Eine schöne Ecke ist das hier
Köln ist der Sitz des südlichsten Seemannsamtes der Republik, weit weg von jedem Meer und doch zuständig für alle Jobfragen rund um die Schifffahrt wie die Bordpapiere und das Anheuern oder die Seemannsbücher. Man findet dieses Amt im Niehler Hafen, dem größten der Kölner Häfen, der 1925 mit einem ersten Becken eröffnet wurde. Inzwischen sind es vier. Während das letzte Becken den Schiffen der KD als Winterlager dient, werden in den anderen Zellulose und Kohle, Schrott, Holz und Papier verladen und neben dem Schüttgut immer mehr Container. Allerdings verändert sich das Verhältnis von Ufer und Wasserfläche rapide, der Umschlag geht immer schneller, und man benötigt mehr Platz an Land. Deshalb wird überlegt, ein Becken wieder zuzuschütten. Eine andere Folge der immer kürzeren Liegezeiten ist auch, dass es heute keine Schifferkneipe mehr im Hafen gibt und von Seemannsromantik weit und breit nichts zu spüren ist.
Zum Hafengebiet gehört auch das Heizkraftwerk Niehl aus den 1970er Jahren, das derzeit durch eine Gas- und Dampfturbinenanlage zur Produktion von Strom und Fernwärme ersetzt wird. Wenn das neue Kraftwerk 2005 ans Netz geht, wird es weltweit zu den umweltschonendsten Anlagen zählen und mit einem erheblich verbesserten Wirkungsgrad etwa 200 000 Tonnen Kohlenstoffdioxid jährlich weniger ausstoßen. Ein Teil dieses demnächst nicht mehr anfallenden Umweltgifts ist jetzt schon im Rahmen eines internationalen Geschäfts an ein Unternehmen verkauft, das entsprechend höhere Ausstoßraten hat. Das ist nach den Protokollen des Umweltgipfels in Kyoto möglich und hat dem rheinischen Energieversorger einige Hunderttausend Euro extra beschert.
Der Weg über den Molenkopf, zu Fuß oder mit dem Rad, immer weiter nach Norden zwischen Rheinstrom und Hafen, gibt einen guten Überblick, bis man von der Fußgängerbrücke, die sich in einem weiten Bogen über die Hafeneinfahrt ans Niehler Ufer spannt, alles zu Füßen liegen hat. Eine schöne Ecke ist das hier, nicht überlaufen, aber auch ein wenig abgelegen, und daher hat die Stadt es auch immer im Visier, hierhin soziale Kontakte oder Problemgruppen auszulagern.
Im Jahre 2000 wollte man die Frauen vom Straßenstrich rund um den Ebertplatz hierher verbannen. Das waren vor allem drogenabhängige Frauen und Mädchen, die ihre Sucht auf dem Strich finanzieren. In der Innenstadt fühlten sich Anwohner durch die Anmache und den Lärm motorisierter Freier gestört. Aber auch hier am Hafen gab es sofort Proteste der anliegenden Sportvereine, die eine Gefahr für die männliche Sportjugend fürchteten. Daran ist der Plan gescheitert und die Prostituierten wurden im Jahr 2001 ganz weit in den Kölner Norden, in das Industriegebiet an der Geestemünderstraße in Longerich, verschoben. Dort machen sie jetzt ihre Arbeit in so genannten Verrichtungsboxen, nach holländischem Vorbild und betreut vom Sozialdienst Katholischer Frauen.
Im Jahr 2002 betraf die Verdrängungspolitik der Stadt die Flüchtlinge, vor allem Roma aus Südosteuropa, die amtlich als »unerlaubt eingereiste Personen« bezeichnet, in Notlagern untergebracht und mit Einheitsverpflegung auf niedrigstem Level versorgt werden. Ihre Kinder haben weder das Recht, eine Schule zu besuchen, noch haben die Erwachsenen die Möglichkeit, Arbeit zu finden und selber für sich zu sorgen. Als ein Containerlager für diese Menschen in Kalk gekündigt wurde, wollten Stadtverwaltung und CDU als Ersatz ein »Containerschiff« im Niehler Hafen anlegen lassen und die Flüchtlinge weit weg von jeder menschlichen Gesellschaft hierher abschieben.
Heftige Proteste von Künstlern, engagierten Christen und den Flüchtlingsorganisationen verhinderten den Plan, und das Wohnschiff mit dem treffenden Namen »Transit« für etwa 250 Menschen musste am Eingang zum Deutzer Hafen anlegen. Allerdings beschloss die neue Koalition aus Grünen und CDU kurz danach, das gesamte Flüchtlingskonzept zu ändern und das Schiff wieder ablegen zu lassen.
Ein besonderes Schiff und historisches Denkmal im Niehler Hafen ist die »MS Stadt Köln«. Das schmucke Gefährt stammt aus dem Jahr 1938 und wurde von dem damaligen NS-Bürgermeister Karl Georg Schmidt in Auftrag gegeben, um mit illustren Gästen auf dem Rhein schippern zu können. Original erhalten aus der Zeit ist die komfortable Einrichtung mit Salons, Konferenzraum und Empfangsdeck, fein vertäfelt alles und mit viel Plüsch und Samt. Alte Matrosen im Hafen erzählten, die »MS Stadt Köln« sei das Luxusschiff von Hermann Göring gewesen und auf ungeklärte Weise erst nach 1945 hier unter seinem jetzigen Namen gelandet. Heute wird es sowohl als Repräsentationsschiff des Oberbürgermeisters genutzt, kann jedoch auch von der KVB-Touristik von jedermann gemietet werden. Insgesamt kostet es die Stadt jährlich über 50.000 Euro an Unterhalt. Also, Schiff ahoi!
Martin Stankowski: Köln – der andere Stadtführer, Kiepenheuer und Witsch, KiWi Köln, Köln 2003, 370 S., 19,90 €, erscheint Ende September.