Wüterich und Feingeist
Das ist die volle Breitseite: »Terror lässt sich nur mit Terror beantworten. Toleranz dem, der selbst Toleranz übt! Den westdeutschen Kommunisten und all denen, die mit ihnen paktieren, gehört nur ein einziges Argument, nämlich das, das sie alle verstehen: Die Faust unter die Nase!« Antikommunismus at its worst, heruntergerotzt 1950 in der in Köln erscheinenden Zeitschrift »PZ-Archiv« (PZ = Publizistisches Zentrum für die Einheit Deutschlands). Wer einen Beleg für die These sucht, der Antikommunismus in Westdeutschland sei in der Nachkriegszeit so etwas wie die Ersatzreligion für ehedem stramm antisemitische Volksgenossen gewesen, scheint hier fündig zu werden.
Pikant wird es, wenn man nach dem Autor fragt: Der da wütet, ist kein Altnazi und auch nicht der von Springer bezahlte Hetzertyp. Es ist Joseph Caspar Witsch (1906–1967), 1950 auf dem Sprung, ein großer Verleger zu werden. Er wurde es wirklich: In etwas mehr als 15 Jahren machte er Kiepenheuer & Witsch zu einem der führenden Verlage der BRD. Vier Nobelpreisträger holte er an Bord, darunter Heinrich Böll, richtete den Verlag strikt auf die Moderne aus, seine große Verlagslinie – zeitgenössische angloamerikanische Literatur – prägt das Haus noch heute. Selbst unter den zahlreichen antikommunistischen Titeln finden sich Klassiker von Gustav Regler, Jan Valtin, Manès Sperber oder dem spanischen Bürgerkriegsgeneral El Campesino, allesamt »Renegaten«, Abtrünnige des kommunistischen (korrekt: stalinistischen) Lagers, die über ihren Bruch berührende, intensive, differenzierte Bücher schrieben. Erika von Hornsteins »Flüchtlingsgeschichten«, eine Oral History von DDR-Flüchtlingen, ist große Literatur. Wolfgang Leonhards legendäre Stalinismus-Analyse »Die Revolution entlässt ihre Kinder« erschien ebenfalls bei Kiepenheuer & Witsch, der Titel stammt übrigens von Witsch – Titelfinden, eine seiner Stärken.
Witsch konnte Bücher machen und listig Geschäfte einfädeln, er verstand es, Autoren zu binden und – trotz autokratischer Allüren – Mitarbeiter zu begeistern. Ein Entrepreneur. Und dennoch: ein verbohrter, bisweilen rasender Antikommunist. »Witsch ist eine Person, die sofort zu Positionierungen auffordert«, sagt der Kölner Historiker, Publizist und Ausstellungsmacher Frank Möller. Er hat nach sieben Jahren Recherche (und einem Stadtarchiv-Einsturz) jetzt die erste Biographie dieses zutiefst ambivalenten Akteurs der Kölner Nachkriegskultur vorgelegt. Genauer gesagt – Teil 1. »Das Buch Witsch« behandelt vor allem seine politisch-antikommunistischen Tätigkeiten, die Gründung des Verlags, bei der ganz am Anfang noch Gustav Kiepenheuer aus Weimar mit von der Partie ist, und Witschs Rolle im Nationalsozialismus. Teil 1 umfasst knapp 800 Seiten, Teil 2 wird nicht weniger umfassen, er wird nächstes Jahr erscheinen und die genuine Verlagstätigkeit Witschs behandeln. »Witsch ist nicht nur Verleger, er hatte schon vorher, in den 30er und 40er Jahren, eine Karriere, er war ein bedeutender Bibliothekar«, sagt Möller im Interview. »Er hat kaum Verlagserfahrung, keine Kontakte, er ist eine der wenigen Verlegerpersönlichkeiten, die erst nach dem Zweiten Weltkrieg auftreten, Rowohlt, Suhrkamp, Fischer – alle können an die Vorkriegszeit anknüpfen, besitzen Lizenzen und haben Autoren. Witsch fängt ohne alles an und hat nach anderthalb Jahrzehnten die späteren Nobelpreisträger Böll, Saul Bellow, Czeslaw Milosz und Patrick White im Programm.«
Das fasziniert und verwirrt gleichermaßen. Der Antikommunismus finanziert den schnellen Verlagsaufstieg, für die Hetzschriften handelt Witsch etwa beim Ministerium für Gesamtdeutsche Fragen oder bei der dem Innenministerium nachgeordneten Bundeszentrale für Heimatdienst Garantieabnahmen aus, er nimmt Geld von der Besatzungsbehörde, stellt Tarnausgaben zur illegalen Verbreitung in der DDR her und lässt sich dafür auch schwarz bezahlen. Um persönliche Bereicherung geht es nicht – Witsch lebt für seinen Verlag. Möller nähert sich dieser, sagen wir, komplexen Persönlichkeit mit der größtmöglichen Differenzierung, er gibt sich keiner Polemik hin und auch keiner Heldengeschichte, stattdessen hat er sich auf akribisches Quellenstudium verlegt.
So kann er herausarbeiten, dass Witsch, obwohl NSDAP-Mitglied, kein Nazi war, dass man ihm aber auch keine Widerstandshaltung zuschreiben kann. Nichts deutet in seinem Lebensgang auf antisemitische Stereotype hin, die er später halbverdrängt als Antikommunismus artikuliert: »Eher sieht es nach einer Überkompensation aus – zu wenig gegen die Nazis getan, also umso mehr gegen die Kommunisten. ›Jetzt mache ich alles richtig, jetzt bin ich entschieden‹, das ist seine Haltung«, resümiert Möller. Und Witsch bleibt Fundamentalist: »Er fällt aus der Zeit. Während in den 60er Jahren die anderen aus seinem Umfeld schon über Ausgleich und Arrangement reden, Reformbewegungen im Ostblock analysieren, tritt Witsch zunehmend holzschnittartig auf. Für Zwischentöne war bei ihm überhaupt kein Platz. Unabhängige Pazifisten gerieten sofort unter Kommunismus-Verdacht. Es gab nur ein Dafür oder Dagegen.« Witsch, dem alles Provinzielle an Deutschland zuwider ist und der sein literarisches Verlagsprogramm gegen den Mainstream positioniert, entspricht hier aber voll und ganz dem Mainstream. »Der Antikommunismus hat das Klima in der frühen Bundesrepublik nachhaltig vergiftet«, fasst Möller die Stimmung zusammen. »Längst vor dem Radikalenerlass unter Willy Brandt wurden Leute aus ihren Jobs gemobbt. Man musste kein Kommunist sein. Es reichte eine pazifistische oder eine der Westbindung gegenüber kritische Haltung.«
Über besagtes Dafür oder Dagegen wurde in Köln entschieden – die Stadt war in den 50er Jahren einer der wichtigsten Standorte des deutschen, auch des alliierten Antikommunismus. Berlin lieferte die Bilder: die Rosinenbomber, der flüchtende, über Stacheldraht springende DDR-Grenzer, die amerikanischen und sowjetischen Panzer, die sich am Checkpoint Charlie gegenüberstehen. Köln aber lieferte die Strategie. »Wichtige Entscheidungen des Kalten Krieges sind hier gefallen, die bedeutentste deutsche Gruppe des ›Kongresses für kulturelle Freiheit‹ saß in Köln und traf sich in der Goltsteinstraße 185 in Bayenthal.« Immer mittendrin: Joseph Caspar Witsch. »Es gibt keinen zweiten Verlag in Deutschland, bei dem der Antikommunismus so eine breite Schneise im Verlagsprogramm hinterlassen hat wie bei Kiepenheuer & Witsch. Anfang der fünfziger Jahre machten dezidiert antikommunistische Titel dreißig Prozent seiner Jahresproduktion aus. Das sind weit über hundert Titel insgesamt.«
So vernagelt Witsch als politisch-kultureller Propagandist westlicher Freiheit auftritt, am Ende ist er immer Verleger, der an das Leitmedium Buch ungebrochen glaubt: »Wenn ich seine Briefwechsel lese, in denen er sich mit Autoren und Mitarbeitern über die Bedeutung und die Wirkmächtigkeit von Büchern austauscht, was sich da für ein Glaube und missionarischer Eifer artikuliert … keine Frage, er hat das Buch überschätzt.« Witsch war sich sicher, liest jemand ein Buch, ergeben sich für ihn sofort diese oder jene Handlungsweise – zwingend!
Am 28. April 1967 starb Witsch an den Folgen eines Herzinfarktes, zwei Monate vor seinem 61. Geburtstag, an der Schwelle einer neuen Epoche, für die heute die Zahl »1968« steht. »Noch Jahre nach seinem Tod wurde im Verlag bei Entscheidungen gefragt, was hätte der Witsch wohl dazu gesagt?«, sagt Möller. Auch ein Grund, weswegen es fast fünfzig Jahre brauchte, um dieses Leben zu entblättern.
Frank Möller, »Das Buch Witsch. Das schwindelerregende Leben des Verlegers
Joseph Caspar Witsch«, Kiepenheuer & Witsch 2014, 780?S., 185 Abbildungen,
29,99 Euro, als E-Book 26,99 Euro
Buchvorstellung: Di 1.4., 20 Uhr, Stadtbibliothek, Frank Möller im Gespräch mit
den KiWi-Verlegern Reinhold Neven Dumont und Helge Malchow.