Das Dogville in uns allen

Bastian Kraft übertrifft mit seiner Adaption des epischen Theaterfilms Lars von Trier

Dogville ist schon da. Als die Zuschauer im Depot 1 eintreffen, gehen die Bewohner alltäglichen Verrichtungen nach; zusätzlich zu beobachten in einem riesigen Spiegel, der über der Fläche der Bühne schwebt. Ihre Vielseitigkeit offenbart die Konstruktion mit der Ankunft des Erzählers. Als er den Ort und seine Einwohner vorstellt und auf einem Pult ein großes Buch aufschlägt, werden daraus Wörter und Grafiken auf den Spiegel und den Bühnenboden projiziert. »Chuck und Vera« steht etwa dort, wo nun ein Umriss als Haus die Familie umschließt; Kamerafrauen aus zwei Positionen liefern live Großaufnahmen der Personen, wiederum auf den Spiegel zurückgeworfen.

 

Durch den raffinierten technischen Apparat (Bühne und Video: Peter Baur) entsteht nicht nur ein inhaltlich dichtes Bild. Ergänzt von präziser Lichtsetzung (Hartmut Litzinger) zeigen sich ästhetisch eindrucksvolle Schattenspiele und Szenerien, die die Handlung pointiert unterstreichen und mit ihrer Finesse sogar Lars von Triers Original-Umsetzung des Stoffes überlegen sind. Zumal in Bastian Krafts Inszenierung durch die Gleichzeitigkeit der Wahrnehmung von Bühne, Spiegel und Film stets alles sichtbar ist und die Präsenz Dogvilles intensiv glüht.

 

In die prototypische menschliche Gemeinschaft dringt als Außenseiterin die vor Gangstern fliehende Grace ein. Sie wird erst widerstrebend aufgenommen und versteckt, scheint dann durch ihre Güte das Beste aus den Bewohnern herauszuholen, um später als Sündenbock all deren Schlechtigkeit ertragen zu müssen, bis ein Gespräch mit dem buchstäblichen »God-Father« das radikale Finale einleitet. Eben die ewig gleiche Märtyrergeschichte des Herrn von Trier, die zwischen Provokationen und moralischer Unterweisung auch Redundanzen birgt.

 

Die Längen jedoch hat Regisseur Bastian Kraft im Griff. Er verschlankt die Vorlage souverän von knapp drei Stunden auf (immerhin noch) 140 Minuten und kürzt dezent im Figurenarsenal. Sehr gut besetzt und gespielt sind die Charaktere bis in die Nebenrollen; an zentralen Positionen glänzen Gerrit Jansen als unverbindlicher Autor Tom, Susanne Barth in Lauren Bacalls Part, Nikolaus Benda als animalischer Chuck und Katharina Schmalenberg, die als leidgeprüfte Protagonistin herausragt. Mit diesem Ensemble, stimmungsvoller Musik zwischen Western, Blues und Surf-Gitarren und einer Bühneneinrichtung, die nicht nur schick, sondern enorm effektiv ist, gelingt ein kraftvoller filmischer Theaterabend, der am Ende suggeriert, dass wir alle ein bisschen Dogville sind.