No TTIP
Es sind dramatische Appelle, die Norbert Baumgarten an seine Zuhörer richtet. Wenn neben ihm einer zu ertrinken drohe, könne er nicht warten, bis der Bademeister kommt. Genau so verhalte es sich auch mit dem transatlantischen Freihandelsabkommen TTIP, das seit 2013 zwischen der EU und den USA verhandelt wird: »Wer als erster merkt, was da auf die Kommunen zukommt, muss handeln — und nicht erst warten, bis die Ratsmitglieder es tun!«
Baumgarten ist Vorsitzender der Liga der Sozialverbände in Erkrath, einer 45.000-Einwohner-Stadt zwischen Wuppertal und Düsseldorf. Anfang September sprach er auf einer Info-Veranstaltung in der Alten Feuerwache, zu der das Kölner Bündnis »No TTIP« eingeladen hatte, hinter dem unter anderem Organisationen wie attac, Greenpeace oder das Friedensbildungswerk stehen. In dem mit mehr als 150 Zuhörern völlig überfüllten Saal erläuterte Baumgarten, wie es dazu kam, dass der Rat der Stadt Erkrath — auf die Initiative der Sozialverbände hin — im März 2014 einen Beschluss gegen TTIP und das kanadisch-europäische Abkommen CETA fasste.
Schon seit Jahren warnen Kritiker vor den möglichen Folgen dieser Abkommen. Sie sehen das gesamte demokratische System in Gefahr. Denn CETA, dessen 1500-seitiger, geheim verhandelter Text kürzlich von der Tagesschau veröffentlicht worden ist und das als Blaupause für TTIP gilt, beschränkt sich nicht allein auf das, was man sich gemeinhin unter Freihandel vorstellt. Der Abbau von Zöllen oder technischen Handelshemmnissen macht nur einen kleinen Teil des Abkommens aus.
Gravierender sind die Kapitel zur Dienstleistungsliberalisierung und zum Investitionsschutz, so Pia Eberhardt: »Sie ermöglichen ausländischen Investoren, vorbei an nationaler Rechtsprechung vor privaten Schiedsgerichten zu klagen, wenn sie Profite aus ihrer Investition bedroht sehen.« Eberhardt arbeitet für die Organisation Corporate Europe Observatory, die den Einfluss von Konzernen auf die EU-Politik beobachtet. »Mit TTIP und CETA können sich Investoren zu Gesetzgebern aufschwingen«, so ihre Befürchtung.
Vor allem die Kommunen wären davon massiv betroffen: »TTIP regelt neu, was Kommunen noch selbst anbieten dürfen und was dem Wettbewerb unterliegen muss«, so Baumgarten. Aufgaben wie Wasser- und Energieversorgung, öffentlicher Nahverkehr, Bau und Betrieb von Krankenhäusern, Altenheimen, Kindergärten und Sportstätten, die heute zu großen Teilen — und aus gutem Grund – zur kommunalen Daseinsvorsorge gehören, würden ihr dann entrissen. Subventionen für Schwimmbäder, Umweltauflagen oder gar ein Instrument wie soziale Wohnraumförderung — all das könnte Investoren Anlass zu Klagen bieten. Klauseln legen darüber hinaus fest, dass Privatisierungen nicht mehr rückgängig gemacht werden können.
Wenn ein Konzern etwa die Energieversorgung einer Stadt einmal übernommen hat, darf sie nicht wieder rekommunalisiert werden. Volksentscheide wie in Hamburg, wo sich eine Mehrheit der Bürger 2013 für den Rückkauf der Strom- und Gasnetze durch die Kommune ausgesprochen hatten, wären dann zwecklos. Es wundert also nicht, dass sich neben Erkrath bereits etwa zehn weitere Kommunen, darunter Bremen und Potsdam, sowie der Deutsche Städtetag gegen TTIP und CETA ausgesprochen haben. Die Vertreter des Kölner No-TTIP-Bündnisses arbeiten nun daran, dass es einen solchen Ratsbeschluss bald auch in Köln geben wird. Derzeit formulieren sie einen entsprechenden Bürgerantrag. Michael Weisenstein (Linke) und der Fraktionschef der Grünen, Jörg Frank, erklärten, das Ansinnen im Rat unterstützenzu wollen.
Es bleibt jedoch die Frage, was es nützt, wenn Bürger Anträge gegen TTIP stellen und Kommunen kritische Stellungnahmen herausgeben. Erst Mitte September hat die EU-Kommission entschieden, die Europäische Bürgerinitiative »Stop TTIP« aus rechtlichen Gründen nicht zuzulassen. Ein Bündnis aus 230 Nichtregierungsorganisationen und Parteien aus ganz Europa hatte darin einen Verhandlungsstopp bei TTIP und CETA gefordert.
Dennoch lohne es sich, dagegen aufzubegehren, so Pia Eberhardt. Das so genannte Anti-Piraterie-Abkommen ACTA sei nach internationalen Protesten vom EU-Parlament schließlich auch noch gekippt worden. Auch der aktuelle Widerstand wirke sich bereits auf die Verhandlungen zwischen den USA und der EU aus. »Wenn man die Öffentlichkeit mobilisiert, kann TTIP noch verhindert werden.«
Text: Anne Meyer
Aktionswoche gegen TTIP
Am 11. Oktober findet ein europaweiter Aktionstags gegen TTIP und CETA statt. Auch in Köln sind verschiedene Aktionen wie Straßentheater oder eine Fahrraddemo geplant, um auf die Gefahren der Freihandelsabkommen aufmerksam zu machen. Auch in der Woche vom 6. bis 10. Oktober tritt das No-TTIP-Bündnis im Stadtbild in Erscheinung: Mit Infoständen und Aktionen gegen hier ansässige Kanzleien, die bereits jetzt an Investorenklagen vor internationalen Schiedsgerichten beteiligt sind. Weitere Infos auf no-ttip-koeln.de