Nach einer Spielzeit nackten Wahnsinns: Stefan Bachmann | Foto: Manfred Wegener

»Mit stolzem Haupt unter der Latte durch«

Stefan Bachmann bilanziert seine erste Spielzeit als Kölner Schauspielintendant

Schon fast ungläubig hörte man ihm zu, als der neue Intendant Stefan Bachmann letztes Jahr auf seiner ersten Pressekonferenz in einer alten, staubigen Fabrik seine Visionen vorstellte. Einst wurden im Carlswerk in Mülheim Kabel produziert, heute sind es die Aufführungen des Schauspiels Köln. Stefan Bachmann hat aus den stillgelegten Industriehallen die Interimsspielstätte gemacht, bevor es nächstes Jahr wieder in die Innenstadt geht. Drinnen verbindet ein Foyer große und kleine Bühne, vor dem Haupteingang blüht ein wunderbarer urbaner Garten.

 

Herr Bachmann, Sie haben eine intensive erste Spielzeit hinter sich, in der Sie um- und eingezogen sind und vieles neu gemacht haben. Wie haben Sie das überstanden?

 

Der Intendant fällt vom Stuhl (lacht). Nein, das bin ja nicht nur ich allein. Ich bin bloß ein Synonym für den ganzen Betrieb hier. Die Erschöpfung ist bei uns allen sehr groß, aber wir sind glücklich erschöpft. Es ist wirklich okay, dass Ferien sind, so gut es auch gelaufen ist.

 

Wie geht es Ihnen mit der Doppelbelastung als Regisseur und Intendant? Immerhin haben Sie drei Neu-Inszenierungen gestemmt und die Wiederaufnahme von »Genesis«.

 

Regie zu führen macht mir Spaß. Dass mir die Intendanz so viel Spaß machen würde, das wusste ich vorher nicht. Das Besondere in Köln ist, dass ich als Intendant durch die Interimssituation einen sehr vielschichtigen Job habe: einerseits das Sanierungsprojekt am Offenbachplatz und andererseits den Neuanfang auf der »falschen« Rheinseite.

 

Apropos, was um alles in der Welt hatte Sie eigentlich geritten, ausgerechnet mit »Der nackte Wahnsinn« zu eröffnen?

 

Vermutlich war ich nicht die einzige, der noch die Abschiedsinszenierung Ihrer Vorgängerin »Das Werk/ Im Bus/Ein Sturz« im Kopf rumspukte. Da wirkte die Schenkelklopfer-Komödie fast verstörend. Mit stolz erhobenem Haupt unter der Latte durchzulaufen, um damit zu sagen, wir fangen jetzt einfach mal an, das war es. Ich wollte nicht mit dem Versuch starten, alles noch gigantischer zu machen. Von vielen Neuanfängen kenne ich, dass eine Krafthuberei veranstaltet wird. Am besten finden in sieben Tagen zwanzig Premieren mit den teuersten Schauspielgästen statt und schon am dritten ist man dann Theater des Jahres. Ich wollte, dass wir uns entspannt an das herantasten, was wir zukünftig vorhaben. Außerdem war es mir wichtig zu zeigen, dass Theatermachen für mich nicht nur aus einem schnellen Paukenschlag besteht, sondern aus einer kontinuierlichen Arbeit mit einer Perspektive für mehrere Jahre.

 

Wie hat das Publikum Ihr Theater aufgenommen?

 

Gut, sehr gut sogar. Wir haben Zuschauer dazu gewonnen, auch Abonnenten. In Gesprächen habe ich viel positives Feedback bekommen, worauf ich mir auch etwas einbilde; allerdings nicht allzu viel. Ich war aber überrascht, wie herzlich das Publikum am Anfang war und geduldig. Nach vier, fünf Inszenierungen wurde klar, dass wir hier einen anderen künstlerischen Weg gehen, andere Schauspieler, Regisseure da sind und eine andere Dramaturgie.

 

Was hat nicht funktioniert?

 

Mit dem Seniorenprojekt »7000 Jahre Köln« haben wir uns verkalkuliert. Das haben wir in der kurzen Zeit nicht hinbekommen. Aber ein Projekt darf auch mal scheitern, finde ich. Daraus ist nun ein Seniorenclub entstanden. Dann gibt es immer Aufführungen, die mal besser, mal schlechter gelingen. Unsere Trefferquote war sehr gut. Mir war vor allem wichtig, immer wieder die Bezüge zur Stadt herzustellen.

 

So wie bei dem semi-dokumentarischen Stück »Die Lücke« von Nuran David Calis über das Nagelbombenattentat in der Keupstraße?

 

Das war ein großer Triumph. Bei der Premiere ist etwas passiert, das ich noch nie im Theater erlebt habe. Nach dem das Stück aus war, hat das Publikum bestimmt eine halbe Minute geschwiegen. Dann spendete es kollektiv standing ovations. Das hatte eine große Kraft und für uns die Konsequenz, dass wir jetzt mit der Keupstraße verwoben sind. So eine integrative Arbeit, die tatsächlich auch als Stadtentwicklungsarbeit verstanden werden kann, das wäre ein Theaterkonzept für diesen Ort, das man in die Zukunft denken sollte.

 

Wie bilanzieren Sie die Uraufführungen von Jens Albinus (»Helenes Fahrt in den Himmel«) und Rafael Sanchez (»Die Welt mein Herz«)?

 

»Die Welt mein Herz« war eine sehr poetisch und witzig erzählte Reise um den Erdball, eine Globalisierungssoap gewissermaßen. »Helenes Fahrt in den Himmel« ist eine meiner Lieblingsproduktionen der Spielzeit, leider zu wenig gebührend geschätzt und gelobt. Ich finde sowohl das Stück als auch die Inszenierung mit ihrer klaren Form und Ästhetik ganz toll. Eigentlich ist das ein moderner Botho Strauß, eine Gesellschaftsanalyse, mythologisch grundiert, aber das sehr dezent. Es ist ein gnadenloser Blick auf den Mittelstandsmenschen in Europa; der ist brutaler und ökonomischer und nicht so empfindsam wie bei dem frühen Botho Strauß.

 

Hat es Sie überrascht, dass Moritz Sostmanns Puppenspiel so gut ankommt?

 

Ob Kafkas »Amerika« oder »Der gute Mensch von Sezuan«, die Aufführungen waren stets ausverkauft. Ich hatte vermutet, dass es gut hierher passen würde. Es ist eine sinnliche Erzählform, bildhaft, humorvoll und abgründig. Köln ist, glaube ich, nicht die Stadt des staubtrockenen intellektuellen Konzepttheaters.

 

Wie stark schätzen Sie das Ensemblegefühl ein?

 

Gut. Das ist auch mein Steckenpferd. Nach meinem Theaterverständnis ist es wichtig, mit einem festen Ensemble Theater für die Stadt zu machen. Mir ist sehr daran gelegen, Menschen an das Haus zu binden und dem Theater dadurch Profil zu geben.
Was war vorherrschend, die Gruppen- oder Einzelleistung? Beides! Ich habe eine große Liebe für Nebenfiguren. Bei mir passiert Theater aus einem kollektiven Gedanken heraus. Es ist nicht meine Politik, eine erste, zweite, dritte Reihe zu haben, wie man so schön sagt. Trotzdem spielt etwa Bruno Cathomas im »Kaufmann von Venedig« im Zentrum, und er spielt den Shylock sehr markant. Das soll er auch, aber das heißt nicht, dass mir die anderen Spieler nicht ebenso wichtig sind.

 

Wie haben Sie es ausgehalten, dass die Kritiker auf den so genannten großen Wurf warteten, der Ihnen erst am Ende der Spielzeit mit »Habe die Ehre« gelungen ist?

 

Dagegen wie ich in bestimmten Phasen meiner Laufbahn schon verrissen und verprügelt wurde, bin ich hier geradezu verwöhnt worden.

 

Wie schnell lassen Sie denn ein Stück hinter sich? Ich bin ziemlich brutal. Bis zu der Premiere steck ich extrem drin und dann ist es gelaufen. In dem Moment, in dem ich weiß, jetzt kann ich nicht mehr daran arbeiten, kann ich sofort loslassen. Das ist ein Mechanismus, damit ich überhaupt weiterarbeiten kann.

 

Kürzlich haben Sie gefordert, an den Einnahmen der Tanzgastspiele beteiligt zu werden, was von der Politik abgeschmettert wurde. Man könnte meinen, Sie wollten dem gebeutelten Tanz jetzt auch noch an den Kragen.

 

Im Gegenteil. Ich könnte dagegen stellen, dass genau genommen mein Vertrag als Intendant für das Schauspiel von der Stadt Köln nicht eingehalten wird. Ich habe ein klar definiertes Budget, an dem genagt wird. Um es an einem Beispiel zu erklären: Wenn wir ein Tanzgastspiel im Depot 1 haben, dann haben wir die 600 Plätze nicht verkauft. Dann fehlen uns circa 9 000 Euro in unserem künstlerischen Budget, mit dem wir kalkulieren müssen. Auf die Spitze getrieben heißt das, dass wir ein Tanzgastspiel schon mal mit
9 000 Euro sponsern. Zudem stellen wir unser komplettes Personal für das Gastspiel zur Verfügung. Deswegen hatten wir vorgeschlagen, wenigstens einen Teil dieser uns entstehenden Kosten mit den Einnahmen der Tanzgastspiele
zu decken.

 

Sie verfügen über ein ganz anderes Budget als die Tanzkuratorin Hannah Koller.

 

Bei der derzeitigen Regelung werden Hannah Koller und ich gegeneinander ausgespielt, was wir beide nicht wollen. Egal mit wem Sie reden, ob im Kulturausschuss oder sonst wo, alle sind für den Tanz. Komischerweise will ihn nur niemand bezahlen. Das ist ein Double-Bind, der furchtbar ist.

 

Was schlagen Sie vor?

 

Nach Berechnungen der Opernintendantin Birgit Meyer, Hannah Koller, dem Geschäftsführer der Bühnen Patrick Wasserbauer und mir müsste man den Tanzetat von 400.000 auf 700.000 Euro aufstocken. Das wäre das Minimum für ein monatliches Tanzgastspiel, für crossovers zwischen Oper und Tanz oder mit unseren Schauspielern, zusätzlich wäre eine Vernetzung mit den Hochschulen möglich. Wenn man bedenkt, welcher Qualitätssprung das wäre, sind 300.000 Euro ein Witz. Dass die Politik das verhindert hat, ärgert mich — aber richtig.

 

Interview: Ulrike Westhoff

 

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