Brüsseler Platz, Foto: Manfred Wegener

Ein bisschen Frieden

Seit einem Jahr regelt ein »Modus Vivendi« das Geschehen am Brüsseler Platz. Aber tut das dem Ort wirklich gut?

Es ist viel über den Brüsseler Platz gestritten und geschrieben worden, seit an warmen Abenden Hunderte Menschen auf den Blumenkübeln und Sitzbänken im belgischen Viertel zusammenkommen und den Anwohnern damit den Schlaf rauben. Was sich auf dem Platz abspielt, wird seit einem Jahr genauestens dokumentiert: So kann man auf der Seite der Stadt Köln beispielsweise nachlesen, dass sich am 1. Juli 2014 um 22 Uhr 110 Personen auf dem Brüsseler Platz aufgehalten haben, um 23 Uhr 80 und um 24 Uhr 18 Personen. Das Wetter war trocken bei 19 Grad.

 

Man kann über diese Pedanterie leicht ins Spotten geraten. Doch die genaue Dokumentation der Besucherzahl durch die Mitarbeiter des Ordnungsamts ist nur ein kleiner Teil des »Modus Vivendi«, auf den sich die Konfliktparteien aus Anwohnern, Gastronomen, Kioskbetreibern und zuständigen Ämtern der Stadt Köln im August 2013 geeinigt haben. Zur Vereinbarung gehört neben vielen anderen Punkten auch, dass Mitarbeiter des Ordnungsamts die Platzbesucher sanft drängen, den Platz bis Mit­ternacht zu verlassen, dass die Außengastronomie zu diesem Zeitpunkt geschlossen wird und der ansässige Kiosk ab halb zwölf keine alkoholischen Getränke mehr verkauft.

 

Und siehe da, sogar die An­woh­­ner sind mit der Vereinbarung - fast - zufrieden. »Ein solcher Mo­­dus Vivendi ist etwas Lebendiges. Man sollte sich stets darüber austauschen«, sagt Detlef Hagenbruch vom Bürgerbüro Brüsseler Platz. Es gebe immer noch offene Fragen, etwa, warum die Mitarbeiter des Ordnungsamts die Platzbesucher bei Ordnungswidrigkeiten lediglich ermahnten und keine Bußgelder verhängten. Außerdem müsse eine neue Lösung für die Entsorgung der Bierflaschen gefunden werden. Zurzeit werden sie von der AWB eingesammelt und noch vor Ort zerschlagen, »wohl, um zu verhindern, dass sich deren Mitarbeiter das Pfandgeld in die eigene Tasche stecken«, glaubt Hagenbruch. Für die Anwohner bedeute das rigorose Aufräumen eine zusätzliche Lärmbelastung. »Doch inzwischen kann man mit dem Ordnungsamt ja gut reden. Wir sind auf dem richtigen Weg.«

 


Mit solch versöhnlichen Tönen hätte noch zu Beginn des vergangenen Sommers kaum jemand gerechnet. Trotz eines jahrelangen Mediationsverfahrens unter Ägide der Stadt war es zu keiner Lösung gekommen; die Fronten hatten sich sogar verhärtet. Und wie soll man einen solchen Konflikt auch lösen können: Auf der einen Seite das Recht der Besucher, sich auf einem öffentlichen Platz aufzuhalten, auf der anderen Seite das Recht der Anwohner auf Nachtruhe. Urbanes Leben versus Privatheit im Wohnviertel: Dieser Gegensatz ist allen europäischen Großstädten eingeschrieben, nur tritt er am Brüsseler Platz besonders deutlich zutage — ähnlich wie an der Admiralbrücke in Berlin oder am Gärtnerplatz in München.

 


»Da treffen zwei völlig unterschiedlich geprägte Personengruppen aufeinander, die beide die Deutungshoheit über den Platz für sich reklamieren«, sagt Matthias Hannemann. Er hat seine Masterarbeit an der Universität Bonn über den Brüsseler Platz geschrieben, hat früher selbst in der Nähe gewohnt und den Platz häufig besucht. »Auf der einen Seite stehen jüngere Menschen mit hedonistischem Lebensstil, auf der anderen ältere mit traditionalistischen Werten und geringer Mobilität.« Hannemann glaubt, dass Konflikte um großstädtische Plätze in Zu­­kunft häufiger auftreten werden — wegen einer Tendenz zur »Informalisierung«: »Man kommt spontan zusammen, muss nichts zahlen, man kommt mit Fremden ins Gespräch. Bei der älteren Generation verursacht dieses Verhalten Unsicherheit.«

 

Umso bemerkenswerter also, dass sich bei diesem auf den ersten Blick unlösbaren Konflikt jetzt doch eine Lösung abzuzeichnen scheint. Sie ist einem zweitem Anlauf zu verdanken. Nachdem das Mediationsverfahren zu keinem Ergebnis geführt hatte, klagte ein Anwohner gegen die Stadt. Daraufhin ordnete das Verwaltungsgericht Köln das güterichterliche Verfahren an, aus dem schließlich der Modus Vivendi hervorgegangen ist. Offenbar ist bei der richterlichen Mediation gelungen, was der von der Stadt beauftragte Mediator Detlev Wiener in mehreren Jahren nicht geschafft hatte. Von den Bürgerinitiativen der Anwohner schnell zum Feindbild erklärt, nimmt er die denkbar undankbarste Rolle in dieser Geschichte ein. »Er stand für uns von Anfang an auf der Seite der Gastronomen«, so Hagenbruch. Und es stimmt ja auch: Dass es auf dem Brüsseler Platz komplett ruhig wird, stand nie zur Debatte.

 

Der Stadt war offenbar immer klar, dass sie sich nicht als urbane, lebendige Stadt vermarkten kann, während sie gleichzeitig spontane und völlig legale Zusammenkünfte auf einem öffentlichen Platz verbietet. Wieners Auftrag lautete entsprechend, die »Interessen eines urbanen Zusammenlebens« zu vertreten. Dass bei diesem Zusammenleben vor allem die Anwohner zurückstecken müssen, war für diese eine bittere Erkenntnis. »Ruhe wird hier wohl niemals einkehren«, das sieht Hagenbruch ein. Er erkennt aber an, »dass sich die anderen Parteien mehr und mehr an Regeln und Selbstverpflichtungen halten«. So sieht er inzwischen auch die Holzbude durchaus positiv, die vor einigen ­Jahren auf dem Platz aufgestellt wurde und die er und seine Mitstreiter zu Anfang mit allen Mitteln verhindern wollte. »Der Pächter sorgt dafür, dass die neu bepflanzten Beete gewässert werden, dass drumherum alles sauber bleibt und die Leute um zwölf seinen weitläufigen Platzbereich verlassen haben. Das muss man dann auch respektieren.«

 

So scheint der Modus Vivendi tatsächlich eine Übereinkunft zu sein, mit der alle leben können. Schon wird er als Vorbild für andere Städte mit ähnlichem Problem präsentiert. Doch was bedeutet das eigentlich für die Stimmung auf dem Platz?  Der Brüsseler Platz ist ja deshalb einmal so beliebt geworden, weil man dort spontan und zwangslos zusammenkam, weil alles irgendwie improvisiert schien. Davon kann kaum noch die Rede sein; von der Dauer des Aufenthalts über die Entsorgung der Flaschen bis zu den Toilettengängen, für alles gibt es inzwischen einen Plan. »Der Charakter hat des Platzes hat sich geändert. Er ist für einige bereits unattraktiv geworden«, sagt auch Hannemann. Ob der Brüsseler Platz künftig noch immer solch eine Anziehungskraft ausübt, wird sich zeigen. Vielleicht kehrt in ein paar Jahren also doch noch Ruhe ein.