Bürgerbeteiligung: Die innere Haltung fehlt
Auch bei dieser Kommunalwahl werden voraussichtlich wieder bloß die Hälfte der Wahlberechtigten ihre Stimme abgeben. Es wäre aber falsch, darin Politikverdrossenheit zu erkennen. Seit Jahrzehnten haben sich nicht mehr so viele Menschen in die städtische Politik eingemischt. Sie organisieren sich in Bürgerinitiativen, fordern Bürgerentscheide, sammeln Unterschriften, organisieren Online-Petitionen und reklamieren für sich, Experten für Stadtteilentwicklung zu sein.
In den vergangenen Jahren gab es ein erfolgreiches Bürgerbegehren gegen den Abriss des Schauspielhauses, das die politische Stimmung im Rat zugunsten des Erhalts änderte. In Ehrenfeld verhinderte eine Initiative den Bau eines Einkaufszentrums und trotzte der Verwaltung ein Workshop-Verfahren ab. 2011 gab es eine Bürgerbefragung zur Erweiterung des Godorfer Hafens, bei der die Gegner gewannen, aber doch verloren, weil sie das Quorum verfehlten, die nötige Gesamtstimmenzahl von zehn Prozent aller Stimmberechtigten.
»Im Vergleich steht Köln nicht als besonders beteiligungsfreundlich dar. Andere Großstädte wie Düsseldorf oder Essen haben wesentlich mehr Bürgerbegehren und Bürgerentscheide««, erklärt Andreas Kost, Politikwissenschaftler an der Universität Duisburg-Essen.
Die etablierten Parteien mussten jetzt reagieren. Im Rat der Stadt haben im Dezember SPD, Grüne, CDU und FDP gemeinsam beschlossen, die Verwaltung möge ein »Kölner Standardmodell für mehr Bürgerbeteiligung« vorlegen.
Wie könnte das aussehen? Befürworter von mehr Bürgerbeteiligung verweisen auf das »Heidelberger Modell«. Letzteres regelt klar Ablauf und Inhalte der Partizipation. Dazu gehört vor allem, dass es im Internet eine vollständige Vorhaben-Liste aller städtischen Projekte gibt. Allein damit wäre ein grundlegender Streitpunkt aus der Welt. Denn unter Ratspolitikern heißt es meist, die Bürger engagierten sich »erst dann, wenn die Bagger schon kommen«, also zu spät. Die Bürger hingegen beschweren sich, nicht rechtzeitig informiert zu werden. Sie unterstellen Kalkül, Politik und Verwaltung hätten kein Interesse an Bürgerbeteiligung: zu aufwändig, zu teuer — und dann müssen sich Amtsleiter und Bezirksbürgermeister auf Info-Abenden von Nörglern auch noch beschimpfen lassen?
Bei der Partizipation muss man grundsätzlich unterscheiden. Zum einen gibt es die institutionalisierten Verfahren, etwa Bürgerbegehren, die zu einem Bürgerentscheid führen können, wo dann über einen Beschluss abgestimmt wird. Zum anderen gibt es aber viel häufiger Verfahren, die darauf angelegt sind, Konsens unter den Beteiligten herzustellen — etwa durch Workshop-Verfahren oder Runde Tische.
Wie man Bürgerbeteiligung instrumentalisiert, zeigt die CDU-Kampagne gegen das geplante Jüdische Museum. SPD, Grüne, FDP und Linke hatten im Rat den Bau bereits 2011 beschlossen. Nun gibt es zunehmend Kritik, denn die Kosten steigen und es fehlt ein überzeugendes Konzept. Die CDU will das Museum verhindern, sammelt Unterschriften für ein Bürgerbegehren, obwohl die Frist dafür längst abgelaufen ist — lässt ihre Unterstützer aber im Glauben, ein Bürgerbegehren zu unterstützen.
Als positives Beispiel hebt Jörg Frank, Fraktionsgeschäftsführer der Grünen im Rat, das Bürgerbegehren für den Erhalt des Schauspielhauses hervor. »Das war ein produktiver Prozess, der nur Gewinner gehabt hat.« Die Grünen waren durch die Proteste umgestimmt worden und votierten schließlich gegen den Koalitionspartner SPD für den Erhalt. Auch die Bürgerbeteiligung Helios sieht Frank positiv. In beiden Fällen war es ein Impuls von unten, der die Politik die Entscheidung überdenken ließ.
FDP-Fraktionschef Ralph Sterck findet es »sinnvoll, Bürger besser und umfassender zu informieren«. Die Möglichkeiten des Internet seien längst nicht ausgeschöpft, und im Rathaus könnten großflächig die Bauvorhaben und Wettbewerbsergebnisse ausgestellt werden. Bürgerbeteiligung müsse stets ergebnisoffen sein, betont Sterck. Die Entscheidungen aber müsse der Rat fällen. Sterck warnt davor, »die parlamentarische Demokratie in Workshops zu verlegen«.
Auch Jochen Ott, Vorsitzender der Kölner SPD, betont sein Bekenntnis zur repräsentativen Demokratie. Aber es gehe auch um »viele kleine Fragen und Überlegungen vor Ort, die die Menschen bewegen und für die sie Verantwortung übernehmen wollen.« Und Bürgerbeteiligung bedeute mehr als Volksentscheide. Man müsse »die Menschen von Anfang an einzubeziehen und fragen, was ihnen wichtig ist.« Die SPD habe das etwa bei Veranstaltungen zum Standort des geplanten Justizzentrums, des leer stehenden Hertie-Warenhauses in Porz oder der Entwicklung von Kalk-Nord »mit großem Erfolg« praktiziert. Wichtig seien »engagierte Politikerinnen und Politiker, auch als Moderatoren zwischen Verwaltung und Bürgerschaft«. So lasse sich Verständnis gewinnen und eine oft anzutreffende Not-in-my-Backyard-Haltung aufbrechen.
Die Kölner Piraten wollen ebenfalls die Bürger früher informieren und einbinden — gehen aber noch weiter. »Und wir streben eine Beteiligung auch im Vorfeld von Ratssitzungen an«, sagt Piraten-Sprecherin Yvonne Plum. »Wir wollen, dass die Meinungen und Vorschläge der Bürger in die Sitzungen mit einfließen.« Plum verweist auf den Landkreis Friesland, wo online abgestimmt und diskutiert werde.
Dass Partizipation durch moderne Kommunikationsmittel unterstützt werde, war auch eine Forderung der 2009 gegründeten Wählergruppe Deine Freunde. »Zu wenig mitgestalten zu können, zu schlecht informiert zu werden — das war der grundlegende Impuls für Deine Freunde«, sagt Spitzenkandidatin Ute Symanski. Sie fordert eine Vorhaben-Liste für Köln wie im Heidelberger Modell. »Überhaupt muss es einen kulturellen Wandel in Politik und Verwaltung geben.« Die Verwaltung müsse Bürger stärker darin unterstützen, ihre Interessen zu formulieren. Symanski kritisiert unter anderem, wie der Bürgerhaushalt in Köln durchgeführt wird. »Erst gab es einen großen Aufruf und alle machen mit, und dann sollen die Bürger vor allem Sparvorschläge machen.« Um den Bürgerhaushalt wieder attraktiv zu machen, will die Politik zukünftig in den Stadtbezirken jeweils ein bestimmtes Budget für Vorschläge zur Verfügung stellen.
Jörg Detjen, Fraktionsvorsitzender der Linken, spricht ein anderes Problem an: »Bürgerbeteiligung ist ein Prozess von gut organisierten Personen, die in der Regel auch gut verdienen.« So generell könne man das nicht sagen, findet dagegen der Politikwissenschaftler Andreas Kost. Das Problem existiere eher bei langwierigen Verfahren. Kost schlägt deshalb die »Planungszelle« vor. Das Modell wurde bereits in den 70er und 80er Jahren in Köln angewandt: Aus unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen werden Teilnehmer ausgelost, die gemeinsam eine Lösung finden sollen. So ist garantiert, dass nicht nur direkt betroffene Menschen und Anwohner diskutieren und zudem, dass ein repräsentativer Querschnitt der Bevölkerung teilnimmt — und nicht nur jene, die ihre Interessen besonders gut bewerben können. Die Planungszelle ist aufwändig und auch teuer — denn die Teilnehmer werden für den Prozess von der Arbeit freigestellt. »Solche Verfahren müssten wir fördern«, findet Detjen. »Wer Bürgerbeteiligung will, muss auch Geld in die Hand nehmen.«
Dass solche Modelle tatsächlich umgesetzt werden könnten, glaubt Detjen indes nicht: »Bei der Kölner Verwaltung fehlt es an der inneren Haltung«. Deshalb sei in dieser Frage auch weniger die Kommunalwahl, sondern die Wahl des Oberbürgermeisters 2015 entscheidend. Dieser könne als Chef der Verwaltung dort für mehr Akzeptanz der Bürgerbeteiligung werben.