Kommt Kummer, kommt Trost

Marc Günther, Intendant des Kölner Schauspiels, steht vor seiner zweiten Spielzeit. Was folgt auf die Misere der ersten? Alexander Haas hat ihn gefragt

Trotz der Nöte von Marc Günthers erster Spielzeit stiegen im Schauspielhaus die Zahlen im Vergleich zum Vorjahr: bei den Einnahmen um 16 Prozent, bei den zahlenden Besuchern um 15 Prozent. Dazu passt, dass die Ende Juli vom Rat beschlossene Kürzung des Etats der Kölner Bühnen (47,5 Millionen Euro) um sechs Millionen bis 2005 nun doch ausbleiben soll: Angeblich erst nach dem Beschluss wurde bekannt, dass die Stadt auf Grund der Gewinnausschüttung der Wohnungsgesellschaft GAG als Haupt-aktionär 5,7 Millionen mehr in der Kasse haben wird. CDU und Grüne wollen diese Summe zur Schonung der Bühnen verwenden, was am 7. Oktober erneut vom Rat genehmigt werden muss.



StadtRevue: Herr Günther, aller Wahrscheinlichkeit nach entkommen die Bühnen der angedrohten Sechs-Millionen-Kürzung. Was überwiegt, Freude oder doch Verärgerung über die Planlosigkeit der Kölner Kulturpolitik?

Marc Günther: Ich habe immer gesagt, dass ich mir nicht vorstellen kann, dass die Stadt vertragsbrüchig wird. Wenn sie das nun wirklich nicht wird, ist das wunderbar, dann können wir endlich weiterarbeiten. Sicher kann man sich die Frage stellen: Warum nicht gleich so? Aber das sind haushaltspolitische Überlegungen, in die ich mich nicht einmischen möchte. Der ganze Vorgang hat uns natürlich demotiviert und sehr viele Nerven gekostet.

Wie groß ist der kulturpolitische Schaden?

Diese Budgetdiskussionen tun der Kunst auf Dauer nicht gut. Gerade auch Menschen, die weniger ins Theater gehen, fragen sich dann: Warum ist das alles überhaupt so teuer? Damit leisten sie indirekt den Kürzungsplänen Vorschub. Angesichts der Verteidigungskämpfe, in denen sich die Kultur befindet, schaden solche Diskussionen.

Abgesehen von wenigen Ausnahmen lautete die Kritik an Ihrer ersten Saison: Die Linie fehlt. Wie bewerten Sie Ihren Start im Rückblick?

Mich interessiert alles, was eine deutliche Handschrift trägt oder in einem entschiedenen Angang versucht, Wirklichkeit zu erklären. Mir ist ja tatsächlich oft vorgeworfen worden, der erste Spielplan sei ein Sammelsurium gewesen. Ich kann das nur bezweifeln, denn eine Wirklichkeit, die nicht mehr aus einem Punkt zu erklären ist, kann man nicht nur in einem Punkt widerspiegeln. Man muss versuchen, sie von verschiedenen Seiten anzugehen.

Ist es konzeptionell nicht problematisch zu sagen, es gibt keine Linie mehr, also können wir auch nicht mit einer Linie antworten?

Wir wollten das komplexe Gebilde »Wirklichkeit« in unterschiedlicher Weise mit der Frage konfrontieren: Wo ist des Pudels Kern? Man kann diesen Punkt nicht mittels nur einer ästhetischen Machart suchen. Ansonsten gilt: Das Profil eines Theaters ergibt sich nicht von heute auf morgen. Und eine Linie hat man auf Grund einer konsequenten Fragestellung. Die haben wir auch.

In der ersten Saison ist diese Fragestellung nicht sichtbar geworden. Wie lautet sie in der zweiten?

Das explizit aufklärerische Theater, mit Ursprung in den 70er Jahren, versuchte die Welt aus der Kapitalismuskritik zu erklären. Das geht so nicht mehr. Trotzdem glaube ich, dass bestimmte Regisseure, etwa Ola Mafaalani und auch Michael Thalheimer, auf ihre Weise an der selben Linie weiterarbeiten – und zwar im Sinne von »Tröstung über Elend«. Thalheimer wird bei uns seine Frankfurter Adaption des Fassbinder-Films »Warum läuft Herr R. Amok?« zeigen und eine Neuinszenierung von Kleists »Familie Schroffenstein«.

Tröstung über Elend, das klingt religiös.

Im Grundsatz ist es auch so gemeint. Der Moment der kultischen Handlung in der communitas der Kirche hat sehr wohl einen Sinn. Auch das Theater hat hier seinen Ursprung. Beide sagen: Du bist nicht allein mit deinen Problemen. Und wenn die Probleme der Welt – etwa, dass die aktuelle gesellschaftliche Vereinzelung zu einer neuen Verelendung führt – Thema eines Kunstwerkes werden, kann das Tröstung bedeuten.

Wie passt dazu Ihre Ankündigung eines »äußerst politischen« Spielplans?

Dieser Spielplan ist insofern politisch, als ich die Abwesenheit von sichtbarer und zielgerichteter Politik auch als politisches Phänomen beschreiben kann. In diesem Sinne halte ich auch Ingrid Lausund für eine politische Autorin und Regisseurin. Sie wird weiterhin bei uns arbeiten. Oder nehmen Sie Tschechows »Platonov«: Ein Mann, der mal aktiv in der Gesellschaft war und resigniert daraus zurückkehrt. Oder »Don Carlos«: ein Intrigenspiel des Egoismus, auch des politischen. Beide Stücke stehen im neuen Spielplan.

In Ihrer ersten Saison mangelte es auch an einem anspruchsvollen Begleitprogramm. Es gab die Diskussionsveranstaltungen zum Irak-Krieg in Kooperation mit dem Kölner Stadtanzeiger, sonst nichts.

Wir haben auch Lesungen gemacht. Natürlich gehören die Stücke selbst zu einem Programm dazu. Ich nenne mal »Rückkehr in die Wüste« von Koltès. Das ist ein Stück, das heute viel aktueller ist als in der Zeit, in der es in Frankreich geschrieben wurde. Jedenfalls für die Bundesrepublik war die Problematik damals nicht wichtig, dass der Kolonialismus, den wir rausgetragen haben, wieder zurückschlägt. Im Übrigen sind unsere Kapazitäten unter dem bisherigen Budget irgendwann erschöpft. Bei 26 Premieren fundierte Rahmenveranstaltungen in großer Häufigkeit zu machen, ist problematisch.

Wäre es nicht genau deshalb interessanter gewesen, weniger Premieren und dafür ein klar konzipiertes Programm zu machen, einschließlich des Rahmenprogramms?

Das sind Dinge, die der Nachbesserung bedürfen. Wir haben aber in der ersten Spielzeit die Aufgabe gehabt, dieses Theater neu zu begründen und überhaupt mal wieder kräftig zu bespielen. Und wenn dann eine Überschrift nach der dritten Inszenierung lautet »Das haben Sie uns also zeigen wollen, Herr Intendant?« (F.A.Z., 5.11. 2002, Anm. d. Red.), denke ich: Nun mal halblang! Ich habe genau diesen Anfang zeigen wollen, mit Ola Mafaalanis »Othello« und dem Projekt von Ingrid Lausund.

Sie hatten angekündigt, das Haus in die Stadt hinein zu öffnen. Welche Nachbesserungen kommen also?

Wir werden unsere Zusammenarbeit mit dem Literaturhaus verstärken. Dann haben wir uns auf die Fahnen geschrieben, zu aktuellen Ereignissen Leute zu holen. Dazu wollen wir die bestehende Diskussionsreihe mit dem Stadtanzeiger ausweiten. Außerdem versuchen wir mit CampusRadio zu kooperieren, ebenso mit dem Party-und-Design-Team von Soupculture.

Es fehlt Ihnen an jungem Publikum?

Wir wollen jüngere Leute in einen programmatischen Diskussionsprozess einbinden.

Könnten Sie sich vorstellen, Produktionen außerhalb Ihrer vier Spielstätten zu zeigen, um auch so stärker in die städtische Landschaft einzugreifen?

Es kommt das Projekt »Döner Schaltung«. Das soll ein großer Abend über Kalk werden. Wir planen Webschaltungen in Imbissbuden und wollen über Kunst-Installationen den Stadtteil selber mitspielen lassen. Das konzentriert sich zwar in der Halle Kalk, soll aber seine Netz-Fäden im Stadtteil haben.

Kalendarisch beginnen Sie in der Schlosserei mit Goethes »Tasso« in der Regie von Niklaus Helbling, aber die Eröffnung im Schauspielhaus bestreitet Ihr Vorgänger Günter Krämer mit Edward Bonds »See«. Ein glückliches Signal?

Das hat ganz pragmatische Gründe. Günter Krämer konnte nur zu diesem Zeitpunkt. Und wir sind an seinen Vertrag gebunden. Die Alternative wäre gewesen, ihn auszubezahlen. Das wäre dann nicht so symbolisch gewesen, aber auch keine glücklichere Lösung.


»Torquato Tasso« von J.W. Goethe, R: Niklaus Helbling, 27. (Premiere), 28., 30.9., 4., 5., 7., 9.-11., 23.-25., 27.10., Schlosserei, 20 Uhr.
»Die See« von Edward Bond, R: Günter Krämer, 30.9. (Premiere), 1., 4., 5., 19., 20., 24.10., Schauspielhaus 19.30 Uhr. Siehe auch Porträt des Regisseurs Michael Thalheimer, S. 74