Die Wampe der Wahrheit
Genau dafür wird Ex-Fußballfunktionär Reiner »Calli« Calmund so gerne als Vortragsredner eingeladen: Rhetorisch die Ärmel hochkrempeln, Wampe nach vorn als Ausdruck der Entschlossenheit – und dann raus mit den ungeschönten Wahrheiten vom Schlage »Das-muss-doch-mal-gesagt-werden«: Wer heute noch in den Verlag komme, um nur seinen Arbeitsvertrag zu erfüllen, dem gehöre eine »Briefmarke auf den Hintern geklebt«, so Calli in der Kantine des Kölner Verlags M. DuMont-Schauberg vor den Verlagsbeschäftigten. Die Mitarbeiter, so der Express-Kolumnist, der eigentlich eine Art Ständchen zum 50. Geburtstag des Boulevardblatts in diesem Jahr darbringen sollte, müssten sich mehr anstrengen, nicht nur 40 Stunden arbeiten, sondern »mehr, mehr, mehr«. Für seine sogenannten klaren Worte ist der Calli Bravo- und Jawoll-Rufe gewohnt, doch diesmal erntete er betretenes Schweigen. Schließlich wartet auf die Mitarbeiter des Verlags genug Arbeit, wenn wie geplant 84 Stellen abgebaut und Tätigkeiten ausgelagert werden, um Tarifsätze zu umgehen.
Eine Besonderheit solcher »Brandreden« ist, dass sie so plausibel daher kommen, dass vor lauter Begeisterung die Fakten gar nicht mehr geprüft werden. Dies hat aber jüngst ein Professor aus Jena getan. Der Medienökonom Wolfgang Seufert nämlich hat sich die Zahlen der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung des Statistischen Bundesamtes für eine Jubiläumsausgabe der Fachpublikation »MedienWirtschaft« einmal genauer angeschaut. Er kommt zu erstaunlichen Befunden: Zwar sei der Anteil der Medienbranche an der Wertschöpfung der Gesamtwirtschaft zwischen 1991 und 2011 von 2 auf nur noch 1,8 Prozent gefallen. Doch die Rentabilität der Medienunternehmen habe gleichzeitig kaum gelitten. Im Gegenteil: Seit 2006 hätten sich die Verlagsüberschüsse mehr als verdoppelt. Dafür gibt es drei Gründe: Zum einen sind viele Stellen abgebaut worden, zum zweiten sind die Löhne für die nicht abgebauten Stellen kaum gestiegen oder im Fall von Auslagerungen sogar gesunken, zum dritten haben die in den Verlagen und Redaktionen verbliebenen Journalisten einen stetig wachsenden Output – kurz: Sie liefern nun zwei Seiten zum Preis von einer. Die Analyse aus Jena trägt den Titel: »Die deutsche Medienwirtschaft: Wachstums- oder Krisenbranche?« Die Antwort lautet demnach: beides richtig – abhängig davon, ob man einen Verlag besitzt oder dort angestellt ist.
Dass an den Thesen aus Jena etwas dran ist, zeigte sich auch beim Jahresrückblick der Mediengruppe M. DuMont Schauberg (MDS). Mit Gewinn wurde das Jahr 2013 abgeschlossen, und es soll noch besser werden, so der Aufsichtsratsvorsitzende Alfred Neven DuMont: »Wir wollen nach vorne, wir wollen die Besten sein.« Wie das gehen soll, verriet die MDS-Eminenz auch: »Wir müssen unsere Leser überzeugen, dass die Zeitung unabdingbar ist.« Der neue Vorstandsvorsitzende Christoph Bauer ergänzte, dass die Mediengruppe gut gerüstet sei: »Mögen andere in Sack und Asche gehen. Wir tun das nicht.« Schließlich gebe es »mehr Chancen als Risiken« für das »glücklicherweise publizistisch getriebene Familienunternehmen – liberal, unabhängig, profitabel.« Profitabel demnach auch wegen des »schmerzlichen Verlusts« (Neven DuMont) von Arbeitsplätzen. Ein unumgänglicher Schritt sei der Stellenabbau gewesen, um die Zukunft des Unternehmens zu sichern, »wir hatten keine Wahl.«
Mission accomplished? Eine verbindliche Frauenquote von 30 Prozent auf allen Führungsebenen in TV und Radio sowie allen Print- und Onlinemedien fordert der Verein ProQuote. Martin Kunz, Direktor der Akademie der Bayerischen Presse, kam in diesen Tagen zu dem Schluss, dass dieses Soll wohl übererfüllt wird. Zu dieser Einschätzung gelangte Kunz, als er sich die Namensliste der Teilnehmer des Kurses »Facebook, Twitter, Google+« ansah: Alexandra, Alina, Dorothee, Felicitas... Ausschließlich Frauen hatten den Social-Media-Crashkurs gebucht. Auch der Workshop »Online-Texten« war zu hundert Prozent männerfrei. So sah es in fast allen angebotenen Kursen aus. Jetzt folgt auf eine Kurs-Teilnahme nicht automatische eine leitende Position in einer Chefredaktion, doch die Entwicklung zeichne sich ab, so Kunz. Als dessen Akademie 1986 die Türen öffnete, kamen mehrheitlich junge Männer. 2013 lag deren Anteil nur noch bei 29 Prozent. Kunz’ Fazit ist die Prognose: »Im Jahr 2042 wird der letzte männliche Redakteur einen Fortbildungskurs besuchen.«