Verdammter der Filmgeschichte
Es war ausgerechnet einer der Höhepunkte des Piratenfilms, der sein Ende als klassisches Hollywoodgenre einläutete. Robert Siodmaks »Der rote Korsar« (1952) zitierte noch einmal Glanz und Gloria der so genannten Swashbuckler (engl.: Angeber, Prahler) und kam mit Kanonendonner, Säbelrasseln, feurigen Blicken und heißen Küssen über sein Publikum. Alles schien am angestammten Platz zu sein: Die Männer agierten tollkühn im Kampf und in der Liebe, und die Frauen waren eine Beute, für die es sein Leben zu wagen lohnt. Doch war das Genre damals bereits so angekränkelt, dass es die Komödie zum Überleben brauchte. Sogar eine Art Daniel Düsentrieb, der den Film mit allerlei Feuerwaffen aus der Zukunft munitionierte, hatten die Autoren mit an Bord genommen. Wann immer ein Säbel in der Sonne blitzte, konnte ebensogut das Blitzen der Ironie dahinter stecken.
Wenn ein Genre seine Gesetze nicht mehr ernst nimmt, sind seine Tage meist gezählt. Lange waren die Freibeuter der Meere für Hollywood ein Pendant zum Western-Outlaw, Gesetzlose auf den Wasserwüsten, die den Horizont als Frontier vor sich her trieben. Mit ihrem Eintreten für die Amerikanische Revolution im 18. Jahrhundert hatten sich die historischen Piraten einen Kredit erworben, der erst mit dem Ende des klassischen Hollywoodsystems Anfang der 60er Jahre fällig wurde. Danach liefen ihre Leinwandstellvertreter, allen voran »Der rote Korsar«, den sicheren Hafen der Fernsehverwertung an. In einem war Siodmaks Abgesang auf das Genre sogar prophetischer als es sich selbst seine Autoren erträumt hatten. Mit der Figur des Erfinders wiesen sie den Piratenfilm ins Exil und zugleich auf seine Zukunft hin: das Actionkino.
Bis heute tobt sich im Actionfilm eine Lust am Spektakel aus, die im Abenteurergenre mit aus der Taufe gehoben wurde – allerdings lassen »Star Wars« und Konsorten ihre Vorläufer hoffnungslos veraltet aussehen. Alle Versuche, das ironische Erbe des Roten Korsaren wieder zum Leben zu erwecken, erlitten deshalb an der Kinokasse Schiffbruch. Man denke an Roman Polanskis unglückselige »Piraten« (1986) oder an Renny Harlins »Die Piratenbraut« (1995) mit Geena Davis in einer Hosenrolle. Wenn nun mit »Fluch der Karibik« doch ein Swashbuckler den amerikanischen Kinosommer gerettet hat, dann vor allem, weil er über die ins Komische gewendete Piraterie hinaus alle Merkmale eines modernen Thrillrides mitbringt – der Film wurde inspiriert von einer der populärsten Attraktionen in den Disney-Themenparks.
Wie bereits »Die Mumie« ist auch »Fluch der Karibik« die Wiederkehr eines alten Genres aus dem Geiste der Komödie und des Spezialeffekts. Die Piraten um ihren Anführer Barbossa (Geoffrey Rush) machen sich die Karibik untertan, um die Inkaschätze, die sie einst geraubt haben, wieder an ihren Ursprungsort zurückzubringen. Nur so können sie den Bann von sich nehmen, der sie zu Untoten werden ließ. Bei Mondschein leuchten die Gebeine der Piraten durch ihr Fleisch und ihre Kleider, als zeige der Erdtrabant auch die moralischen Gezeiten an. Das Schmuckstück, das den Verdammten noch zur Erlösung fehlt, baumelt derweil um den Hals einer betörenden jungen Dame (Keira Knightley), die sich im Grunde ihres Herzens nach einem Piraten sehnt. Natürlich kommt es, wie es kommen muss: Das sehnsuchtsvolle Fräulein wird samt ihres Kleinods bei einem Überfall geraubt, und eine ganze Flotte stolzer Männer setzt in ihrem Kielwasser zur Rettung an. Neben ihrem blassen englischen Verlobten (Jack Davenport) konkurriert ein schüchterner Waffenschmied und, wie sich herausstellt, einzige Nachkomme eines legendären Freibeuters um ihre Hand (Orlando Bloom), sowie als Persiflage auf Errol Flynn, Douglas Fairbanks jr. und sich selbst: Johnny Depp in der Rolle des Jack Sparrow. Der von seiner Mannschaft einst auf einer einsamen Insel ausgesetzte Piratenkapitän hat mit den Meuterern noch einen ganz persönlichen Strauß auszufechten.
Die Erzählung von »Fluch der Karibik« ist so schematisch, wie es sich für eine Produktion von Jerry Bruckheimer (»Pearl Harbor«) gehört. Dem Vergnügen tut dies keinen Abbruch, solange Romantik und wohlige Gruselschauer vor dem Hintergrund einer Komödie in Szene gesetzt werden: Bei Jack Sparrows erstem Auftritt sehen wir ihn scheinbar auf dem Ausguck eines stolzen Dreimasters, doch entpuppt sich sein Gefährt als leckgeschlagener Ein-Personen-Kahn. Wie Gore Verbinski hier innerhalb einer einzigen Einstellung den parodistischen Tonfall seines Films einführt, ist beeindruckend – und auch wie er ihn über lange Strecken beibehält. Etwas weniger Sorgfalt lässt der Regisseur allerdings bei den tragischen Momenten walten. Das Ringen der Verdammten um Erlösung ist Verbinski am Ende nicht einen Wimpernschlag des Innehaltens wert. Der Fliegende Holländer liegt so nahe, doch »Fluch der Karibik« ist eben Operette und keine Oper.
So wie der Piratenfilm nie wirklich tot war, so wird er durch »Fluch der Karibik« nicht neu erfunden. Als Verdammte der Filmgeschichte suchen die Swashbuckler heute an der Küste des Fantastischen Unterschlupf, der Rettung aller maroden Genres.
Fluch der Karibik (Pirates of the Caribbean: The Curse of the Black Pearl) USA 03, R: Gore Verbinski, D: Johnny Depp, Geoffrey Rush, Orlando Bloom, 143 Min. Start: 2.9.