Die Zusammensetzung des Rats wird kleinteiliger | Foto: Manfred Wegener

Die unentdeckte Mehrheit

Nach der Kommunalwahl ist Rot-Grün erneut auf die Stimme des Oberbürgermeisters angewiesen um eine Mehrheit zu haben. Es gäbe aber auch eine andere Möglichkeit: ein breites linkes Bündnis mit der Linken, Deine Freunde und den Piraten, die allesamt beachtliche Gewinne erzielt haben

Rechnerisch betrachtet könnte es nach der Kommunalwahl eigentlich weitergehen wie zuvor: Das Bündnis aus SPD und Grünen errang wieder die Hälfte der 90 Sitze im Rat der Stadt. Mit der Stimme von Oberbürgermeister Jürgen Roters (SPD) reichte das wie zuvor für eine knappe Mehrheit.

 

Und doch ist alles anders. Zum einen haben sich im rot-grünen Bündnis die Gewichte verschoben: Die Grünen verlieren zwei Mandate, sind nur noch mit 18 Sitzen vertreten. Die SPD hingegen gewinnt zwei Sitze, stellt nun 27 Ratsmitglieder. Nach den politischen Gepflogenheiten könnte die SPD nun noch deutlicher ihre Führungsrolle anmelden — und wäre doch schlecht beraten. Denn in der rot-grünen Koalition knirscht es ohnehin: Die SPD wollte den Neubau des Schauspielhauses, die Grünen scherten aus; die Grünen wollten einen Ausbau-Stopp am Godorfer Hafen, die SPD mobilisierte die Lobbygruppen dafür; die Grünen wollen den Vorrang von Bus und Bahn vor dem Auto, die SPD liebäugelte lange mit einem kostspieligen Autotunnel auf der Rheinuferstraße.

 

Allzu selbstbewusst darf die SPD auch deswegen nicht auftreten, weil sie tatsächlich eben nicht nur gewonnen hat. Ausgerechnet ihr Führungstrio erlebte am Wahlabend ein Debakel. Der Kölner SPD-Chef und Landtagsabgeordnete Jochen Ott verliert seinen Porzer Wahlbezirk gegen den umtriebigen CDU-Politiker Henk van Benthem, während Fraktionschef Martin Börschel in der Nordstadt gegen den Geschäftsführer der Grünen-Fraktion Jörg Frank unterliegt. Und auch Elfi Scho-Antwerpes verpasst im Porzer Süden ein Direktmandat — auch weil die Bürgermeisterin der SPD mit Wohnsitz in Klettenberg keinerlei Bezug zum Veedel hatte. Ihr wurde der Wahlbezirk als vermeintlich sicher zugeteilt. Ihren Platz im Rat bekamen die drei nur über ihre hohen Listenplätze.

 

Die Grünen sind nicht nur durch die Wahlniederlage geschwächt. Nachdem ihre Spitzenpositionen neu besetzt worden sind, fehlen viele erfahrene Kräfte, allen voran die langjährige Fraktionschefin Barbara Moritz. Die Partei verkauft das als Generationswechsel — dass es intern rumort, zeigt die äußerst knappe Entscheidung bei der Nominierung für einen der Stellvertreter von Oberbürgermeister Jürgen Roters: Zunächst deutete alles auf Berivan Aymaz hin, zumal die türkischstämmige Politikerin als eine der Repräsentantinnen der Stadt politischen Symbolwert besessen hätte; dann aber unterlag sie denkbar knapp Andreas Wolter, der als Vertreter der schwul-lesbischen Community bei den Grünen gilt.

 

Unter diesen Umständen spielt die SPD derzeit auch mit dem Gedanken, eine Große Koalition mit der CDU zu bilden. Das dann als politischen Aufbruch zu verkaufen, wäre tolldreist. Erstens, weil dieses Bündnis mit Blick auf die jüngste Kölner Geschichte zu Recht für lange Jahre des Klüngels und des parteipolitischen Nepotismus steht. Zweitens signalisieren Große Koalitionen auf kommunaler Ebene dem Wähler, dass Bequemlichkeit im politischen Tagesgeschäft wichtiger sei als profilierte, kreative Politik. Drittens ist die Kölner CDU immer noch mit innerparteilichen Ränkespielen beschäftigt, die beschworene »Rückkehr zur Sacharbeit« hat offensichtlich auch der Wähler nicht erkennen können. Stattdessen: platte Parolen gegen Steuern und für Einsparungen, dazu die notorische Klientelpolitik für Autofahrer und eine distanzierte Haltung bei der Unterbringung von Flüchtlingen. Am markantesten war die Kampagne gegen ein Haus der jüdischen Kultur auf dem Rathausvorplatz, das schon vor Jahren im Rat der Stadt beschlossen worden ist. Prompt wurde die CDU dafür abgestraft, büßt einen Sitz ein und kommt nun nur noch auf 24 Sitze.

 

Überhaupt gehört das bürgerliche Lager zu den Verlierern. Der FDP ist fast die Hälfte ihrer Wähler abhandengekommen, von vormals neun Sitzen bleiben ihr noch fünf. Die Partei erreicht bloß noch die Stammklientel: Menschen mit höherem Einkommen, die bevorzugt im Kölner Süden und in Lindenthal wohnen.

 

Am rechten Rand hat die rechtsextreme Bewegung Pro Köln ein Desaster erlebt. Der Fraktionsstatus ist verloren, nur zwei von fünf Sitzen sind übriggeblieben. Zudem stehen führende Vertreter wegen bandenmäßigen Betrugs vor Gericht, weil sie sich Sitzungsgelder erschlichen haben sollen. Allerdings: Mit der anti-europäischen, national-liberalen »Alternative für Deutschland« ist nun eine neue Fraktion im Rat vertreten, deren kommunalpolitisches Profil diffus ist, aber bei den Themen Sicherheit, Sauberkeit und Unterbringung von Flüchtlingen an den rechtspopulistische Diskurs anschließen könnte.

 

Die wichtigste Erkenntnis der Kommunalwahl aber ist, dass deutliche Gewinne im linken Spektrum zu verzeichnen sind. Und das sollte Rot-Grün zu denken geben. Die Linkspartei erreicht sechs Sitze, zwei mehr als zuvor. Dass zudem Deine Freunde und die Piraten nun jeweils mit zwei Sitzen vertreten sind, zeigt, wie sich das linke Milieu neu verfasst hat: Ein Teil der Kölner Grünen-Wähler und bisherige Nichtwähler sehen sich bei Deine Freunde und den Piraten, die jeweils eigentlich grünen Themen wie Datenschutz und umweltschonende Verkehrspolitik ohne Vorfahrt fürs Auto vertreten, derzeit am besten aufgehoben.

 

Strukturell sind sich die beiden kleinen Gewinner nicht ähnlich: Deine Freunde sind eine erfolgreiche lokale Ehrenfelder Initiative, deren Personal überwiegend jung und akademisch gebildet ist und zu deren Statussymbolen es gehört, in der Kreativwirtschaft tätig zu sein. Die Piraten sprechen zwar ein ähnliches Milieu an, besitzen aber keinerlei lokale Verankerung, ihre Zukunft hängt allein davon ab, ob sich die Bundespartei nach den vielen internen Querelen wird etablieren können.

 

Dass es jenseits von Rot-Grün mit der Linken, den Piraten und Deine Freunde noch zehn Stimmen im linken Spektrum gibt, lässt das Gerede von der »hauchdünnen Mehrheit« fragwürdig erscheinen. Es ließe sich nämlich auch der Schluss ziehen, dass Rot-Grün wichtige Anliegen durchsetzen könnte, wenn sie im Gegenzug bereit wären, mit der Linken, den Piraten und Deine Freunde zusammenzuarbeiten: ein breites linkes Bündnis — in welchem formalen Rahmen auch immer.

 

Ein Einwohnerticket, das für eine monatliche Pauschale allen Kölnern ermöglichte, Bus und Bahn zu nutzen, ist angesichts einer defizitären KVB und abnehmenden Gewinnen anderer Stadtwerke-Konzerne zwar eine finanzielle Herausforderung — aber eine, die jetzt angenommen werden muss. Auch wenn es darum geht, die Wohnungsnot zu lindern, ließen sich gemeinsam Lösungen dafür finden, wie etwa das städtische Wohnungsunternehmen GAG ausreichend neue Wohnungen schaffen kann. Vieles, was Linke, Deine Freunde und Piraten fordern, geht über das hinaus, was SPD und Grüne bislang für realistisch halten. Aber die Unterschiede sind oft nur graduell, nicht grundsätzlich.

 

Nicht zuletzt entlastete eine breites linkes Bündnis die SPD davon, sich nun im Rat der Stadt bereits in den Oberbürgermeister-Wahlkampf für die Wahl im September 2015 zu begeben, weil nur durch den Sieg eines noch zu findenden SPD-Kandidaten die rot-grüne Mehrheit weiter gewährleistet wäre. Stattdessen könnte im Rat der Stadt Politik gemacht werden. Alles, was dafür nötig ist, ist ein Umdenken bei SPD und Grünen. Kommunalpolitik erfordert gedankliche Flexibilität — parteipolitische Reflexe dagegen verhindern neue Lösungen.

 

Von: Bernd Wilberg

 

Außerdem in der StadtRevue Juli:


Die Neuen Rechten: Gekränkte Männer auf Provo-Kurs +++ Bahnbögen: In Ehrenfeld geht‘s jetzt los +++ Autonomes Zen­trum: Umzug nach Vorschrift +++ Alternativer CSD: Jenseits von Schwulen-Parties +++ Summerjam: Erfolgreich und unterbewertet +++ Kölner Kinos: Glamouröse Vergangenheit an den Ringen +++ Didi & Stulle: Was Studenten beachten sollten