Reimen gegen die Selbstgefälligkeit
Wenn vor fünfzehn Jahren jemand darauf gewettet hätte, dass von allen deutschsprachigen Pop-Stilen ausgerechnet HipHop im Jahr 2014 die Blaupause für Jugendkultur in Deutschland ist, dürfte diese Person die Finanzkrise unbeschadet überstanden haben. Damals, in den späten Neunzigern, war deutschsprachiger Pop dreigeteilt: Es gab Hardrocker mit Faschosymbolik, Diskurspop und — zum ersten Mal seit einem Jahrzehnt in seiner Vielfalt chartsplatziert — HipHop. Den Ton gaben trotzdem die anderen an: Neue Deutsche Härte an der Kasse im Saturn, Diskurspop beim Verhandeln kulturellen Kapitals an der Theke. Fünfzehn Jahre später ist alles anders. Rammstein sind verschwunden, Blumfeld produzieren Diskursnostalgie für die Generation 40+. Deutscher HipHop dagegen spiegelt alle Lebenssituationen junger Deutscher wieder. Verliebtsein? Check. Iphone abziehen? Check. Bekifft Scheiße labern? Sowieso — und alles dazwischen auch.
Aber die Kölner Variante von HipHop findet über die Stadtgrenzen hinaus nur wenig Beachtung. Sicher, es gibt Eko Fresh, dessen Alben mittlerweile ein Abo auf Top-Ten-Platzierungen haben. Der Deutzer Produzent Ben Bazzazian wiederum bastelt Beats für Bushido, Haftbefehl und Azad. Und natürlich gibt es den Vertrieb Groove Attack, über den nicht nur Cro und Haftbefehl ihren Weg auf die Kopfhörer von Jugendlichen in Deutschland finden, sondern auch Rapper aus den USA wie das Wu-Tang-Mitglied Ghostface Killah oder der Detroiter Hipster Danny Brown. Aber all das wird nicht als Produkt eines »Scenius« (Brian Eno) begriffen, einer kollektiven Intelligenz, wie etwa die Hamburger HipHop-Szene um die Jahrtausendwende oder das Berliner Royal-Bunker-Label ein paar Jahre später. Auf der HipHop-Landkarte Deutschlands ist Köln 2014 tendenziell ein eher weißer Fleck.
Über dieses HipHop-Deutschland wird ja gerade eifrig gestritten. Darüber, ob die bleichen Jungs mit den Skinny Jeans aus dem ostwestfälischen oder schwäbischen Hinterland den etwas muskulöseren Jungs »mit Migrationshintergrund« aus Berlin oder Frankfurt den HipHop weggenommen haben, um ihn für andere bleiche Kids aus einem anderen Hinterland konsumierbar zu machen. Keine Rolle in diesem Streit spielt Köln — weder als hastig bemühtes Symbol für das eine oder andere Milieu, noch als realer Ort mit ganz normalen Leuten.
Das ist typisch. Kölner Rapper sind damit beschäftigt, all die Widersprüche, mit denen man als HipHop-Fan eh ständig konfrontiert ist, in Reime zu verpacken. »Paul Würdig, nur du bist schuld daran, dass aus uns nichts werden kann«, rappt der junge Kölner Veedel Kaztro auf seiner Debüt-LP, die vor ein paar Monaten erschienen ist. Paul Würdig, für die etwas weniger HipHop-Affinen unter den Lesern, ist der »echte« Name von Sido, dem Rapper mit der Maske. Und die Liedzeile mit dem recht expliziten Vorwurf hat sich Veedel Kaztro aus dem Frühwerk von Tocotronic ausgeborgt. So wird aus einem einfachen Satz ein Panorama aus Identitätsbausteinen, bei dem am Ende nur noch mehr Verwirrung herrscht. War Sido die HipHop-Einstiegsdroge für den jungen Veedel Kaztro? Oder stehen der Berliner Rapper und seine Inszenierung von Ghetto-Authentizität dem eher nerdigen HipHop-Entwurf von Veedel Kaztro im Weg? Soviel Ambivalenz ist zwar höchstsympathisch, aber im Rennen um Likes, Clicks und Aufmerksamkeit gewinnt man damit höchstens einen Blumentopf.
Alleine ist Veedel Kaztro damit aber nicht. Auch Eko Fresh spielt bei aller Kalker Ghetto-Romantik immer auch mit den ungeschriebenen Regeln des Genres. Selbst bei den Büdche Boys, dem kölschesten aller Kölner HipHop-Entwürfe, schwebt neben all der Frohnatürlichkeit immer auch ein wenig Melancholie darüber mit, dass der Schlaf am Ende der Party halt in Nippes stattfindet und nicht — wie bei den Beastie Boys — in Brooklyn.
Und genau das haben die Kölner Rapper der Stadtgesellschaft voraus. Sie erinnern Köln, das im Großen und Ganzen mit seiner leicht selbstgefälligen Verschnarchtheit im Reinen ist, daran, dass Coolness schon länger zuerst woanders fabriziert wird. Und das tun sie mit den besten HipHop-Tugenden: Wortwitz, Nerdtum und Entspanntheit. Da mal zuzuhören, würde Köln nicht schaden — dem Rest von Deutschland aber auch nicht.
Text: Christian Werthschulte
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