»Datt is ja hier wie in Kroatien«
Sie machen das richtig!« lobt mich Hako Maier, als ich in Badeschlappen zur Eröffnung des Neusser Barfußpfads anreise. Der Vorsitzende des Neusser Verkehrsvereins (»Ich bin schon aus dem Job, aber im Unruhestand«) hat sich seiner engen Halbschuhe bereits entledigt. Zum Glück ist es ein warmer Tag heute. Auf nackten Sohlen schreitet Maier voran zum ersten der 15 »Erlebnisfelder« im Naturschutzgebiet an der A 57, die nun zu einem Mekka der internationalen Barfußszene werden sollen. Ich haste schlappenlos hinterher, schließlich will ich die versprochene »sinnliche und angenehme Erfahrung« ja hautnah miterleben.
Rasenflächen zum Neutralisieren
Einen schlangenförmigen Pfad hat Landschaftsarchitekt Thomas Wündrich in die malerisch gelegene Wiese gefräst, die auch als Neusser Hochzeitshain bekannt ist – weil frisch Vermählte hier einen Baum pflanzen können. Müssen sie aber nicht. Idyllisch wäre das richtige Wort – vorausgesetzt, man steckt sich die Finger in die Ohren. Denn knapp zehn Meter weiter krachen Schwerlaster über den Asphalt der Autobahn, gegen deren konstante Geräuschkulisse der schmutzig-gelbe Lärmschutzwall machtlos scheint. Was soll’s, auf dem Barfußpfad sind schließlich die Füße gefragt, und die fragt ja sonst keiner, glaubt man den Befürwortern dieser hornhautfreundlichen Angelegenheit.
Rund einen Quadratmeter messen die verschiedenen Erlebnisfelder, die immer wieder durch ebenso große Rasenflächen unterbrochen werden. »Das ist zum Neutralisieren«, erklärt mir der Landschaftsarchitekt, »wie mit dem Brot beim Weintrinken.« Aha. Mit Sand- und Rindenmulchfeldern geht es los, sehr angenehm, wie am Strand oder im Garten eben. »Und, stellt sich das Wohlgefühl schon ein?« will der Unruheständler Hako Maier von mir wissen, und ich nicke heftig. Ja, sehr schön. Doch das Lob nehme ich schon bald zurück. Ganz harmlos sahen die runden Kiesel von oben aus, bohren sich aber tückisch in meine ungeübten Städter-Fersen. »Aua!« schreie ich, aber die Neusser Delegation kennt keine Gnade und schlurft zum pfirsichfarbenen Marmorsplitt aus Verona, auf dem einige Kaninchen bereits ihre Köttel hinterlassen haben. Den Sand haben sie komischerweise in Ruhe gelassen, aber wenn man schon die Wahl hat für das große Geschäft, muss man auch nicht bescheiden sein. Passt auch besser von der Farbe.
Weiter geht die Barfußreise über strahlend weißen Carrara-Marmor (glatt und kühl) zum Basaltsplitt-Feld, das aussieht wie die Steine vom Bahndamm. Hier steige ich kurzfristig aus, denn Pfad-Erfinder Detlef Fleischer mahnt: »Das ist nur was für die Profis!« In der Tat: Schon der Test mit dem großen Zeh lässt mich an Fakire denken – ob es wohl auch Fuß-Fakire gibt? Wenn ja, werden die hier ihre wahre Freude haben. »Ich persönlich gehe ja bei jeder Gelegenheit barfuß«, klärt mich Fleischer auf, als ich wieder zu dem Trupp stoße, der mittlerweile über Muschelscherben läuft und sich Gedanken macht, ob das Meergestein wohl die Souvenirjäger anlockt und ob dann noch genügend Muscheln übrig bleiben für die Barfüßler.
Der alte Kneipp wäre begeistert
»Datt is hier wie in Kroatien!« begeistert sich Hako Maier, »nur das Wasser zum Reinspringen fehlt!« Ja wirklich, gegen ein Fußbad hätte ich mittlerweile auch nichts einzuwenden, so zum Neutralisieren, wie mit dem Brot und dem Wein. Doch ich genieße und schweige. Meine Sohlen kribbeln mittlerweile angenehm, der alte Kneipp wäre begeistert. Am Ende angelangt, kann ich gerade noch einem Hundehaufen ausweichen, den irgendein Köter ins Gras neben das letzte Erlebnisfeld gesetzt hat. Oder ob das die letzte Station ist?
»Wir wollen eine Nische besetzen«, sagt Fleischer zum Abschluss des Rundgangs. Er muss es wissen, denn er ist auch Verfasser des Ratgebers »Die Barfußszene«. Darin sind allerdings nicht nur nackte Füße zu sehen, sondern auch nackte Weiber, auf Fahrrädern zum Beispiel oder gefesselt von hinten. Fließend sind die Grenzen, und groß ist die Anzahl der Barfußfetischisten, wie entsprechende Foren im Internet beweisen.
Der Neusser Barfußpfad ist der erste seiner Art in Nordrhein-Westfalen, und darauf ist man im konservativen Neuss mächtig stolz. »Es kamen bereits Anfragen aus Kanada, und aus Holland haben sich schon ganze Busladungen angekündigt!« sagt Maier stolz. Soso. Als ob die in der Vorweihnachtszeit nicht reichen würden...
»Lassen Sie sich von Vorurteilen anderer Zeitgenossen nicht abschrecken! Barfußlaufen ist weder schmuddelig noch unhygienisch noch ungesund!« heißt es in der Broschüre vom Verkehrsverein, die ich abschließend in die Hand gedrückt bekomme. Auch der Landschaftsarchitekt gibt mir noch etwas mit auf den Heimweg: »Schließlich sind unsere Vorfahren ja auch barfuß gelaufen!« Dann klingelt sein Handy. »Hollywood!« ruft er mir zu, als hätte er einen Witz gemacht.