Wie ist es im Rat, Herr Zimmermann?
»Als ich gewählt wurde, hatte ich keine Ahnung von Ratspolitik, um ehrlich zu sein. Wer ist für was zuständig, was gibt es für Ausschüsse? Was kommt auf mich zu? Bekomme ich eine Urkunde? Oder einen Schlüssel zum Rathaus? Und wer geht schon freiwillig in die Altstadt? Bislang hatte ich die nur mit JunggesellInnen-Abschieden, Bier-Bikes und besoffenen Tages- und Umland-Touristen assoziert.
Ich hatte furchtbares Lampenfieber vor dem Tag X, an dem ich zum ersten Mal im Rat sprechen sollte. In den ersten Sitzungen war ich dann angenehm überrascht vom freundlichen Klima im Rat. Und von der ständigen Duzerei. Das wirkt so, als würden sich alle schon seit Jahrzehnten kennen: die Barbara, der Jürgen, wie sie alle heißen. In der einen Debatte gehen sie sich heftig an, beim nächsten Tagesordnungspunkt liegt man sich in den Armen und trinkt später ein Kölsch zusammen. Da habe ich noch nicht entschieden für mich: Ist das Klüngel, diese Man-kennt-sich, man-hilft-sich-Mentalität, oder besser gesagt: Stimmst du für mich, stimm‘ ich für dich! Auf der anderen Seite ist es ja schön, dass ein freundlicher Umgangston herrscht.
Sowieso gibt es viele Kleinigkeiten, die das Ganze sehr menschlich machen. Im Rat ist es ein bisschen wie früher in der Schule, man hat an seinem Platz ein kleines Pult mit einem Fach. Bei der Hälfte der Leute ist da eine Haribo-Colorado-Tüte drin, du hörst es während der Sitzung überall rascheln. Man darf da eigentlich nichts zu essen mit reinnehmen, weil das Gebäude denkmalgeschützt ist. Aber die Haribo-Tüten werden immer mit reingeschmuggelt.
Das ist bei der Länge der Ratssitzungen aber auch notwendig. Wir hatten gleich zu Beginn meiner Ratsperiode heftige Sitzungen, zur Schauspielsanierung zum Beispiel, die neun oder zehn Stunden gingen. Ohne Pause.
Was mich stört, ist die Debattenkultur: Ich dachte am Anfang naiv, man hört sich die Argumente aller Beteiligten an und entscheidet dann danach. Aber es gehen alle mit ihren Entscheidungen schon rein, das verhandeln die Fraktionen ja vorher in ihren geschlossenen Sitzungen. Da kann man sich die Debatten eigentlich sparen. Es gibt nur ganz selten Fälle, wo innerhalb einer Sitzung die Meinung noch kippt. Trotzdem: Ratsmitglied zu sein ist für mich ein Traumjob. Ein beschissen bezahlter, sehr zeitaufwändiger und oftmals nervender Traumjob.«