei ihnen aber auch kein Theaterraum begegnet, der nach einer Zusammenarbeit geschrieen hätte.
Übrigens auch keine seelenverwandten Theatermacher, interessiert an ähnlichen Fragestellungen. Die, meint Sven Lindholm, stellen die Frage »Was ist das: Inszenierung?«, anscheinend nicht.
Es gefällt den beiden, überregional tätig zu sein und hier zu wohnen, basta. Aber natürlich gibt es dazu schon noch mehr zu sagen. Zum Beispiel, dass das schrecklich-schöne Wort »spartenübergreifend« eine Kulturverwaltung ins Schwitzen bringt: Wer ist zuständig? Wenn eine Förderung »im Prinzip bewilligt« ist, heißt das: Absolut sicher, dass tatsächlich Geld fließen wird, kann sich der Antragsteller nicht sein, weil über den Haushalt hier gerne spät entschieden wird. Ausgezahlt wird dann frühestens ein halbes Jahr nachdem alles über die Bühne ist. Keine Planungssicherheit in Köln. Also verwirklicht man seine Arbeiten am Düsseldorfer FFT oder, wie bei »Vergessene Bühnentexte«, am Künstlerhaus Mousonturm in Frankfurt am Main.
Info: www.gebenundnehmen.de
»Aspiranten«, 30.5. (UA) – 1.6., 20 Uhr; Filminstallation von »Zeugnis der Stellvertreter«, 29.5. – 5.6., jeweils Forum Freies Theater Düsseldorf (Kammerspiele) im Rahmen des Festivals »Spielarten«. Karten / Info: 0211 / 8767870 oder
www.forum-freies-theater.de
»Aspiranten« auch am 6.6., 20 Uhr im Theater im Depot Dortmund im Rahmen des Festivals
»off limits« Karten/Info: 0231/5027710/-20 oder www.offlimits-symposium.de