Radio für Köln
Wenn es um Reformen geht, verhält sich der WDR nicht anders als die gesamte Republik in diesen Tagen: Alle wollen dringend alles reformieren, nur darf bitte niemand verprellt werden. Der Westdeutsche Rundfunk möchte sein drittes Hörfunkprogramm gravierend verändern, doch kommunizieren mag die Pläne derzeit niemand. Karl Karst, Wellenchef von WDR 3, möchte sich so wenig zum Stand der Dinge äußern wie Monika Piel, die Hörfunkdirektorin des Senders. Zu viel sei schon durch die Presse gegangen, bitten deren Referenten um Verständnis. Jetzt müsse erst wieder inhaltlich gearbeitet werden, bevor man mit den Entscheidungen an die Öffentlichkeit gehe.
Der Grund für den Reformeifer: Die Hörer von WDR 3 werden immer älter und damit beizeiten weniger. Keine zwei Prozent im Sendegebiet wählen die Frequenzen der traditionellen Kulturwelle, und das ist dem Wellenchef zu wenig. Also wurden im Frühjahr erhebliche Änderungen angekündigt, die bereits im Herbst greifen sollen – sofern der Widerstand den Zeitplan nicht zunichte macht.
Die Durchhörbarkeit verbessern
Heftiger Protest kommt aus den Redaktionen der Sendungen, die die Reform treffen würde. Die Pläne sehen redaktionelle und personelle Änderungen vor: Um neue und jüngere Hörer zu gewinnen, sollen frischere Musikfarben dem bislang von klassischen Klängen dominierten Programm zugeführt werden. Überdies sollen wesentlich mehr Live-Elemente ins Programm genommen werden, die über längere Sendestrecken gehen werden – bis zu 15 Stunden Live-Sendungen am Tag seien durchaus vorstellbar. Das Handicap der Welle ist, dass WDR 3 bisher seine Hörer kaum über eine längere Zeit binden kann, zu kleinteilig ist das Programm. Einzelne Sendungen werden gezielt eingeschaltet, danach aber gleich wieder abgedreht. Also lautet die auch bei anderen Sendern beliebte Zauberformel: Weg von der Kästchenstruktur, die so genannte Durchhörbarkeit verbessern.
Dafür plant Wellenchef Karst Nachmittagsstrecken von 17 bis 20 Uhr, in denen mit möglichst vielen O-Tönen Gesellschafts- und Kulturpolitisches verhandelt werden soll, präsentiert von nur einem Moderator. Und hier regt sich der Widerstand in den Redaktionen: Woher solle ein Moderator bei einem derartigen Marathon die Kompetenz nehmen, sowohl über Politik als auch über Kultur und Gesellschaftliches zu sprechen?
Außerdem würde das Konzept wohl eine Verkürzung für Wortsendungen wie »Zeitzeichen«, das »Kritische Tagebuch« oder »Lesezeichen« bedeuten. Zu diesen inhaltlichen Sorgen kommen noch weitere, nämlich monetäre: Wenn Sendungen verkürzt werden, verringern sich auch die Honorare. Und für manche, so die Befürchtung, könnte die Reform gar den Verlust des Arbeitsplatzes bedeuten. Denn der Wellenchef plant – erstmalig in der Geschichte von WDR 3 – ein Moderatoren-Casting. Nicht nur Neueinstellungen sollen auf ihre Hörfunktauglichkeit geprüft werden, auch die bekannten Stimmen werden gecheckt – und eventuell abgeschaltet.
Eins Live als Vorbild
Reformatorischer Eifer herrscht bei den Verantwortlichen auch deshalb, weil eine andere Reform als geglückt gilt: Vor acht Jahren wurde WDR 1 zu Eins Live. Nach der neuen Radio-Mediaanalyse vom April konnten Eins Live und WDR 2 auch im letzten halben Jahr weiter zulegen, während WDR 3, 4 und 5 Rückgänge hinnehmen mussten. Der WDR verliert auch insgesamt an Hörern: Zwar erreicht der Sender mit 52,5 Prozent mehr als die Hälfte der NRW-Radio-User, aber immer weniger Menschen hören Radio. Nur noch 76 Prozent schalten einmal täglich ihr Gerät ein, und mit einer durchschnittlichen Hördauer von 185 Minuten belegt NRW bundesweit den vorletzten Platz. Zum Vergleich: Die Menschen in Mecklenburg-Vorpommern lassen ihr Gerät 258 Minuten laufen.
Immerhin um die 100.000 Hörer lauschen noch vorm Zubettgehen dem Eins Live-»Lauschangriff«, einem reinen Wortprogramm mit oft sehr ambitionierten Hörspielen. Auch das werten die Macher als einen Erfolg ihrer Reform: Ein sehr junges Publikum sei für anspruchsvolle Kultur gewonnen worden. Gewiss eine hübsche Dekoration für eine Welle, die ansonsten alles daran gesetzt hatte, ihre besonders anspruchsvollen Marken im Rahmen der Reform aus dem Programm zu nehmen. Auch hierbei herrschte das Primat der Durchhörbarkeit – mit der Konsequenz, dass das Tagesprogramm von Eins Live seither von schnöder Mainstream-Ware dominiert wird, aber eben auch mit dem gewünschten Effekt einer spürbaren Publikumsvermehrung.
Doppeltes Dilemma
Das Verhalten der Hörer beobachtet und analysiert beim WDR die hauseigene Medienforschung. Ein Ziel dieser Arbeit ist, wie bei den kommerziellen Konkurrenten, die Zahl der Hörer zu erhöhen. Und damit stellt sich einmal mehr die Gretchenfrage des öffentlich-rechtlichen Rundfunks: Wie hältst du es mit dem Programmauftrag? Soll heißen: Wie erreicht man mehr Menschen, ohne dass Qualität und Anspruch der Programme leiden? Eins Live ist das ideale Beispiel dafür, wie durch das Abschleifen von herausragenden Programmpfeilern ein massentaugliches Einheitsradio für Jüngere geschaffen werden kann, das sich nicht signifikant von der privaten Konkurrenz abhebt.
Von Zeit zu Zeit wird diskutiert, ob die öffentlich-rechtlichen Sender überhaupt noch gebraucht werden, ob die privaten Anbieter nicht inzwischen gleichwertige Vollprogramme ausstrahlen, die gebührenfinanzierte Einrichtungen überflüssig machten – zumal Reichweite und Zuspruch der Privaten beträchtlich seien. Diese Argumentation bringt ein doppeltes Dilemma mit sich: Nehmen die Öffentlich-Rechtlichen ihren staatlichen Programmauftrag ernst, verlieren sie möglicherweise Zuschauer und Zuhörer, und stellen so ihre Existenzberechtigung in Frage. Versuchen sie aber mit den Mitteln der privaten Konkurrenz zu arbeiten, machen sie sich erst recht überflüssig.
Der Wahrheit verpflichtet
Ein Versuch, dieses Dilemma zu überwinden, ist die Hörerbindung über andere Wege, zum Beispiel als Veranstalter von Konzerten und Tourneen. Diesen Weg geht Eins Live sehr erfolgreich, indem zum Beispiel Großkonzerte von Bon Jovi und andere Mega-Acts präsentiert werden, und auch WDR 3 ist umtriebig: Knapp 60 so genannte Kulturpartnerschaften ist die Welle mit den Jahren eingegangen. Theater, Orchester, Festivals im Sendegebiet werden in Trailern beworben, im Gegenzug erscheinen auf den Plakaten das Senderlogo und bei den Veranstaltungen ein Team des Senders mit einem Info-Stand.
Dort kann man sich dann die Programmgrundsätze referieren lassen, die hehrer nicht formuliert werden könnten: »Der WDR soll die internationale Verständigung fördern, zum Frieden und zur sozialen Gerechtigkeit mahnen, die demokratischen Freiheiten verteidigen, zur Verwirklichung der Gleichberechtigung von Männern und Frauen beitragen und der Wahrheit verpflichtet sein«, nachzulesen auf der Homepage des Senders.
1924 gründete der Direktor Oberst a.D. Hermann Krome in Münster die Westdeutsche Funkstunde AG, kurz Wefag, 1926 folgte der Umzug nach Köln. 1933 wurde der Sender gleichgeschaltet und bereits ein Jahr später ersetzt durch den Reichsender Köln. Ein halbes Jahr nach Kriegsende nahm dann der britisch kontrollierte Sender unter dem Namen Nordwestdeutscher Rundfunk (NWDR) den Sendebetrieb wieder auf, um obige Grundsätze in der jungen Republik zu realisieren.
Digitale Herausforderung
In einem halben Jahrhundert wuchs der mächtigste Sender innerhalb der ARD heran, heute beschäftigt er 4.500 Festangestellte und ein Vielfaches an Freien. Zuletzt ging 1999 das mehrsprachig und multikulturell ausgerichtete Funkhaus Europa als sechstes Hörfunkprogramm an den Start. Nun stehen große Veränderungen an: In vielleicht zehn Jahren wird die Ultrakurzwelle (UKW) verschwinden, das zwingt die Hörfunkmacher, sich bis dahin im Tagesablauf der Hörer fest zu positionieren. Denn wie die Zukunft der Radios im digitalen Zeitalter aussieht, ist völlig offen: Im schlechtesten Fall wird es eins von zahllosen Features in einer digitalen Multi-Task-Komponente, die neben Radio und Fernsehen auch Internetdienste enthalten könnte.
Um die Entwicklung des Radios der Zukunft nicht zu verschlafen, bastelt der WDR, der zuletzt 1,25 Milliarden Euro an Einnahmen verbuchte und zehn Millionen Euro mehr ausgab, an dieser Zukunft fleißig mit. Dabei setzen die Kölner auf das System DAB (Digital Audio Broadcast); einige Millionen Euro lässt man sich die Digitalisierung des Hörfunks kosten, auch wenn es bislang kaum geeignete Endgeräte gibt und nicht klar ist, welches technische System sich durchsetzen wird.
Genauso wichtig bleibt aber die Erforschung des Zuhörers. Wie sieht er aus, der Gebührenzahler, der beispielsweise mit der Reform von WDR 3 angesprochen werden soll? Auch das ist ein Job für die Medienanalysten, die das Publikum in so genannte Sinusmilieus unterteilen, den konservativen vom etablierten Kulturinteressenten unterscheiden und »Moderne Performer« und »Postmaterielle« als Zielgruppe ausmachen. 19 Prozent der Deutschen geben in einer aktuellen Umfrage an, sich sehr für Kultur
zu interessieren. Doch nur ein kleiner Teil davon interessiert sich für die Kulturangebote des WDR.
Wie kann der Sender mehr von ihnen vor die Radiogeräte bekommen und gleichzeitig Platz bieten für Besonderes, Seltenes, Abseitiges? Viel Arbeit für die Reformer.
Frequenzen
WDR: Eins Live: 102.4 MHz WDR 2: 100.4 MHz WDR 3: 93.1 MHz WDR 4: 90.7 MHz WDR 5: 88.0 MHz Funkhaus Europa: 103.3 MHz Radio Köln/ Bürgerfunk: 107.1 MHz Kölncampus: 100.0 MHz. DLF: 91.3 MHz DLR: 106.1 MHz.
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Olaf Karnik interviewt zwei MacherInnen des ein Jahr alten und bereits hoch gelobten Uni-Senders Kölncampus.
Und Mac Kasperek erklärt das einmalige Zwei-Säulen-Modell des privaten Rundfunks in NRW.