Auftritt durch die Hintertür
»Wenn du dich stützen musst, stütze dich an Mauern, nicht an Menschen«, notierte der Schriftsteller Jörg Fauser, bevor er 1987 von einem LKW erfasst wurde und verstarb. Zu diesem Zeitpunkt hatte der 1969 geborene Gregor Schneider längst damit begonnen, im unscheinbaren Gründerzeitreihenhaus seiner Eltern in Mönchengladbach-Rheydt Mauern vor Mauern, Wände vor Wände und Zimmer in Zimmer zu bauen, ganz von der Hand zu weisen ist Fausers Ratschlag also nicht.
In jahrelanger Arbeit verwandelte Schneider, nahezu unbemerkt von jedweder Öffentlichkeit, das Innere des »Haus u r« in einen klaustrophobischen Ort, mit Räumen, die sich unbemerkt um sich selber drehen, andere, die mit Blei und verschiedenen Isolationsmaterialien ummantelt sind. Mehr zu erahnen als zu erfahren gab es dort Räume in Räumen mit blinden Fenstern, Kammern mit kargem Mobiliar, Schächte und schalldichte Verliese. Später begann er einige dieser Räume aus- und in Kunstinstitutionen wieder einzubauen. Am eindringlichsten vielleicht für seinen Biennale-Beitrag 2001 in Venedig, wo er nahezu das komplette Innenleben des Hauses in Mönchengladbach in den Deutschen Pavillon verfrachtete und mit dem Goldenen Löwen ausgezeichnet wurde. Ein Monument der Enge und der Selbsteinsargung wurde einer staunenden Öffentlichkeit zur Besichtigung, vor allem aber zum mühsamen Durchkriechen freigegeben. Dieser Auftritt glich einem Paukenschlag und führte zu zahlreichen Einladungen von renommierten Ausstellungshäusern und Museen weltweit.
Venedig markierte eine Wende. In der Folge wandte sich Schneider anderen, verborgenen, gesellschaftlich aber relevanten Räumen zu. Beibehalten wurde das Motiv der Verdopplung. Auch wenn es nie exakte Kopien waren, so baute Schneider zunehmend Räume nach, die uns bislang durch Abbildungen in den Medien bekannt erschienen. Ein schwarzer monumentaler Kubus orientierte sich an der Kaaba in Mekka und verwies gleichzeitig auf eine Ikone der Moderne — Malewitsch’ »Schwarzes Quadrat«. In Düsseldorf waren die angeblich nicht vorhandenen, weil offiziell völkerrechtswidrigen Gefängnis- und Folterzellen aus Guantanamo zu besichtigen. Ein »Sterberaum« entstand, der, einem musealen Raum nachempfunden, vom Künstler einem Sterbenden zur Verfügung gestellt werden sollte, um im Museum öffentlich, aber würdevoll zu sterben.
Unversehens drang Schneider, wie kalkuliert oder blauäugig auch immer, mit seinen künstlerischen Einwürfen in ein Terrain ein, welches bereits durch einen vielstimmigen, ideologisch aufgeladenen, gesellschaftspolitischen Diskurs besetzt war. Und geriet, kaum überraschend, mit seinen vermeintlichen Tabubrüchen unter die Räder. Hatte er sich zu Beginn noch beinahe in die privaten Räume des Elternhauses eingemauert, so wurde er nun zu einem Gefangenen der Medien. Verquere Missverständnisse gewannen die Oberhand und stellten unversehens die Freiheit der Kunst in Frage. Große Teile der Kunstgemeinde kündigten die Gefolgschaft. Die Berichterstattung wanderte von der seriösen Auseinendersetzung ab in die Niederungen der Skandalnotiz — und verhinderte eine sachliche Diskussion über die gesellschaftlich verdrängten Räume, die durch Schneiders Beiträge angestoßen wurde.
Bis hierhin könnte der Werdegang des Künstlers hinreichend Stoff
für ein Theaterstück, durchaus mit tragischen Komponenten, bieten. Doch Schneider wählt einen anderen Weg und nähert sich dem Theater durch die Hintertür. »Neuerburgstraße 21« lautet die Adresse in Köln Kalk — eine Industriebrache in unmittelbarer Nachbarschaft zur Halle Kalk, Spielstätte der Schauspiels Köln. Hier befindet sich der Zugang zur neuesten Raumarbeit Schneiders für das Schauspiel. Die Einladung geht auf einen langjährigen Kontakt zu Intendant Stefan Bachmann zurück, im Bewusstsein, dass der handlungsbezogene und performative Aspekt, sowohl auf Seiten des Künstlers als auch im Bezug auf das Publikum, seit jeher ein entscheidendes Element in Schneiders Werk darstellt. Die Vorabinformationen zum Projekt sind spärlich, da vieles erst im Prozess des Voranschreitens Form gewinnt. Und keine noch so detaillierte Beschreibung, soviel ist sicher, kann die eigene beklemmende Erfahrung ersetzen. Die Raumfolge Schneiders wird unser Vertrauen darauf, dass sich die Dinge, die uns umgeben, in Beziehung zu uns bringen lassen, nachhaltig in Frage stellen.
Weitere Kooperationen mit der Theaterwelt sind geplant, 2014 neben einem Beitrag zur Ruhrtriennale etwa Projekte mit der Volksbühne Berlin. Ob die Kulissenwelt des Theaters eine hinreichende Stütze bietet, wird sich erweisen. Die Alternativlosigkeit jedenfalls, die in Fausers Anweisung steckt, will Gregor Schneider nicht anerkennen. Zwischen Mauern und Menschen zur Stütze muss man die Wahl haben. Schließlich sagt man ja gewissen Brettern nach, sie bedeuten die Welt.