Foto: Manfred Wegener

Kita, Schule, Inklusion: Auf den Ehrgeiz folgt das Chaos

Am 25. Mai dieses Jahres ist Kommunalwahl. In den folgenden Ausgaben betrachtet die StadtRevue die Wahl unter fünf thematischen Blickwinkeln. In der ersten Folge analysiert Anne Meyer die Situation von Eltern, Kindern und deren Betreuung in Köln - und wofür die Parteien stehen.

Seit einem Jahr werden in Köln so viele Kinder geboren, dass das Standesamt mit dem Ausstellen von Geburtsurkunden kaum noch hinterher kommt. Bis zu vier Wochen mussten Antragsteller zuletzt warten; per automatischer Bandansage wurden ungeduldige Eltern gebeten, von Anfragen zur Bearbeitungszeit abzusehen. Insgesamt rechnet Amtsleiterin Angelika Barg für 2013 mit rund 12.500 Neugeborenen in der Stadt. Gegen diesen Kindersegen kann natürlich niemand etwas haben. Auch Kölns Jugenddezernentin Agnes Klein nicht, nur: Seit August 2013 haben Kinder ab dem Alter von einem Jahr einen Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz in der Kita oder Tagespflege, und Klein ist verantwortlich, dass die Eltern keinen Grund zur Klage finden. 

 

Bisher war das relativ selten der Fall. Die Quoten der Stadt können sich sehen lassen: Im Oktober 2013 hatten 36,5 Prozent aller unter Dreijährigen einen Betreuungsplatz, bis zum Sommer sollen es 40 Prozent sein. Doch der Bedarf wächst weiter: »Der Babyboom sorgt für zusätzlichen Druck beim Kita-Ausbau. Außerdem steigt mit einem guten Betreuungsangebot erfahrungsgemäß auch die Nachfrage«, so Klein. Um den Rechtsanspruch zu gewährleisten, hat die Stadt in den vergangenen Jahren einige Anstrengungen unternommen: Um die Betreuung in der Tagespflege attraktiver zu machen, erhalten Tagesmütter und -väter seit November pro Kind und Stunde 5 statt 3,50 Euro. Dafür dürfen sie von Eltern keine Zuzahlung mehr verlangen. Außerdem bezuschusst die Kommune freie Träger bei den Mietkosten, damit diese sich den Betrieb einer Kita in teuren Innenstadtlagen überhaupt leisten können. Und dank einer Sonderregelung innerhalb der Verwaltung können frei werdende Erzieherstellen in städtischen Kitas sofort neu besetzt werden — Personalmangel ist in Köln im Gegensatz zu den meisten anderen Kommunen in NRW kein großes Problem.  

 

Doch obwohl Köln mit seinen Zahlen gut dasteht, sind nicht alle Eltern und Kinder über die Situation glücklich. »In Lindenthal oder Kalk gibt es eine flächendeckende Überbelegung der städtischen Kitas aufgrund der örtlichen Bevölkerungsstrukturen«, sagt Achim Schlömer, Personalratsvorsitzender der städtischen Kitas. Möglich ist das durch den vom Kinderbildungsgesetz (Kibiz) für Ausnahmefälle vorgesehenen »Korridor«, der es erlaubt, Gruppen mit ein bis zwei Kindern überzubelegen. »Das ist natürlich nicht akzeptabel«, sagt Kirsten Jahn, jugendpolitische Sprecherin der Grünen, »aber wenn schon überbelegt wird, dann sollte die Stadt das wenigstens melden, damit mehr Personal zur Verfügung gestellt werden kann«. Bisher sei das nicht immer der Fall gewesen.

 

Es gibt beim Kita-Ausbau aber noch eine weitere Entwicklung, die sich künftig rächen könnte: Die 29 neu entstandenen oder entstehenden Kitas werden ausschließlich von freien Trägern betrieben. Und da U3-Plätze stärker bezuschusst werden, könnte dies für freie Träger ein Anreiz sein, jüngere Kinder den älteren vorzuziehen. Denn allein die städtischen Kitas sind verpflichtet, den Rechtsanspruch zu erfüllen, der für die Ü3-Kinder genauso gilt wie für die jüngeren. Das diffuse Gefühl vieler Eltern, der U3-Ausbau könne auf Kosten der älteren Kinder gegangen sein, scheint also doch nicht ganz aus der Luft gegriffen zu sein — auch wenn Agnes Klein vehement das Gegenteil versichert.

 

Bisher fordert allein die Linke »mehr zentrale Steuerungsmöglichkeiten der Stadt bei der Belegung«, versteht diese Forderung allerdings im Zusammenhang mit einer besseren sozialen und interkulturellen Durchmischung der Einrichtungen insgesamt. Während die Linke außerdem eine komplette Elternbeitragsbefreiung und kostenloses Mittagessen für die Kinder fordert, setzen die Grünen die Prioritäten anders: »Wir finden es am wichtigsten, in mehr qualifiziertes Personal zu investieren. Erst dann können wir über eine komplette Beitragsbefreiung nachdenken.«

 

Dass die Kita-Versorgungsquoten auf bis zu 70 Prozent bei den unter Dreijährigen erhöht werden sollen, darüber herrscht jedoch bei allen Parteien Konsens. Ebenso einig ist man sich darüber, das Offene Ganztagsangebot ausbauen zu wollen, welches zurzeit 70 Prozent aller Grundschüler wahrnehmen können: »Von der Kita sind es die Eltern gewöhnt, dass ihre Kinder tagsüber gut betreut sind. Da wäre es widersinnig, wenn sie plötzlich spätestens um ein Uhr nach Hause kommen, nachdem sie eingeschult wurden«, sagt Helge Schlieben, jugendpolitischer Sprecher der Kölner CDU. Nichtsdestotrotz beschloss der Rat im vergangenen Jahr, die Zahl der Plätze für das Schuljahr 2013/14 nicht zu erhöhen — und die freiwilligen kommunalen Mittel für das Ganztagsangebot um zwei Prozent zu kürzen. 

 

Die Beschlüsse führten zu enormen Protesten von Eltern und Trägern des Offenen Ganztags. »Der Bedarf ist einfach höher«, gibt Dezernentin Klein zu. Man mobilisiere nun die Gebäudewirtschaft, um die Schulen auszubauen. Außerdem planen Politik und Verwaltung, den Offenen Ganztag 2014/15 um 1500 Plätze aufzustocken. Die Kölner SPD-Fraktion spricht gar davon, eine Versorgungsquote von annähernd 100 Prozent erreichen und auch den Ganztag an weiterführenden Schulen ausbauen zu wollen. Auch die CDU hat einen klaren Standpunkt: »Wenn es um die Prioritätensetzung geht, sind wir eindeutig für mehr Kita- und OGS-Plätze als für ein neues Museum auf dem Rathausplatz«, so Helge Schlieben, dessen Partei bei der Debatte ums Betreuungsgeld jedoch kürzlich gezeigt hat, dass Kitas nicht ganz oben auf der Prioritätenliste stehen. Die Linke wiederum moniert, dass die Grundschulen lediglich ein offenes Betreuungsangebot und keine gebundene Ganztagsschule mit Unterricht auch am Nachmittag anbieten. »Die strikte Trennung von Schule am Vormittag und Hausaufgaben und Spiel am Nachmittag ist kein zeitgemäßes pädagogisches Konzept«, so Gisela Stahlhofen.

 

Während die Stadtverwaltung also gegen die steigenden Kinderzahlen anbaut, immer mehr Kitas und Schulen eröffnen will, tut sich eine weitere große Baustelle auf: Die Inklusionsbewegung führt zu kleineren Klassen, gleichzeitig wächst die Schülerzahl. Doch SPD und Grüne haben 2012 unverdrossen einen ehrgeizigen Inklusionsplan vorgelegt: Bis 2020 sollen 80 Prozent aller behinderten Kinder am Gemeinsamen Unterricht teilnehmen können. Derzeit liegt die Quote bei 34 Prozent, damit gehört Köln bereits bundesweit zu den Spitzenreitern. Jedes Jahr machen neue Schulen und Kitas mit — doch häufig geschieht dies ohne Vorbereitung, Lehrer und Erzieher fühlen sich überfordert. »Die Verteilung und Zuweisung der Kinder auf die Schulen läuft sehr spät — manche Schulen erfahren erst im April, welche Kinder sie im August aufnehmen müssen. Es fehlt eine zentrale Stelle, die den Prozess steuert«, so Eva Thoms vom Kölner Elternverein mittendrin e.V.  

 

Insgesamt spricht sie aber ein Lob aus: »Der Inklusionsgedanke hat den Verwaltungsapparat und auch fast alle Parteien durchdrungen.«  Allein CDU und FDP melden Bedenken an: »Nicht jedes Kind ist inkludierbar. Es gibt Grenzen. So wie die Inklusion jetzt finanziell ausgestattet ist, wird sie den Kindern schaden«, sagt etwa CDU-Mann Schlieben. Silvia Laufenberg von der FDP formuliert es so: »Solange keine adäquate Ausstattung in der Regelschule vorhanden ist, brauchen wir die Förderschulen. Auch darüber hinaus werden Förderschulen für einige Kinder mit Handicaps gebraucht und auch von den Eltern gewünscht.« 

 

Die Inklusion mit dem Argument der fehlenden Mittel auszubremsen, hält Thoms für falsch: »Es geht ja nicht um die paar Sozialpädagogen, die wir zurzeit nicht bezahlen können, sondern um eine neue Unterrichtskultur.« 

 

 

Alle Statements von Ralf Heinen, jugend- und schulpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion im Rat der Stadt

 

 

Alle Statements von Helge Schlieben, jugend- und schulpolitischer Sprecher der CDU-Fraktion im Rat der Stadt

 

 

Alle Statements von Sylvia Laufenberg, jugend- und integrationspolitische Sprecherin der FDP-Fraktion im Rat der Stadt

 

 

Alle Statements von Gisela Stahlhofen, Fraktionssprecherin der Partei DIE LINKE im Rat der Stadt

 

Alle Statements von Kirsten Jahn, jugend- und schulpolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion im Rat der Stadt